„Prostituierte in finanzieller Notlage“
Manche können auf staatliche Hilfe hoffen, andere sind akut von Obdachlosigkeit bedroht
(mag) - Weil die Bordelle wegen der Corona-Krise geschlossen sind, geraten viele Prostituierte nun in Not. Manche können auf staatliche Hilfe hoffen oder werden von ihren Kunden unterstützt. Doch viele sind akut von Obdachlosigkeit bedroht. Wie die Lage in Friedrichshafen ist und wie den Frauen geholfen werden kann, hat Marlene Gempp bei den Sozialarbeiterinnen Christina Würth und Dörte Christensen von Arkade e.V. nachgefragt.
Frau Würth, Frau Christensen, wie geht es den Prostituierten in Friedrichshafen derzeit?
In Friedrichshafen haben sich seit Beginn des neuen Prostituiertenschutzgesetzes über 200 Prostituierte angemeldet. Die meisten sind Frauen, einige wenige sind transsexuell. Männliche Prostituierte sind in Friedrichshafen keine gemeldet. Viele dieser Frauen sind Migrantinnen aus osteuropäischen Ländern und sind, als es noch möglich war, in ihre Heimatländer abgereist. Einige sind jedoch fest sesshaft in Friedrichshafen, beziehungsweise im Bodenseekreis, und haben nun große Not, ihre Lebenshaltungskosten und Mieten zu bezahlen, da durch das Prostitutionsverbot ihre Haupteinnahmequelle weggebrochen ist. Finanziell befinden sie sich in einer prekären Lage. Auch psychisch belastet die Corona-Krise viele dieser Frauen, da sie Existenzängste haben und nicht wissen, wie es weitergeht. Dazu sind sie oft weit weg von ihren Familien oder haben wenig soziale Bindungen. Einige Betreiber lassen die Frauen in den Bordellen oder Terminwohnungen wohnen und stunden ihnen die Mietkosten. Einige Frauen sind bei Freunden oder Freiern untergekommen, was an sich erst einmal eine Lösung ist, aber auch eine Abhängigkeit und Unsicherheit bedeutet. Wenn Prostituierte in Friedrichshafen obdachlos werden durch die Schließung der Prostitutionsstätten,
können wir glücklicherweise schnell Lösungen finden, da wir auch in der Wohnungslosenhilfe tätig sind und die Notunterkünfte betreuen und somit in engem Austausch mit der Stadt stehen.
Wie viele Fälle sind Ihnen bekannt, in denen es gerade wirklich existenziell schwierig ist?
Seit Schließung der Prostitutionsstätten wurden wir von insgesamt 29 Frauen kontaktiert. Manche Anfragen kamen über Betreiber, Freier oder Angehörige, manche über Kooperationspartner wie den Mitarbeitern des Ordnungsamtes oder Gesundheitsamtes. Viele haben sich direkt bei uns gemeldet, weil wir ihnen durch unsere aufsuchende Arbeit in den Prostitutionsstätten bereits bekannt waren. Bei 14 von ihnen hat sich herausgestellt, dass sie keinen
Anspruch auf Sozialleistungen oder sonstige Soforthilfen haben und völlig mittellos sind. Vor Beginn der Corona-Krise hatten wir durch unsere aufsuchende Arbeit im Monat durchschnittlich mit 60 bis 70 Prostituierten Kontakt. Dies sind die momentan aktuellen Zahlen, die sich jedoch täglich ändern.
Wir wird den Frauen in der Situation geholfen?
Konkret helfen wir mit Einkaufsgutscheinen, Sach- und Geldspenden und einer Einmalzahlung vom Diakonischen Werk. Wir verfügen über Sachmittel im Rahmen der aufsuchenden Sozialarbeit, die von der Stadt Friedrichshafen finanziert wird und können dadurch schnell und unkompliziert helfen. Wir haben auch schon Spenden vom Häfler Sozialdiakonat, Inner Wheel, Soroptimist und von Privatpersonen bekommen. Prostituierte, die Anspruch auf Sozialleistungen haben, unterstützen wir, indem wir mit ihnen Anträge beim Jobcenter, bei der Agentur für Arbeit oder beim Land stellen (Soforthilfe für Selbständige). Da die Antragstellung für viele eine hohe Hürde darstellt, auch bedingt durch Verständigungsprobleme, sind sie sehr froh über die Unterstützung.
Wie können sie ansonsten Geld verdienen?
Ersatztätigkeiten wie zum Beispiel in der Gastronomie, wo sie ansonsten Geld verdienen könnten, sind momentan nicht oder schwer möglich. Einzelne Frauen überlegen, sich als Erntehelfer zu bewerben oder ehrenamtlich in der Nachbarschaftshilfe zu arbeiten. Abgesehen von der finanziellen Not ist es auch wichtig, ein offenes Ohr zu haben, und den Frauen akzeptierend und wertschätzend zu begegnen. Prostituierte
sind durch die jahrelange Arbeit in diesem Gewerbe oft in einer psychischen Ausnahmesituation mit wenig Vertrauen in öffentliche Institutionen oder Beratungsstellen. Daher ist es wichtig, sich Zeit zu nehmen und zuzuhören. Wir bieten ihnen, nicht nur in der jetzigen Krise, ein bedingungsloses Beziehungsangebot, mit dem Ziel, Vertrauen aufzubauen und Hilfe annehmen zu können. Dies ist oft ein jahrelanger Prozess. Unsere Arbeit beinhaltet auch das Angebot, sie beim Ausstieg aus der Prostitution zu unterstützen, dies ist jedoch keine Voraussetzung. Unsere Angebote finden telefonisch, digital und, wenn erforderlich, persönlich mit Wahrung des Sicherheitsabstandes statt.
Gibt es trotz des Verbots noch Nachfrage und besteht die Gefahr, dass illegal gehandelt wird?
Weitere Informationen zur Arbeit der Streetworker unter www.misa-arkade-ev.de