Fluch oder Segen?
Streaming verdrängt immer mehr die gute alte CD – Für Künstler hat das schwerwiegende finanzielle Auswirkungen
- Im Internet spielt die Musik – und nicht nur erst seit der Corona-Krise: 55,1 Prozent Anteil am Umsatz in Deutschland hat Audiostreaming über diverse Musikplattformen, teilte unlängst der Bundesverband Musikindustrie mit. Zwar werden immer weniger CDs und Schallplatten verkauft. Doch dank Streaming boomt die Musikindustrie. Der Haken: „Bei den Künstlern kommt wenig an“, ärgert sich Michael Schönmetzer, Gitarrist und Manager der Allgäuer Alternative-PopBand „Rainer von Vielen“. Gerade in auftrittslosen Corona-Zeiten sei dies besonders bitter. Ein erklärter Gegner von Streaming-Diensten dagegen ist der Allgäuer Jazz-Star Matthias Schriefl.
Zum einen sei die Klangqualität im Vergleich zur CD schlechter. Zum anderen führe die Fragmentarisierung durch Streamen dazu, dass viele gar nicht mehr wissen, wie die Musiker und die Komponisten heißen, sagt der 38-Jährige und schimpft: „Playlists bei Spotify anhören ist, wie wenn man aus einer Mülltonne Essensreste rausholt, nochmal aufwärmt und isst, ohne zu wissen, was da genau drin ist und von wem es stammt.“Das Musik-Streamen verleite zu oberflächlichem Hören, glaubt auch Julia Rinderle. „Man lässt sich da gerne berieseln“, sagt die 29-jährige Konzertpianistin aus Bad Grönenbach, die wie Schriefl ein CD-Fan ist. Sie schätzt die hohe Klangqualität des Silberlings. Zu hören ist dies auch auf ihrem aktuellen Album „Schubertiade on Piano“, das im Dolby-Surround-Verfahren aufgenommen wurde.
Ihr Label „Ars Produktion“bietet ihre Einspielungen von Klavierstücken Schuberts nicht nur komplett als CD, sondern auch einzeln als Downloads oder zum Streamen an. Bei Konzerten sei die Nachfrage nach CDs groß, sagt Rinderle. „Die Leute wollen oft gerne etwas mit nach Hause nehmen.“Gleichwohl gehe der CD-Absatz deutlich zurück, bedauert sie.
„Der CD-Absatz ist eingebrochen“, sagt auch Irene Schindele. Die 39-Jährige stammt aus Kempten, lebt mit ihrer Familie in Zusmarshausen bei Augsburg und bildet mit Inka Kuchler (Kempten) das Folk-PopDuo „Vivid Curls“. Ihr Geld verdienen die beiden Musikerinnen hauptsächlich mit Konzerten und – noch – mit CDs. Immer mehr Fans hätten allerdings kein Abspielgerät mehr, erzählt Schindele. Diese Entwicklung sei für die Vivid Curls „ein Drama“.
Denn früher seien die Produktionskosten einer CD von etwa 15 000 Euro über deren Verkauf wieder hereingekommen. Um das mit Streams zu erreichen, müssten ihre Songs etwa fünf Millionen Mal gestreamt werden, rechnet Schindele vor. Das sei utopisch. Aktuell verzeichnen die Vivid Curls weltweit etwa 90 000 Streams. In Geld umgerechnet wären das ein paar Hundert Euro. Das bedeute, dass sich die Musikerinnen nach anderen Einnahmequellen, beispielsweise Sponsoren, umsehen müssen.
Die geringen Ausschüttungen der Streaming-Dienste ärgern auch Michael Schönmetzer. Um einen Euro zu verdienen, benötige seine Band Rainer von vielen bei Napster 59 Streams, bei Spotify 254 und bei Youtube gar 1612, rechnet er vor. Im Schnitt schafft es seine Band bei dem vor allem bei den Jungen beliebten Spotify jährlich auf 300 000 Streams. Etwa 0,0039 Euro zahle das Musikportal pro Stream, das mache zusammen also rund 1100 Euro.
Bestenfalls ein Taschengeld für den Kneipenbesuch sind die Einnahmen durch Streaming-Dienste und Downloads bei Fusion-Rockgitarristin
Yasi Hofer aus Kronburg (Unterallgäu). Den meisten Umsatz generiert sie durch CDs bei ihren Konzerten. Ihre Musik, ein Mix aus Rock, Blues und Jazz, schätzen vor allem 40- bis 60-Jährige. Und die bestellen schon bei Ankündigungen eines Albums fleißig CDs vor, erzählt die 27Jährige, die bei keinem Plattenlabel unter Vertrag ist. Der Verkauf von CDs und Merchandising-Artikeln wie T-Shirts und Poster ist für die Profimusikerin deshalb ein wichtiges Standbein.
Merchandising-Artikel spielen auch bei Rainer von Vielen eine Rolle. „Die Leute wollen gerne etwas mit nach Hause nehmen“, sagt Michael Schönmetzer. Immer häufiger greifen sie dabei auch zur Langspielplatte, die die Band mit Codes für MP3und WAV-Downloads ausstattet. Und mit Autogrammen sind die LPs obendrein begehrte Sammelobjekte. Die Zeiten haben sich massiv gewandelt, sagt der 42-jährige Schönmetzer. „Früher gingen die Musiker auf Tour, um ein Album zu promoten. Heute bringen sie ein Album heraus, um auf Tour gehen zu dürfen“. Denn vor allem „on the road“lässt sich für Musiker noch Kasse machen. Nur geht das in Corona-Zeiten derzeit eben überhaupt nicht.