„Das Warten des Gerechten wird Freude werden“
Zum Vatertag sollte es frische Semmeln geben. Noch vor 8 Uhr ging ich zum Bäcker, um nicht lange warten zu müssen. Dennoch stand ich 25 Minuten an, bis ich endlich an der Spitze der langen Schlange angekommen war und bedient wurde. Gott sei Dank gab es reichlich Backware.
Ich warte nicht gerne. Stattdessen will ich die Dinge zügig und effektiv hinter mich bringen, um mich dann Neuem zuwenden zu können. Doch in diesen Wochen muss ich häufig warten. Wenn es stimmt, dass jede Krise auch besondere Chancen in sich birgt, dann ist es für mich auch die
Gelegenheit, das Warten neu einzuüben. Geprägt von einem Alltag, der von Schnelligkeit und perfektem Service bestimmt ist, bin ich das nicht gewöhnt. Es erinnert mich eher an Szenen aus den Nachkriegsjahren oder dem Leben in der DDR. Und doch ahne ich, dass die innere Bereitschaft zu warten mein Leben bereichern würde.
In der Weisheit des Alten Testaments findet sich dazu ein besonderer Hinweis: „Das Warten des Gerechten wird Freude werden.“(Sprüche 10, 28) In diesen wenigen Worten sind langjährige Lebenserfahrungen zusammengefasst. Wer bereit ist, zu warten, erlebt das Erwartete in der Regel viel bewusster und tiefer. Ganz anders derjenige, für den alles immer gleich verfügbar sein muss. Wer bereit ist, zu warten, kann erleben, wie sich das Warten in Freude verwandelt. Und dieser Perspektivenwechsel beginnt nicht erst, wenn das Erwartete endlich eintritt, sondern bereits vorher. Daran erinnert uns das schöne Wort „Vorfreude“.
Doch wer sind die Gerechten? Damit meint das Alte Testament all die Menschen, die auf Gott vertrauen. In diesem Zusammenhang bedeutet das wohl, dass ich keine Angst habe, zu kurz zu kommen oder etwas Wichtiges zu versäumen, wenn ich warten muss. Gott wird dafür sorgen, dass mir die Zeit des Wartens nicht zum Nachteil wird. Und zugleich hat Gerechtigkeit natürlich immer auch damit zu tun, das Wohl meiner Nächsten mit im Blick zu haben und falsche Verdächtigungen zu vermeiden. Beides gehört zusammen, wie die zwei Seiten einer Münze. Womöglich gehen wir mit Blick auf die Corona-Krise
gerade in eine neue Phase. Verständlicherweise wollen viele, dass das Warten schnell beendet wird und alle Einschränkungen wegfallen. Andererseits haben wir es mit einer Art von Gefährdung zu tun, die uns noch länger begleiten wird. Die Fortsetzung von Vorsichtsmaßnahmen wird auch weiterhin verbunden sein mit Situationen, die uns Geduld und die Bereitschaft zum Warten abverlangen. Sind wir dazu bereit? Können wir darin auch eine Chance erkennen? Fragen, die vielleicht auch die Schlange beim Bäcker verkürzen können.