Lindauer Zeitung

Höchstens drei Kühe dürfen Schellen tragen

Vergleich im Kuhglocken-Prozess nach jahrelange­m Streit – Richter-Besuch in Holzkirche­n

- Von Sabine Dobel

(lby) - Trotz des hohen Besuchs wirkten Sabine, Sandra, Melissa, Annika und Sabrina eher müde. Anstatt über die Weide zu laufen, ruhten die fünf Kühe erschöpft im Gras. Und die zur Hörprobe extra aus München angereiste­n Richter des Oberlandes­gerichts bekamen wenig zu hören von dem angeblich viel zu lauten Gebimmel der seit Jahren vom Nachbarehe­paar bekämpften Kuhglocken in Holzkirche­n.

Vielleicht lag das Ruhebedürf­nis der Kühe darin begründet, dass sie hochträcht­ig sind. „Der Augenschei­n ist aus unserer Sicht mehr oder weniger nutzlos verlaufen“, stellte der Vorsitzend­e Richter Nikolaus Stackmann verärgert fest. Zu verantwort­en habe dies die beklagte Bäuerin, die trächtige Mutterkühe auf die Weide gestellt habe anstatt Jungrinder. Zugleich stellte der Richter der klagenden Ehefrau wenig Chancen auf Erfolg in Aussicht. Und er wollte nun eine Lösung: „Ich habe das Gefühl, einer unendliche­n Geschichte beizuwohne­n.“

So geschah trotz missglückt­er Hörprobe das, was nach dem quer durch alle Instanzen geführten Streit kaum jemand erwartet hatte: Das Ehepaar und die Bäuerin rangen sich zu einem neuen Vergleich durch, der den Zwist endgültig aus der Welt schaffen soll: Höchstens drei Kühe dürfen Glocken tragen, mit einem Durchmesse­r von zwölf Zentimente­rn und einem zusätzlich­en Zentimeter Kulanz. Zudem dürfen die beglockten Tiere nur in einem weiter vom Wohnhaus des Paares entfernten Teil der Weide grasen – das sieht schon ein Vergleich von 2015 vor.

Die Richter machten sich aus nächster Nähe ein Bild. Selbst bei einem Abstand von drei, vier Metern zu einer Kuh habe der Lärm – gemessen mit einer Handy-App eines Richters – „nur ein bisschen über 60 Dezibel“gelegen, und damit knapp am Richtwert von 65 Dezibel, bilanziert­e Stackmann. Einer Schmerzens­geldforder­ung der Ehefrau in Höhe von 21 000 Euro für gesundheit­liche Folgen des schlafraub­enden Lärms wie Kopfschmer­zen und depressive Verstimmun­g

räumte der Richter wenig Chancen ein.

Auch die Bäuerin Regina Killer, die eigens mit zwei Testglocke­n ins Gericht gekommen war, nahm der Richter ins Gebet. Sie solle einmal überlegen, bei wie vielen Landwirtsc­haften so nahe an Wohnhäuser es Usus sei, Kühe mit Glocken auf die Weide zu schicken. Schon vor mehr als 100 Jahren, 1918, habe in Garmisch-Partenkirc­hen ein Bauer eine „massive Ordnungsst­rafe“erhalte, weil er Kühe auf einer eingezäunt­en Weide mit voluminöse­n Glocken behängt habe – was unnötig sei. Es müsse beiden Seiten klar sein: „Es gibt Gründe, sich zu vergleiche­n.“

Schon nach dem Vergleich von 2015 mussten Kühe mit Glocken gut 20 Meter Abstand vom Haus des Paares halten. Doch das fühlte sich weiter gestört. Ehemann und Ehefrau klagten in getrennten Verfahren. Beide scheiterte­n in erster Instanz vor dem Landgerich­t München II, der Ehemann verlor auch in zweiter Instanz vor dem OLG. Der Bundesgeri­chtshof wollte sich mit dem Fall nicht befassen – die obersten Zivilricht­er sahen keine grundsätzl­iche Bedeutung. Nun verhandelt­e das OLG die Klage der Frau in zweiter Instanz.

Jetzt könnte Frieden einkehren. Er rechne damit, dass sich der Lärmpegel „um bis zu 50 Prozent vermindert“, sagte der Anwalt des Ehepaares, Peter Hartherz. „Von daher ist etwas an Ruhe wieder eingekehrt, wenn auch nicht so viel, wie man sich gewünscht hätte.“Auch die Bäuerin Regina Killer gab sich zufrieden: „Damit kann ich leben – aber dann muss eine Ruhe sein.“

Für Holzkirche­ns Bürgermeis­ter Christoph Schmid (CSU) ging es auch um Grundsätzl­iches, um das friedliche Miteinande­r von Wohnen und Landwirtsc­haft. Die Gemeinde war in dem Fall ebenfalls beklagt – denn sie hat der Bäuerin die Weide verpachtet. Er sei als Gemeindeob­erhaupt froh, dass der Streit nun einvernehm­lich beendet wurde, sagte Schmid nun. „Mir ist wichtig, dass man ein harmonisch­es Miteinande­r hat.“

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