Lindauer Zeitung

Lindauer waren unter Corona stiller als andere

Ein Forschungs­projekt gibt Aufschluss darüber, wie genau sich Menschen an die Corona-Regeln halten

- Von Dirk Augustin

- Zu Beginn der Corona-Pandemie war der Landkreis Lindau weit überdurchs­chnittlich betroffen. Dass die Pandemie nicht noch mehr Opfer gefordert hat, liegt daran, dass die Lindauer wirklich daheim geblieben sind.

Als die Politik im März Ausgangsbe­schränkung­en und Kontaktver­bote erlassen, Schulen und Geschäfte geschlosse­n und alle Menschen aufgeforde­rt hat, daheim zu bleiben, damit sich Corona nicht weiter ausbreiten kann, haben die Lindauer das offensicht­lich strikter befolgt als die Menschen in den umliegende­n Landkreise­n. Das ergibt eine Studie von Forschern der Humboldt-Universitä­t Berlin, des Robert-Koch-Instituts und dem Unternehme­n Teralytics.

Grundlage ist die Tatsache, dass man Daten der Mofilfunka­ntennen auswerten kann. Denn wenn ein Mobiltelef­on eine sogenannte Funkzelle verlässt und später für mindestens 15 Minuten die neue Position nicht mehr ändert, zählt dies als eine Bewegung. Start- und Endzelle können dabei unterschie­dlich oder gleich sein.

Dabei spielt es keine Rolle, ob der Handybesit­zer zu Fuß unterwegs ist, mit dem Fahrrad, mit dem Auto oder einem anderen Verkehrsmi­ttel. Es spielt auch keine Rolle, ob es sich um Einwohner oder Gäste handelt. Gezählt wird lediglich die Zahl der Bewegungen insgesamt. Daten gibt es dafür nur auf Ebene ganzer Landkreise, Unterschie­de zwischen bayerische­m Bodensee und Westallgäu kann man dort also nicht ablesen.

Wichtig: Es handelt sich um anonymisie­rte Daten. Die Forscher können also keine Rückschlüs­se auf das Verhalten einzelner Menschen ziehen. Grundlage sind Daten der Mobilfunka­nbieter Telekom und Telefónica, die jeweils für einzelne Tage vorliegen. Die Studie beginnt am 11. März, als in Lindau bereits

Schulen geschlosse­n waren, als aber noch alle Geschäfte geöffnet waren, als es noch keine Ausgangsbe­schränkung­en gab und als noch kaum jemand in Heimarbeit war.

Für das Corona-Projekt haben die Forscher die Daten mit Durchschni­ttszahlen aus dem März des vergangene­n Jahres verglichen. Dabei haben sie Durchschni­ttsdaten für die Vorjahresd­aten der Wochentage ermittelt und diese zum Vergleich herangezog­en. Für das Forschungs­projekt ist ein festgelegt­er Vergleichs­monat wichtig, damit über den gesamten Zeitraum dieselben Daten als Vergleichs­wert gelten. Deshalb vergleiche­n die Forscher auch einen Sonntag im Mai mit dem Durchschni­tt eines Sonntags im März 2019. Das ist möglich, weil die Mobilitäts­zahlen in den meisten Regionen Deutschlan­ds von Monat zu Monat fast gleich sind.

Das gilt aber nicht für eine Tourismusr­egion mit Saisongesc­häft wie den Landkreis Lindau. Anderersei­ts lag im Vorjahr die Fasnachtsw­oche im März, bei der nicht nur am Fasnachtss­onntag beim Narrenspru­ng auf der Lindauer Insel sicher eine hohe Bewegungsr­ate zu messen war. Dennoch geben die Zahlen einen guten Anhaltspun­kt darüber, wie stark die Mobilität zum Schutz vor Corona gesunken ist und wie weit wir uns einem normalen Bewegungsm­uster schon wieder annähern.

Die Lindauer Zeitung hat die Bewegungsd­aten für den Landkreis Lindau mit denen der Nachbarlan­dkreise Ravensburg, Bodenseekr­eis und Oberallgäu verglichen. Dabei fällt sofort auf, dass die Lindauer Kurve von Anfang an deutlich unter der der Nachbarlan­dkreise liegt. So waren am 11. März Bogy und VHG schon geschlosse­n. Die Bewegungsr­ate liegt im Landkreis bereits drei Prozent unter der des Vorjahres, während alle Nachbarlan­dkreise einen Wert haben, der sogar höher ist als im März 2019.

Noch auffällige­r werden die Unterschie­de am folgenden Wochenende, als die Menschen im Landkreis zu den Kommunalwa­hlen aufgerufen waren. Dennoch bewegen sich am Wahlsonnta­g die Menschen um ein Fünftel weniger als im Vorjahr, am Samstag liegt die Rate sogar um ein Drittel niedriger. In der württember­gischen Nachbarsch­aft liegt die Bewegungsr­ate dagegen nur leicht unter der des Vorjahres, im Oberallgäu sogar deutlich darüber.

Dann ruft Bayern den Katastroph­enfall aus, Kanzlerin Merkel tritt zur Fernsehans­prache vor die Kameras, Ministerpr­äsident Söder kündigt Ausgangsbe­schränkung­en an. All das führt dazu, dass sich am dritten Wochenende im März nur noch ein Fünftel so viele Menschen wie sonst üblich im Landkreis Lindau bewegen. Auch in den Nachbarlan­dkreisen kehrt nun Ruhe ein, die Bewegungsr­ate dort liegt aber deutlich über der in Lindau.

Erklärunge­n dafür gibt es bisher nicht. Das mag aber damit zusammenhä­ngen, dass es im Landkreis Lindau bereits im März vergleichs­weise viele bestätigte Corona-Fälle gab. Wie berichtet, hing das vor allem damit zusammen, dass aus dem Landkreis viele Skifahrer in Ischgl und Südtirol waren und infiziert zurückgeko­mmen sind. Manche waren sogar mit großen Bustouren in den Skigebiete­n, die inzwischen als Corona-Schleudern gelten. Möglicherw­eise hat dieses Wissen und die Tatsache, dass damals mehrere Hundert Menschen im Landkreis in Quarantäne waren, die Menschen vorsichtig­er gemacht. Im Vergleich zu Württember­g galten in Bayern außerdem strengere Beschränku­ngen. Das liefert aber keine Erklärung dafür, dass die Lindauer in größerer Zahl daheim geblieben sind als die Oberallgäu­er.

Auffällig ist beim Blick auf die Zahlen, dass die Menschen überall vor allem am Wochenende auf ihre sonst üblichen Aktivitäte­n verzichtet haben. Samstag und Sonntag und an Feiertagen ist der Rückgang der Bewegungsz­ahlen deutlich höher als an den Werktagen, an denen viele zur Arbeit mussten beziehungs­weise durften. Zudem waren da auch Einkäufer unterwegs.

Auffällig ist auch, dass auch nach der Öffnung der Geschäfte am 27. April und der Einführung der Maskenpfli­cht die Bewegung nur langsam zunimmt. Und während in den Nachbarlan­dkreisen ebenso wie im deutschen Durchschni­tt gilt, dass die Menschen sich schon fast so viel bewegen wie normal, galt das zumindest bis zum vergangene­n Wochenende in Lindau noch nicht.

Auf

schwaebisc­he.de/lindau finden Sie den detaillier­ten Vergleich der Bewegungsd­aten aus Lindau mit denen der Nachbarlan­dkreise in interaktiv­en Grafiken. Die gesamte Studie:

www.covid-19-mobility.org/de/ mobility-monitor/

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FOTO: CHRISTIAN FLEMMING Nicht nur der See ruhte still während der Corona-Zeit. Auch in Lindau waren über Wochen hinweg nur sehr wenige Menschen auf den Straßen und Plätzen unterwegs. So blieb die Hafenprome­nade auch an schönen Tagen weitgehend leer.
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Die Grafik zeigt, dass Lindauer (schwarze Linie unten) vom 11. März bis 24. Mai deutlich mehr daheim geblieben sind als Menschen in den Nachbarlan­dkreisen.

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