SPD-Chefs mit beschränkter Wirkung
Ein halbes Jahr nach Antritt des Duos Esken und Walter-Borjans werden andere als Kanzlerkandidaten gehandelt
- Saskia Esken sorgte gerade wieder für Aufregung. „58 und Antifa. Selbstverständlich“, schrieb die SPD-Parteichefin am Montag auf Twitter. Die Kombination von Altersangabe und der Abkürzung des Wortes Antifaschismus war als Reaktion auf US-Präsident Donald Trump gemünzt, der die Proteste in den USA Linksradikalen in die Schuhe schieben will. Schnell war die Aufregung in Berlin groß, denn als „Antifa“bezeichnen sich auch Autonome der linksradikalen und -extremen Szene. Und so gab es umgehend erwartbare Reaktionen: CDU-General Paul Ziemiak warf Esken fehlende Kraft zur Differenzierung vor, seine FDP-Kollegin Linda Teuteberg diagnostizierte „Geschichtsvergessenheit“und der intern angeschlagene AfD-Parteichef Jörg Meuthen schimpfte, Esken bekenne sich zu einer „Terrorgruppe“.
Folgen dürfte die ganze Debatte nicht haben, und das ist bei der aktuellen SPD-Spitze nichts Ungewöhnliches: Am kommenden Samstag sind Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans (Nowabo) sechs Monate im Amt. Die Schwäbin und der Niederrheiner hatten sich nach dem Rückzug von Andrea Nahles in einem monatelangen parteiinternen Mitgliederentscheid durchgesetzt. Doch ein echter Machtfaktor ist das Duo seitdem nicht geworden. Oft fallen die Vorsitzenden mit Interviews oder Tweets auf – doch praktische Politik wird bislang selten daraus.
In der Regierung haben die SPDMinister um Vizekanzler Olaf Scholz und die Bundestagsfraktion unter Führung von Rolf Mützenich das Sagen. Und wenn es darum geht, wer in der SPD Kanzler kann und im Wahljahr 2021 antreten soll, fallen auch genau diese Namen: Scholz, der eher im rechten Parteiflügel verortet wird und als Finanzminister in der Corona-Krise an Profil gewonnen hat. Und Mützenich, der aus allen Flügeln der Fraktion für seinen Führungsstil gelobt wird, die nukleare Teilhabe Deutschlands infrage stellt und somit auf dem linken Flügel der Partei verortet wird. Esken und Nowabo sind raus. Und das, obwohl sie sich im Mitgliederentscheid gegen Olaf Scholz durchgesetzt hatten.
Die Ulmer Parteilinke Hilde Mattheis hofft indes, dass da noch was Programmatisches kommt: „Eine Krise wie im Moment ist natürlich Zeit des Parlaments und der Regierung, die die Entscheidungsmacht in den Händen halten. Daher ist es nicht verwunderlich, dass die Parteivorsitzenden weniger in Erscheinung treten“, sagt Mattheis der „Schwäbischen Zeitung“. „Ich gehe aber davon aus, dass in Richtung Wahlprogramm mehr und konkrete Impulse von den Vorsitzenden kommen, die uns von der Union abgrenzen“, ergänzt sie.
Mattheis hofft darauf, dass sich die SPD nach der Wahl mit einem linken Profil an die Spitze einer rot-rotgrünen Regierung setzen kann. Und wünscht sich ein entsprechendes Alternativangebot zu einem Unionskandidaten: „Eine Kanzlerkandidatin oder Kanzlerkandidat muss zum Programm passen und eine klare Abgrenzung zur CDU/CSU bilden. Sie oder er müssen deutlich machen, für welche unterschiedlichen Gesellschaftsprogramme Union und SPD stehen und das auch glaubwürdig vertreten, damit die Bürger*innen klare Wahlalternativen haben“, schreibt sie in einem Statement.
Ganz anders sieht dies Mattheis’ Neu-Ulmer Wahlkreisnachbar KarlHeinz Brunner: „Wir werden als SPD nur Wähler in der Mitte gewinnen können“, erklärt er – und hat deswegen einen Favoriten: „Ich persönlich denke, dass wir mit Olaf Scholz einen guten Kanzlerkandidaten und einen guten Kanzler hätten“, sagt er der „Schwäbischen Zeitung“. „Aber ich könnte mit Rolf Mützenich auch sehr gut leben.“
Doch ist die Diskussion überhaupt angebracht? Martin Gerster, SPD-Bundestagsabgeordneter für Biberach, hält sie derzeit für so nötig wie einen Kropf: „Die Kanzlerkandidatur der SPD steht erstmal nicht im Vordergrund. Die wichtige Frage ist derzeit, wie wir aus der Corona-Krise kommen. Wir müssen ein intelligentes und nachhaltiges Konjunkturpaket auf den Weg bringen. Mit der Kanzlerkandidatur können wir uns noch im Herbst oder Winter befassen.“Doch dann könnte es schon zu spät sein. Im Dezember will die CDU in Stuttgart ihren Parteichef küren, danach zusammen mit der Schwesterpartei
CSU einen Kanzlerkandidaten für die Bundestagswahl im Herbst 2021 aufstellen. Weil Angela Merkel eine weitere Amtszeit bisher ablehnt, geht die regierende Union wohl erstmals seit Jahrzehnten nicht mit dem Regierungschef in den Wahlkampf. Das ist eine ungewöhnliche Konstellation, denn bisher hat die Union in solchen Fällen auf das Adenauer-Motto „Keine Experimente!“gesetzt. 2013 plakatierte die CDU sogar einfach die zur „Merkel-Raute“. geformten Kanzlerinnenhände.
Wenn die SPD schneller ist, könnte sie sich sogar als kleinerer Koalitionspartner profilieren, glauben Parteistrategen. Und möglicherweise könnte eine Flügelstrategie die bisher bei Umfragewerten von 15 Prozent dümpelnde Partei stärken. Die Idee: Einer wie Scholz könnte die Mitte ansprechen, während die linke Parteispitze die Gefühle der Genossen streichelt. Immerhin waren auch Helmut Schmidt und Gerhard Schröder in der eigenen Partei nicht immer wohlgelitten. Das wäre auch ein Argument, Scholz trotz seiner Niederlage im parteiinternen Vorsitzendenwettbewerb aufzustellen.
Im Berliner Willy-Brandt-Haus wird bereits an solchen Modellen gearbeitet. Ende August und Anfang September gehen die SPD-Gremien in Klausur. Da könnte man die Marschrichtung festlegen. Brunner wünscht sich eine frühe Festlegung: „Wir sollten die Entscheidung im Herbst treffen. Wobei der Herbst ja kalendarisch bis zum 21. Dezember reicht.“
Federführend bei der Strategieerarbeitung sind wohl nicht die Parteichefs, sondern ihr Generalsekretär. Der heißt Lars Klingbeil, ist 42 und gilt als aufstrebendes Jungtalent. Der Abgeordnete aus dem starken SPDLandesverband Niedersachsen hat in seinem Amt bereits zwei Chefwechsel überstanden, ist gut vernetzt und hat den SPD-Mitgliederentscheid organisatorisch gut gewuppt. Nicht wenige sehen in ihm den heimlichen Herrscher der Parteizentrale. Das Mitglied des konservativen „Seeheimer Kreises“versteht sich zudem gut mit dem linken Juso-Chef Kevin Kühnert (30). Einige in der Partei sehen in der K&K-Kombination eine neue Machtbasis entstehen. Unabhängig davon, was Esken twittert.