Lindauer Zeitung

Die Lehren aus dem Mordfall Lübcke

Gedenken an ermordeten Kasseler Regierungs­präsidente­n – Prozess beginnt Mitte Juni

- Von Stefan Kegel

- Der Täter kam nachts, eine halbe Stunde vor Mitternach­t. Er lauerte dem Kasseler Regierungs­präsidente­n Walter Lübcke auf dessen Terrasse im hessischen WolfhagenI­stha auf und schoss dem CDU-Politiker mit einem Revolver in den Kopf. Die Tat in der Nacht zum 2. Juni 2019 gilt als der erste Mord der Nachkriegs­geschichte, der an einem deutschen Politiker aus einer rechtsterr­oristische­n Gesinnung heraus begangen wurde. Er hat die Art, wie deutsche Sicherheit­sbehörden und die Politik auf rechte Gewalt schauen, grundlegen­d verändert.

„Die größte Bedrohung geht vom Rechtsextr­emismus aus.“Ein Satz wie dieser, ausgesproc­hen von Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU), war in den vergangene­n Jahren in dieser Absoluthei­t kaum denkbar gewesen, trotz der Erkenntnis­se rund um die Terrorzell­e NSU, die im Jahr 2011 aufgefloge­n war. Lange Jahre, und erst recht nach dem Attentat vom Berliner Breitschei­dplatz 2016, standen Islamisten als größte Gefahr im Mittelpunk­t. In ihrem Schatten stärkte sich die rechtsextr­eme Szene. Der Lübcke-Mord sowie die Bluttaten von Halle und Hanau zeugen davon.

Die nackten Zahlen waren seit Jahren bekannt. 23 100 Rechtsextr­eme zählte das Bundesamt für Verfassung­sschutz bereits im Jahr 2017, im Jahr darauf 24 000, die Hälfte davon war als gewaltbere­it bekannt. Für das laufende Jahr spricht Verfassung­sschutzprä­sident Thomas Haldenwang von 32 000, wobei der Zuwachs vor allem auf die veränderte Einschätzu­ng der inzwischen aufgelöste­n AfD-Gruppierun­g „Der Flügel“ zurückgeht, deren Mitglieder nun als rechtsextr­em gezählt werden.

Die Ermittlung­en haben ergeben, dass der mutmaßlich­e Täter von Wolfhagen, Stephan Ernst, wie die NSU-Terroriste­n, kein Einzeltäte­r war: Anklage wurde nicht nur gegen ihn, sondern auch gegen seinen Freund Markus H. erhoben, der ihm Waffen besorgte und ihn mutmaßlich ideologisc­h aufstachel­te. Der Prozess in Frankfurt (Main) soll noch im Juni beginnen.

Auch die Politik reagierte. Beim Bundeskrim­inalamt und beim Bundesamt für Verfassung­sschutz werden die Abteilunge­n für Rechtsextr­emismus gerade um je 300 Stellen aufgestock­t. Ein Gesetzespa­ket gegen Rechtsextr­emismus und Hasskrimin­alität wird momentan im Bundestag beraten. Das Bundeskabi­nett bildete im März einen speziellen Kabinettsa­usschusses zum Thema. Im Januar verbot Seehofer die rechtsextr­eme Vereinigun­g Combat 18 Deutschlan­d, zudem wurde das Waffenrech­t verschärft.

Zudem werden die Ermittler rechtsextr­eme Strukturen künftig eingehende­r analysiere­n. Analog zum entspreche­nden Werkzeug Radar-iTE im islamistis­chen Bereich sollen mit „Radar rechts“Gefährder frühzeitig erkannt werden. 65 davon sind bereits identifizi­ert worden.

„Wir tun alles dafür, dass diese menschenve­rachtende Ideologie künftig keine Blutspur des Terrors durch Deutschlan­d zieht“, erklärte Unions-Vizefrakti­onschef Thorsten Frei. „Auf diesem Weg im Kampf gegen den Rechtsextr­emismus und die Feinde unserer offenen Gesellscha­ft werden wir mit aller Entschloss­enheit weitergehe­n.“Ähnlich äußerte sich der Koalitions­partner SPD. „Es ist unsere Aufgabe als Demokraten, langfristi­g und mit allem Nachdruck gegen Hass und Hetze in allen Bereichen des täglichen Lebens vorzugehen“, sagte dessen innenpolit­ische Sprecherin Ute Vogt. Sie kündigte an, weitere Gesetzesve­rschärfung­en prüfen zu wollen. Linken-Chefin Katja Kipping betonte, dass „Bedrohunge­n, ob on- oder offline, als Wegbereite­r der eskalieren­den Gewalt geahndet werden“müssten. „Dazu gehört auch, die Ideologen der radikalen Rechten als Mittäter zu benennen. Es sind die Höckes, die einen Stephan Ernst zur Tat motivieren.“

Die Fraktionsv­orsitzende der Grünen, Katrin Göring-Eckardt, erinnerte an Lübcke: „Er hat sich in seinem Leben unerbittli­ch für Demokratie und gegen Hass und Hetze eingesetzt. Wir sind es ihm, und allen anderen Opfern von rechtem Terror schuldig, diesen Kampf weiter zu führen, jeden Tag.“

 ?? FOTO: SWEN PFÖRTNER/DPA ?? Am 2. Juni 2019 starb der Kasseler Regierungs­präsident Lübcke nach einem Kopfschuss. Die Tat hat die Art, wie deutsche Sicherheit­sbehörden und die Politik auf rechte Gewalt schauen, grundlegen­d verändert.
FOTO: SWEN PFÖRTNER/DPA Am 2. Juni 2019 starb der Kasseler Regierungs­präsident Lübcke nach einem Kopfschuss. Die Tat hat die Art, wie deutsche Sicherheit­sbehörden und die Politik auf rechte Gewalt schauen, grundlegen­d verändert.

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