Mit der App in die neue Freiheit
Frankreich setzt parallel zu neuen Lockerungsmaßnahmen auf Corona-Warn-App – Doch die ist umstritten
- Erst sollte sie am 11. Mai fertig sein, dann am Pfingstwochenende. Doch die neue Anti-Corona-App ließ auch am Dienstag noch auf sich warten, obwohl die Regierung sie für Punkt Zwölf angekündigt hatte. „Letzte Einstellungen“, entschuldigte sich der Leiter des nationalen Instituts für Digitaltechnologien, INRIA, das die App zusammen mit Unternehmen wie dem Telekomanbieter Orange und dem Softwareunternehmen Dassault Systèmes entwickelt hatte. Der Zeitpunkt für das Warnsystem, das wie in Deutschland Nutzer über Infektionen in ihrer Nähe informieren soll, war gut gewählt: Nach dem Abflauen der Corona-Pandemie wurden die Zwangsmaßnahmen in Frankreich nämlich weiter gelockert: So öffneten Bars, Cafés und Restaurants nach fast dreimonatiger Pause wieder. Auch Reisen über mehr als 100 Kilometer wurden wieder erlaubt.
Dass die neue Freiheit eine neue Infektionswelle verursacht, soll die App StopCovid verhindern. „Wir zielen in erster Linie auf die Menschen in den Städten, denn sie geben das Virus weiter“, sagte der Staatssekretär für Digitales, Cédric O, am Wochenende in einem Radiointerview. Zielgruppe seien beispielsweise die Pariser, die zur Rush Hour in der Metro fahren. Ähnlich wie in Deutschland basiert die App auf Freiwilligkeit. Sie erfasst per Bluetooth alle Nutzer, die sich in den vergangenen zwei Wochen eine Viertelstunde oder länger im Abstand von weniger als einem Meter um den Besitzer des Telefons aufgehalten haben. Dabei werden die Daten hinter pseudonymen IDs verpackt. Auch auf die Telefonkontakte der Nutzer hat die App keinen Zugriff. Sie soll lediglich dabei helfen, Infektionsketten zu unterbrechen, denn Frankreich ist mit knapp 29 000 Toten eines der am meisten von Covid-19 betroffenen Länder in Europa.
Wenn sich einer der per Bluetooth erfassten Kontakte infiziert, werden alle erfassten „Nachbarn“informiert und aufgefordert, sich testen zu lassen oder in Quarantäne zu begeben. Damit es keinen falschen Alarm gibt, muss das Laborergebnis per Flashcode eingescannt werden. Im Gegensatz zu Deutschland arbeitet Frankreich nicht mit den Internetgiganten Google und Apple zusammen, um seine „Souveränität“zu wahren. Große Unternehmen dürften über die App keinen Einfluss auf die Gesundheitspolitik eines Landes nehmen, erklärte Gesundheitsminister Olivier Véran. Der konservative Senator Bruno Retailleau warnte Länder wie Deutschland oder Italien, das seine Warn-App ebenfalls am Dienstag startete, gar vor einer „Unterwerfung“unter die US-Konzerne. Durch die Zusammenarbeit mit Apple und Google werden die
Daten in Deutschland dezentral gespeichert, in Frankreich dagegen auf einem zentralen Server – und zwar bis zu sechs Monate nach Ende des Ausnahmezustands im Juli. Ein Grund für Kritik an der neuen App.
Laut einer Umfrage sind nur 45 Prozent der Franzosen generell bereit, StopCovid zu installieren. Der Anteil von 60 Prozent Nutzern, der die App erst effizient macht, dürfte damit nicht erreicht werden. Schwierig ist das neue Warn-Instrument vor allem für alle Besitzer eines iPhones, denn die StopCovid läuft nicht im Hintergrund mit. Sie muss immer neu geöffnet werden, damit das Tracing überhaupt funktioniert.
„Ich gehöre zu denen, die nicht wollen, dass man weiß, neben wem ich während einer Viertelstunde weniger als einen Meter weit weg war,“kritisierte der Chef der Linksaußen-Partei La France Insoumise, Jean-Luc Mélenchon, das neue Warninstrument in der Nationalversammlung. Auch einige Mitglieder der Regierungspartei La République en Marche sehen dadurch den Schutz des Privatlebens in Gefahr. Es bestehe das Risiko, dass die Daten für falsche Zwecke verwendet werden, warnte der Abgeordnete Sacha Houlié. So könnten Betriebe auf diese Art Angaben über die Gesundheit ihrer Angestellten erhalten. Die Datenschutzkommission CNIL hatte keine Einwände gegen die App. „Sie erlaubt schnelleren Alarm im Fall eines Kontakts mit einer infizierten Person und das auch bei Unbekannten“, erklärte die Kommission. Ob die App tatsächlich hilfreich ist, will die CNIL allerdings erst testen, wenn das Instrument auch tatsächlich genutzt werden kann. Am Dienstagabend stand die kostenlose Anwendung schließlich zum Herunterladen auf das Handy bereit.