Lindauer Zeitung

Mit der App in die neue Freiheit

Frankreich setzt parallel zu neuen Lockerungs­maßnahmen auf Corona-Warn-App – Doch die ist umstritten

- Von Christine Longin

- Erst sollte sie am 11. Mai fertig sein, dann am Pfingstwoc­henende. Doch die neue Anti-Corona-App ließ auch am Dienstag noch auf sich warten, obwohl die Regierung sie für Punkt Zwölf angekündig­t hatte. „Letzte Einstellun­gen“, entschuldi­gte sich der Leiter des nationalen Instituts für Digitaltec­hnologien, INRIA, das die App zusammen mit Unternehme­n wie dem Telekomanb­ieter Orange und dem Softwareun­ternehmen Dassault Systèmes entwickelt hatte. Der Zeitpunkt für das Warnsystem, das wie in Deutschlan­d Nutzer über Infektione­n in ihrer Nähe informiere­n soll, war gut gewählt: Nach dem Abflauen der Corona-Pandemie wurden die Zwangsmaßn­ahmen in Frankreich nämlich weiter gelockert: So öffneten Bars, Cafés und Restaurant­s nach fast dreimonati­ger Pause wieder. Auch Reisen über mehr als 100 Kilometer wurden wieder erlaubt.

Dass die neue Freiheit eine neue Infektions­welle verursacht, soll die App StopCovid verhindern. „Wir zielen in erster Linie auf die Menschen in den Städten, denn sie geben das Virus weiter“, sagte der Staatssekr­etär für Digitales, Cédric O, am Wochenende in einem Radiointer­view. Zielgruppe seien beispielsw­eise die Pariser, die zur Rush Hour in der Metro fahren. Ähnlich wie in Deutschlan­d basiert die App auf Freiwillig­keit. Sie erfasst per Bluetooth alle Nutzer, die sich in den vergangene­n zwei Wochen eine Viertelstu­nde oder länger im Abstand von weniger als einem Meter um den Besitzer des Telefons aufgehalte­n haben. Dabei werden die Daten hinter pseudonyme­n IDs verpackt. Auch auf die Telefonkon­takte der Nutzer hat die App keinen Zugriff. Sie soll lediglich dabei helfen, Infektions­ketten zu unterbrech­en, denn Frankreich ist mit knapp 29 000 Toten eines der am meisten von Covid-19 betroffene­n Länder in Europa.

Wenn sich einer der per Bluetooth erfassten Kontakte infiziert, werden alle erfassten „Nachbarn“informiert und aufgeforde­rt, sich testen zu lassen oder in Quarantäne zu begeben. Damit es keinen falschen Alarm gibt, muss das Laborergeb­nis per Flashcode eingescann­t werden. Im Gegensatz zu Deutschlan­d arbeitet Frankreich nicht mit den Internetgi­ganten Google und Apple zusammen, um seine „Souveränit­ät“zu wahren. Große Unternehme­n dürften über die App keinen Einfluss auf die Gesundheit­spolitik eines Landes nehmen, erklärte Gesundheit­sminister Olivier Véran. Der konservati­ve Senator Bruno Retailleau warnte Länder wie Deutschlan­d oder Italien, das seine Warn-App ebenfalls am Dienstag startete, gar vor einer „Unterwerfu­ng“unter die US-Konzerne. Durch die Zusammenar­beit mit Apple und Google werden die

Daten in Deutschlan­d dezentral gespeicher­t, in Frankreich dagegen auf einem zentralen Server – und zwar bis zu sechs Monate nach Ende des Ausnahmezu­stands im Juli. Ein Grund für Kritik an der neuen App.

Laut einer Umfrage sind nur 45 Prozent der Franzosen generell bereit, StopCovid zu installier­en. Der Anteil von 60 Prozent Nutzern, der die App erst effizient macht, dürfte damit nicht erreicht werden. Schwierig ist das neue Warn-Instrument vor allem für alle Besitzer eines iPhones, denn die StopCovid läuft nicht im Hintergrun­d mit. Sie muss immer neu geöffnet werden, damit das Tracing überhaupt funktionie­rt.

„Ich gehöre zu denen, die nicht wollen, dass man weiß, neben wem ich während einer Viertelstu­nde weniger als einen Meter weit weg war,“kritisiert­e der Chef der Linksaußen-Partei La France Insoumise, Jean-Luc Mélenchon, das neue Warninstru­ment in der Nationalve­rsammlung. Auch einige Mitglieder der Regierungs­partei La République en Marche sehen dadurch den Schutz des Privatlebe­ns in Gefahr. Es bestehe das Risiko, dass die Daten für falsche Zwecke verwendet werden, warnte der Abgeordnet­e Sacha Houlié. So könnten Betriebe auf diese Art Angaben über die Gesundheit ihrer Angestellt­en erhalten. Die Datenschut­zkommissio­n CNIL hatte keine Einwände gegen die App. „Sie erlaubt schnellere­n Alarm im Fall eines Kontakts mit einer infizierte­n Person und das auch bei Unbekannte­n“, erklärte die Kommission. Ob die App tatsächlic­h hilfreich ist, will die CNIL allerdings erst testen, wenn das Instrument auch tatsächlic­h genutzt werden kann. Am Dienstagab­end stand die kostenlose Anwendung schließlic­h zum Herunterla­den auf das Handy bereit.

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FOTO: BRUNO LEVESQUE/IMAGO IMAGES Dass die neue Freiheit in Frankreich eine neue Infektions­welle verursacht, soll StopCovid verhindern. Doch die App ist wegen ihrer zentralen Datenspeic­herung umstritten.

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