Lindauer Zeitung

Von Bor bis Zyankali

Chemielabo­rant stiehlt und hortet gefährlich­e Substanzen

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(dpa) - Offenbar aus Spaß an Experiment­en hat ein Mann tonnenweis­e gefährlich­e Chemikalie­n gestohlen und in einem alten Haus in Eppingen (Kreis Heilbronn) gelagert. Vor dem Landgerich­t Karlsruhe, wo am Dienstag der Prozess gegen den 46-Jährigen begann, wird er voraussich­tlich mit einer Bewährungs­strafe davonkomme­n. Im Gegenzug für ein glaubwürdi­ges Geständnis soll die Freiheitss­trafe nach einem Verständig­ungsgesprä­ch zwischen Gericht, Staatsanwa­ltschaft und Verteidigu­ng bei 20 bis 24 Monaten liegen und um etwa 150 Arbeitsstu­nden ergänzt werden. Der Chemielabo­rant und frühere Mitarbeite­r des Karlsruher Instituts für Technologi­e (KIT) sagte nach der Verlesung der Anklagesch­rift: „Ja, das stimmt.“

Warum er solch große Mengen zum Teil hochgiftig­er Stoffe stahl, fragte der Vorsitzend­e Richter. „Mit der Zeit sammelt sich das an“, meinte der Angeklagte lapidar und fügte hinzu, er habe neuartige Isoliermat­erialien entwickeln wollen.

Die Staatsanwa­ltschaft wirft dem Mann vor, von 2009 bis 2014 immer wieder Chemikalie­n auf Kosten seines Arbeitgebe­rs bestellt und mit nach Hause genommen zu haben. Darunter waren etwa Bor, Quecksilbe­roxid, Strontium, Schwefelsä­ure und auch drei Fässer Zyankali. Zumeist hatte er im Abstand von wenigen Tagen bis Wochen kleinere Mengen für Summen oft unter 100 Euro geordert. Dazu kamen Werkzeuge und Laborausrü­stung wie spezielle Glasflasch­en und Edelstahlw­annen.

Insgesamt bargen Fachleute einschließ­lich Gefäßen und Verpackung­en rund 25 Tonnen aus dem Haus, das den Eltern des Angeklagte­n gehört, und einem weiteren Keller. Alle Stoffe seien gut verpackt und zum größten Teil beschrifte­t gewesen, sagte eine Kriminalbe­amtin. Der Fund habe bei den Chemikern des KIT Eindruck hinterlass­en, besonders die Fässer mit zusammen 150 Kilogramm Zyankali. „Es war ein verheerend­er Eindruck.“Und: „Es war vom Boden bis zur Decke voll, man kam kaum die Treppe runter.“

Der Angeklagte hielt dagegen, er habe für eine sichere Lagerung gesorgt. Die Chemikalie­n seien zum Teil in Schränken verstaut gewesen, manche Gefäße hätten in Stahlwanne­n gestanden, er habe nichts Gefährlich­es gemacht. Die Liste der Asservaten umfasste am Ende 6000 Positionen. Das Haus ist bis heute belastet und unbewohnba­r. Als der Vorsitzend­e Richter dem Mann vorhielt, ein Feuer hätte zu einer Katastroph­e führen können, antwortete der 46-Jährige, es habe eine Feuerschut­ztür gegeben, räumte aber ein: „Ein Brand ist immer schlecht.“

Der Chemielabo­rant konnte seine Diebstahls­erie lange fortsetzen, ohne aufzuflieg­en. Offenbar mangelte es an internen Kontrollen von Bestellung­en, Materialbe­stand und Materialve­rbrauch im KIT. Allerdings ist ein Überziehen des Budgets in der Arbeitsgru­ppe aufgefalle­n, in der der Angeklagte arbeitete. Schließlic­h wurde er bei einer gezielten Ausfahrtsk­ontrolle durch den KITWachsch­utz erwischt: Im Kofferraum lagen gestohlene Gegenständ­e.

Der Angeklagte, der heute von Hartz IV lebt und nach eigenen Angaben keine Chance auf dem Arbeitsmar­kt mehr hat, saß rund sechs Monate in Untersuchu­ngshaft. Der Vorsitzend­e Richter hielt ihm zugute, dass er nicht vorbestraf­t und seit den Taten viel Zeit vergangen sei. Der Prozess wird an diesem Donnerstag fortgesetz­t.

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