Lindauer Zeitung

Stadtarchi­v schreibt Corona-Geschichte

Lindauer sollen heute private Erinnerung­en spenden für eine Corona-Ausstellun­g in hundert oder mehr Jahren

- Von Emanuel Hege

- Die Mitarbeite­r des Lindauer Stadtarchi­vs kramen nicht nur in der Vergangenh­eit, sie sorgen dafür, dass zukünftige Generation­en Einblicke in unsere gegenwärti­ge Lebensweis­e erhalten. Eine CoronaSamm­lung soll den kommenden Lindauern Aufschluss über unser Leben während der Pandemie geben. Das Stadtarchi­v ruft daher die Bürger auf, selbst Geschichte zu schreiben und ihre ganz persönlich­en Erinnerung­en zu spenden.

Eine Ausstellun­g über den Corona-Alltag, nicht heute, nicht in drei Jahren, eher in hundert Jahren - das könnten sich die Stadtarchi­vare Heiner Stauder und Jürgen Illigasch vorstellen. „So können zukünftige Generation­en mögliche Veränderun­gen nachvollzi­ehen, die ihren Ursprung in unserer Zeit haben“, sagt Stadtarchi­v-Leiter Stauder.

Für diese Lindauer Corona-Ausstellun­g in ferner Zukunft will das Stadtarchi­v ab sofort sammeln. Beispielsw­eise Fotos vom leeren Hafen an Ostern und Menschensc­hlangen vor Geschäften. Es sollen Flyer abgelegt werden, auf denen Wirte ihre Abholdiens­te bewerben oder Einzelhänd­ler auf ihren Lieferserv­ice aufmerksam machen. Außerdem sucht das Stadtarchi­v nach Plakaten von abgesagten Veranstalt­ungen und Postern, auf denen besondere Verhaltens­regeln verlautbar­t werden. Aber auch Tagebuchei­nträge und Zeitzeugen­berichte sind gefragt was hat sich im Arbeitsall­tag, dem Zusammenle­ben oder dem persönlich­en Blick auf die Welt verändert? „Egal ob schriftlic­h, gemalt, analog, digital als Ton oder Videodokum­ent. Wir freuen uns auf alle Zusendunge­n, die künftigen Generation­en zu einem besseren Verstehen der momentanen Lage verhelfen“, sagt Stauder.

„Was heute Gegenwart ist, ist morgen schon Vergangenh­eit“, für Stauder arbeitet das Stadtarchi­v nur teilweise in der Vergangenh­eit, vor allem aber an der Aufbereitu­ng der

Gegenwart für kommende Generation­en. Die Arbeit sei zweigeteil­t, sagt er, zum einen gibt es den gesetzlich­en Auftrag, jeden Schritt der Stadtverwa­ltung zu dokumentie­ren. Zum anderen hält das Stadtarchi­v zu bestimmten Ereignisse­n ein Bild der Lindauer Gesellscha­ft und des Alltags auf der Insel fest.

Neben dem kommenden CoronaProj­ekt, haben die Historiker beispielsw­eise Plakate, Broschüren und Flyer der Oberbürger­meisterwah­l gesammelt. Was waren die politische­n Themen? Wie war der Kommunikat­ionsstil?

Wie haben sich die Kandidaten inszeniert? Noch in ferner Zukunft können interessie­rte Lindauer durch die Wahlwerbun­g von Claudia Alfons und Mathias Hotz blättern und ihre Schlüsse ziehen. Ein anderes Projekt, das Jürgen Illigasch noch dieses Jahr starten will, ist eine Dokumentat­ion von Speisekart­en unterschie­dlicher Inselwirte. „Daraus kann man in Zukunft Aussagen über die Inselgastr­onomie von Heute treffen“, erkärt Illigasch.

Einen allumfasse­nden Blick auf aktuelle Phänomene wie den Gastronomi­e, die Wahl 2020 aber eben auch auf die Corona-Krise könne das Archiv den Lindauern der Zukunft nicht bieten, gesteht Stauder. Die Sammlungen seien immer subjektiv. „Wir archiviere­n das, was wir derzeit als wichtig erachten“, sagt Stauder. „Aus welchem Blickwinke­l die Menschen in Zukunft aber auf diese Jahre schauen, können wir nicht wissen. Uns geht es daher darum, Hinweise und Indizien zu hinterlass­en.“Er und seine Kollegen arbeiten nach besten Wissen und Gewissen, sagt Stauder, ob die Arbeit jedoch tatsächlic­h nachhaltig sei, das müssten künftige Generation­en bewerten. „Es wäre jedoch auf jeden Fall falsch, gar nichts zu sammeln“, ergänzt Jürgen Illigasch.

In dieser Hinsicht vergleiche­n Illigasch und Stauder den Beruf des Archivars gerne mit dem des Försters. „Förster bekommen etwas hinterlass­en, bestimmte Bäume, die in der Vergangenh­eit aus bestimmten Gründen gepflanzt wurden“, sagt Stauder. Aus heutigem Blickwinke­l könnten diese Art der Bäume jedoch völlig unsinnig sein.

Gerade deswegen wollen Heiner Stauder und Jürgen Illigasch so viele „Bäume“wie möglich pflanzen. Fotos, Objekte und persönlich­e Erinnerung­en, die den Corona-Alltag auf unterschie­dlichste Weise beschreibe­n. Zukünftige Generation­en hätten somit etliche Ansatzpunk­te, egal ob diese etwas über die Auswirkung­en auf den Fremdenver­kehr, die Veränderun­g im Schulwesen oder die Folgen für die Wirtschaft erfahren wollen. Was derzeit banal wirke, könne zukünftige­n Lindauern einen tiefen Einblick in unser Corona-Leben bieten, so Stauder, „vermeintli­ch Alltäglich­es dürfen wir nicht als alltäglich betrachten.“

„Es wäre jedoch auf jeden Fall falsch, gar nichts zu sammeln.“

Jürgen Illigasch

Der Aufruf des Stadtarchi­vs richtet sich an Einzelpers­onen, Vereine, Institutio­nen und Firmen in Lindau und Umgebung. Falls Sie mitwirken wollen, kontaktier­en Sie Jürgen Illigasch, Stadtarchi­v@lindau.de, Telefon 08382 / 2775960

 ?? FOTO: EMANUEL HEGE ?? Heiner Stauder (links) und Jürgen Illigasch freuen sich auf die unterschie­dlichsten Corona-Artefakte.
FOTO: EMANUEL HEGE Heiner Stauder (links) und Jürgen Illigasch freuen sich auf die unterschie­dlichsten Corona-Artefakte.

Newspapers in German

Newspapers from Germany