Stadtarchiv schreibt Corona-Geschichte
Lindauer sollen heute private Erinnerungen spenden für eine Corona-Ausstellung in hundert oder mehr Jahren
- Die Mitarbeiter des Lindauer Stadtarchivs kramen nicht nur in der Vergangenheit, sie sorgen dafür, dass zukünftige Generationen Einblicke in unsere gegenwärtige Lebensweise erhalten. Eine CoronaSammlung soll den kommenden Lindauern Aufschluss über unser Leben während der Pandemie geben. Das Stadtarchiv ruft daher die Bürger auf, selbst Geschichte zu schreiben und ihre ganz persönlichen Erinnerungen zu spenden.
Eine Ausstellung über den Corona-Alltag, nicht heute, nicht in drei Jahren, eher in hundert Jahren - das könnten sich die Stadtarchivare Heiner Stauder und Jürgen Illigasch vorstellen. „So können zukünftige Generationen mögliche Veränderungen nachvollziehen, die ihren Ursprung in unserer Zeit haben“, sagt Stadtarchiv-Leiter Stauder.
Für diese Lindauer Corona-Ausstellung in ferner Zukunft will das Stadtarchiv ab sofort sammeln. Beispielsweise Fotos vom leeren Hafen an Ostern und Menschenschlangen vor Geschäften. Es sollen Flyer abgelegt werden, auf denen Wirte ihre Abholdienste bewerben oder Einzelhändler auf ihren Lieferservice aufmerksam machen. Außerdem sucht das Stadtarchiv nach Plakaten von abgesagten Veranstaltungen und Postern, auf denen besondere Verhaltensregeln verlautbart werden. Aber auch Tagebucheinträge und Zeitzeugenberichte sind gefragt was hat sich im Arbeitsalltag, dem Zusammenleben oder dem persönlichen Blick auf die Welt verändert? „Egal ob schriftlich, gemalt, analog, digital als Ton oder Videodokument. Wir freuen uns auf alle Zusendungen, die künftigen Generationen zu einem besseren Verstehen der momentanen Lage verhelfen“, sagt Stauder.
„Was heute Gegenwart ist, ist morgen schon Vergangenheit“, für Stauder arbeitet das Stadtarchiv nur teilweise in der Vergangenheit, vor allem aber an der Aufbereitung der
Gegenwart für kommende Generationen. Die Arbeit sei zweigeteilt, sagt er, zum einen gibt es den gesetzlichen Auftrag, jeden Schritt der Stadtverwaltung zu dokumentieren. Zum anderen hält das Stadtarchiv zu bestimmten Ereignissen ein Bild der Lindauer Gesellschaft und des Alltags auf der Insel fest.
Neben dem kommenden CoronaProjekt, haben die Historiker beispielsweise Plakate, Broschüren und Flyer der Oberbürgermeisterwahl gesammelt. Was waren die politischen Themen? Wie war der Kommunikationsstil?
Wie haben sich die Kandidaten inszeniert? Noch in ferner Zukunft können interessierte Lindauer durch die Wahlwerbung von Claudia Alfons und Mathias Hotz blättern und ihre Schlüsse ziehen. Ein anderes Projekt, das Jürgen Illigasch noch dieses Jahr starten will, ist eine Dokumentation von Speisekarten unterschiedlicher Inselwirte. „Daraus kann man in Zukunft Aussagen über die Inselgastronomie von Heute treffen“, erkärt Illigasch.
Einen allumfassenden Blick auf aktuelle Phänomene wie den Gastronomie, die Wahl 2020 aber eben auch auf die Corona-Krise könne das Archiv den Lindauern der Zukunft nicht bieten, gesteht Stauder. Die Sammlungen seien immer subjektiv. „Wir archivieren das, was wir derzeit als wichtig erachten“, sagt Stauder. „Aus welchem Blickwinkel die Menschen in Zukunft aber auf diese Jahre schauen, können wir nicht wissen. Uns geht es daher darum, Hinweise und Indizien zu hinterlassen.“Er und seine Kollegen arbeiten nach besten Wissen und Gewissen, sagt Stauder, ob die Arbeit jedoch tatsächlich nachhaltig sei, das müssten künftige Generationen bewerten. „Es wäre jedoch auf jeden Fall falsch, gar nichts zu sammeln“, ergänzt Jürgen Illigasch.
In dieser Hinsicht vergleichen Illigasch und Stauder den Beruf des Archivars gerne mit dem des Försters. „Förster bekommen etwas hinterlassen, bestimmte Bäume, die in der Vergangenheit aus bestimmten Gründen gepflanzt wurden“, sagt Stauder. Aus heutigem Blickwinkel könnten diese Art der Bäume jedoch völlig unsinnig sein.
Gerade deswegen wollen Heiner Stauder und Jürgen Illigasch so viele „Bäume“wie möglich pflanzen. Fotos, Objekte und persönliche Erinnerungen, die den Corona-Alltag auf unterschiedlichste Weise beschreiben. Zukünftige Generationen hätten somit etliche Ansatzpunkte, egal ob diese etwas über die Auswirkungen auf den Fremdenverkehr, die Veränderung im Schulwesen oder die Folgen für die Wirtschaft erfahren wollen. Was derzeit banal wirke, könne zukünftigen Lindauern einen tiefen Einblick in unser Corona-Leben bieten, so Stauder, „vermeintlich Alltägliches dürfen wir nicht als alltäglich betrachten.“
„Es wäre jedoch auf jeden Fall falsch, gar nichts zu sammeln.“
Jürgen Illigasch
Der Aufruf des Stadtarchivs richtet sich an Einzelpersonen, Vereine, Institutionen und Firmen in Lindau und Umgebung. Falls Sie mitwirken wollen, kontaktieren Sie Jürgen Illigasch, Stadtarchiv@lindau.de, Telefon 08382 / 2775960