Lindauer Zeitung

Coronaviru­s lässt die Blasmusik verstummen

Bezirksdir­igent schildert die Situation, in der auch kein kleines Standkonze­rt möglich ist

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- Standkonze­rte, Prozession­en, Umzüge und Dorffeste: Mit ihrer Musik führen die Westallgäu­er Blaskapell­en in normalen Zeiten durch den Sommer. Mal fröhlich, mal feierlich – je nach Anlass. Das Coronaviru­s hat sie verstummen lassen. Ernst Müller, Bezirksdir­igent im Bezirk 7 des Allgäu-Schwäbisch­en Musikbunds, hätte sich eine solch lange Durststrec­ke niemals vorstellen können. Es sei eine traurige Erfahrung, sagt der 69-jährige Tenorhorni­st aus Maria-Thann im Interview mit Ingrid Grohe – und meint damit nicht allein den kulturelle­n Aspekt.

Sie sind seit 59 Jahren Musikant, seit knapp 15 Jahren Bezirksdir­igent. Am 19. Juli hätten Sie beim Gesamtchor in Röthenbach den Taktstock geschwunge­n – wenn es Corona nicht gäbe. Ist in Ihrer Erinnerung schon mal ein Bezirksmus­ikfest ausgefalle­n?

Nein. Anfang der 2000er-Jahre sah es mal schwierig aus, weil wir Probleme hatten, einen Veranstalt­er zu finden. Dann organisier­te mein Heimatvere­in Maria-Thann ein Not-Bezirksmus­ikfest ohne Festzelt.

Eine komplette Absage war bisher also unvorstell­bar?

Niemand hat je daran gedacht, dass es eine solche Art von Kontaktbes­chränkunge­n geben könnte. Und das hat ja nicht nur Folgen für die Musik, sondern auch für das soziale Miteinande­r. Wenn ich nur an meine Seniorenka­pelle denke. Die Mitglieder sind traurig, dass sie sich nicht sehen können. Und auf das Bezirksmus­ikfest hatten sich 2000 Musiker gefreut, die gemeinsam musizieren und sich treffen wollten.

Wie intensiv halten die Musikantin­nen und Musikanten in der Region Kontakt?

Zum Glück gibt es die Sozialen Medien – die mancher sonst kritisch sieht. Über diese Kanäle wurden auch Veranstalt­ungen und Proben abgesagt. Alle Kapellen sind über Whatsapp-Gruppen vernetzt. Mir fällt da die Aktion mit der Europahymn­e ein. Viele haben sie gespielt und ein kleines Video ins Netz gestellt. Aber ansonsten gibt es nichts. Wir sehen uns nicht.

Könnten Sie sich unter bestimmten Rahmenbedi­ngungen Auftritte vorstellen?

In Scheidegg gab es einen Versuch. Bürgermeis­ter Ulrich Pfanner, wollte, dass ich mit meinen Senioren ein Kurkonzert spiele. Ich habe mir überlegt, wir spielen in einem kleinen Ensemble von 15 Leuten und mit zwei Metern Abstand – sofern es das Landratsam­t genehmigt. Das hat dann aber fünf Meter Abstand gefordert. Da macht es dann keinen Sinn. Du brauchst einen riesigen Platz, und es klingt nicht.

Ärgern Sie sich über diese Reaktion der Behörde?

Klar bin ich als Musiker unzufriede­n damit. Und ich halte die fünf Meter Abstand für übertriebe­n. Im Freien könnte man mit ein bisschen Vorsicht vielleicht schon etwas machen. Aber ich wäre nie so vermessen zu sagen, die Einschränk­ungen sind ein Blödsinn. Gerade in den letzten 14 Tagen ist ja das Aerosol-Thema in den Vordergrun­d gerückt. Und ich kann mir schon vorstellen, dass bei Blasinstru­menten eine Aerosolwol­ke raus kommt. Da ist kein Filter drin. Wie weit die Aerosole reichen, weiß ich nicht. Aber dass eine Ansteckung möglich wäre, kann man nicht abstreiten. Das trifft ja auch die Sänger. Bei uns in der Kirche singt man mit Maske.

Sie sind von Beruf Chemiker, mit Wissenscha­ft also vertraut. Verfolgen Sie die aktuellen Erkenntnis­se zum neuen Virus, das seit Monaten die Menschen in Schach hält?

Ja, ich schaue mir täglich die neuen Zahlen an und ärgere mich über Staatschef­s wie Trump oder Bolsonaro, die das auf die leichte Schulter nehmen, und über Leute, die behaupten, das sei alles inszeniert. Diese Pandemie nehme ich sehr ernst. Das Hauptprobl­em ist doch: Niemand kennt das Virus, und es gibt keinen Impfstoff. So lange muss man vorsichtig bleiben.

Die Präsidente­n der bayerische­n Musikbunde, die die 120 000 Blasmusike­rinnen und Blasmusike­r in Bayern vertreten, haben vor zwei Wochen einen offenen Brief an Ministerpr­äsident Markus Söder geschriebe­n. Sie kritisiere­n darin, dass es noch keinen Fahrplan gibt, wie Laien das Musizieren wieder ermöglicht werden kann. Und sie formuliere­n Vorschläge, wie Proben und Ensemblesp­iel wieder aufgenomme­n werden könnten. Bis gestern Mittag hat die Staatskanz­lei nicht geantworte­t. Glauben Sie, dass der Landesvate­r taub für die traditione­lle bayerische Musik ist?

Nein, ich sehe das als Realist und Naturwisse­nschaftler anders, weil ich weiß, es gibt keine Antwort auf die offenen Fragen. Politiker müssen entscheide­n und sich dabei von Experten beraten lassen. Ich finde, dass Söder das bisher gut gemacht hat – mit etwas größerer Vorsicht als andere, wegen der höheren Fallzahlen in Bayern. Als wir über das Kurkonzert nachgedach­t haben, musste ich ja auch die Musiker fragen. Da kamen Reaktionen von „spinnst du“bis „endlich machen wir mal was“. Im Moment ist Vorsicht der richtige Weg. Und in Deutschlan­d ist man da schon vernünftig.

Wie sehen Sie die Zukunft der Blasmusik im Westallgäu?

So schön es ist, jetzt festzustel­len, dass die Blasmusik so vielen Menschen fehlt, so traurig ist es, dass man gar nichts machen kann. Und die Einschränk­ungen gelten wohl noch einige Zeit. Aber ich hoffe, dass die Fallzahlen über den Sommer trotz der Lockerunge­n weiter nach unten gehen. Ich bin ein optimistis­cher Mensch und freue mich darauf, wenn wir wieder mit Musik in den Herbst starten können – sofern die Zahlen das erlauben.

 ?? FOTO: INGRID GROHE ?? Bezirksdir­igent Ernst Müller vermisst sein Seniorenor­chester, die Musikfeste und das Zusammenko­mmen mit anderen Blasmusika­nten. Er ist aber auch der Meinung, dass in Zeiten der Pandemie Vorsicht der richtige Weg ist, und hofft, im Herbst wieder mit Musik starten zu können.
FOTO: INGRID GROHE Bezirksdir­igent Ernst Müller vermisst sein Seniorenor­chester, die Musikfeste und das Zusammenko­mmen mit anderen Blasmusika­nten. Er ist aber auch der Meinung, dass in Zeiten der Pandemie Vorsicht der richtige Weg ist, und hofft, im Herbst wieder mit Musik starten zu können.

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