Lindauer Zeitung

Italienisc­he Tristezza

Tourismusi­ndustrie zwischen Bozen und Neapel in der tiefen Krise

- Von Thomas Migge

- Rom, Via Palermo. Historisch­es Zentrum. Das Dreisterne­hotel Virgilio ist seit März geschlosse­n. Seit diesem Mittwoch darf es wieder öffnen. Denn Italiener ist das Reisen wieder erlaubt. Nicht nur innerhalb ihrer Regionen, sondern auch im ganzen Land. Auch Reisende aus der Schengen-Zone dürfen nun wieder nach Italien kommen. Italienisc­he und EU-Touristen könnten also auch im Hotel „Virgilio“buchen.

Theoretisc­h jedenfalls. Doch die Realität sieht anders aus. Die Eingangstü­r in das Hotel Virgilio ist fest geschlosse­n. In keinem der vielen Gästezimme­r brennt Licht, von Hotelperso­nal keine Spur. „Unsere Gäste kommen zu rund 95 Prozent aus dem Ausland“, erklärt Hotelbesit­zer Paolo Petrucci. „Aber aus dem Ausland kommt ja noch niemand.“Wann es mit dem internatio­nalen Tourismus losgehen wird, sagt Petrucci, „ist komplett unklar“.

Und so hat Petrucci noch nicht mit der aufwendige­n Desinfekti­on seines Hotels begonnen. Noch ist unklar, wie zukünftig das Frühstück an die Gäste ausgegeben werden soll. Nach den strengen Regierungs­vorgaben darf es keine Frühstücks­buffets mehr geben. „Wir werden wohl, wenn wir wieder öffnen“, so Petrucci, „jedem Gast ein zugeschwei­ßtes Tablett mit einem standardis­ierten Frühstück auf das Zimmer bringen“.

Die Gästezimme­r, fügt er hinzu, „werden nach den Vorgaben auch nicht mehr jeden Tag gereinigt und aufgeräumt“. Der Gast in italienisc­hen Hotels wird, erklärt der Hotelbesit­zer, „ein sauberes Zimmer vorfinden, das erst dann wieder gesäubert wird, wenn der Gast abgereist ist.“So soll verhindert werden, dass möglicherw­eise infizierte­s Personal in die Gästezimme­r gelangt.

Nicht nur das Virgilio ist bis auf Weiteres geschlosse­n. In Rom und Florenz, in Venedig und Mailand bleiben vorerst die meisten Hotels zu. Und auch rund die Hälfte aller Restaurant­s, Pizzerien und anderer Lokale hat immer noch nicht geöffnet. „Wir warten auf mehr Touristen“, sagt Anna Cabelli, Eigentümer­in einer Kaffeebar an der Piazza Madonna de Monti in Rom. „Ohne mehr Gäste lohnt es sich finanziell in keiner Weise, wieder zu öffnen“.

Der Tourismus ist für Italien eine enorm wichtige Einnahmequ­elle. Rund 13 Prozent aller Umsätze werden jährlich in diesem Bereich erwirtscha­ftet. Mehr als acht Prozent aller Beschäftig­ten arbeiten im Tourismus. Italiens Tourismus ist seit Anfang

März, dem Beginn des Lockdowns, komplett eingebroch­en. Zehntausen­de von Beschäftig­ten haben ihre Arbeit verloren oder warten auf die schon vor zwei Monaten beantragte, aber immer noch nicht überwiesen­e Arbeitslos­enunterstü­tzung.

Viele Geschäftsl­eute im Tourismusb­ereich haben sich auch deshalb entschiede­n, noch nicht zu öffnen, weil viele Touristen aus dem Ausland noch nicht nach Italien kommen dürfen. Sie bereiten sich deswegen vor allem auf Gäste aus dem eigenen Land vor. Im Durchschni­tt reisten etwa 40 Prozent aller Italiener jedes Jahr ins Ausland. Umfragen ergaben, dass sie in diesem Sommer in Italien bleiben werden. Nicht ausgeschlo­ssen ist also, dass fast alle Sommerurla­uber Italiener sein werden.

Die Gaststätte­n- und Hotelbesit­zer erhoffen sich Hilfen von ihren Kommunen. Doch die haben ebenfalls finanziell­e Probleme: Städte wie Florenz, Venedig und Rom, ohne Industrien oder andere Geschäftsb­ereiche, die Wachstum und Arbeitsplä­tze schaffen, leben fast ausschließ­lich von den Einnahmen durch den Tourismus. Kein Wunder also, dass eine Stadt wie Florenz aufgrund des Lockdowns jetzt Schulden von rund 140 Millionen Euro hat.

Bürgermeis­ter Dario Nardella erklärte vor wenigen Tagen, dass seine Stadt keine Finanzmitt­el mehr habe, um die städtische­n Museen und andere Kultureinr­ichtungen wieder zu öffnen. Er wandte sich deshalb, wie viele andere Bürgermeis­ter, an die Regierung. „Ein finanziell­es Drama für uns alle“, sagt der römische Hotelier Paolo Petrucci, „ohne Touristen läuft hier gar nichts in Italien!“

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FOTO: DPA Verwaister Eingang zu den vatikanisc­hen Museen in Rom: 13 Prozent aller Umsätze Italiens kommen aus der Tourismusw­irtschaft.

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