Jede dritte Firma im Kreis meldet Kurzarbeit an
Corona lässt Arbeitslosenzahl steigen: Über 1600 Erwerbslose sind für Lindau trauriger Rekord
- Der Arbeitsmarkt im Landkreis Lindau befindet sich Ende Mai „immer noch fest im Griff von Corona“, wie es Björn Patzer bezeichnet. Der stellvertretende Leiter der Lindauer Arbeitsagentur betrachtet die aktuelle Monatsbilanz mit mehr als gemischten Gefühlen. Denn von Mitte März bis Ende Mai haben über 1070 Firmen im Landkreis Kurzarbeit angemeldet. Rechnerisch ist jeder dritte Beschäftigte im Kreis Lindau betroffen. Und die Arbeitslosenzahl erreicht mit 1626 Betroffenen eine Höhe, die es zuletzt vor rund 20 Jahren gegeben hat.
Es ist keine rosige Monatsbilanz, die Patzer am Mittwoch im Gespräch mit der LZ vorstellt. So ist die Arbeitslosenquote in den vergangenen vier Wochen um 0,3 Prozentpunkte auf jetzt 3,6 Prozent angestiegen. An eine so hohe Quote in früheren Jahren kann sich in der Lindauer Agentur niemand erinnern.
Gegenüber Ende April haben weitere 153 Frauen und Männer ihre Stelle verloren: Mit jetzt 1626 Arbeitslosen liegt diese Zahl um gut zwei Drittel
höher als noch vor einem Jahr. Auch Schwerbehinderte verlieren ihre Stelle: 117 Kreisbewohner mit einem Handicap sind inzwischen arbeitslos gemeldet.
Das Problem der Lindauer Agentur: Die Betriebe und Unternehmen melden kaum noch freie Arbeitsplätze. Deren Zahl liegt Ende Mai nur noch bei 776 – das sind ein Drittel weniger als noch Ende März und im Vergleich zum Vorjahres-Mai sogar weniger als die Hälfte der sonst unbesetzten Stellen.
Für Patzer ist das nicht verwunderlich: „Wenn nahezu jede dritte Firma im Landkreis Kurzarbeit anmeldet, können – bis auf wenige Spezialisten – keine neuen Mitarbeiter eingestellt werden.“Das wiederum bedeute, dass seine Kollegen in der Arbeitsvermittlung sich derzeit schwer tun, die Erwerbslosen wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Immerhin gibt es nach seinen Worten in diesem Bereich einen kleinen Lichtblick: „Die Firmen schicken angesichts des Fachkräftemangels ihre Beschäftigten doch lieber in Kurzarbeit, als ihnen mangels Aufträgen zu kündigen“, beobachtet der stellvertretende Agenturchef.
Corona-bedingt haben seit Mitte
Björn Patzer
März gut 1070 Firmen Kurzarbeit für ihre Beschäftigten angemeldet. Damit ist laut Patzer etwa jeder dritter Betrieb im Kreis Lindau betroffen – und an die 13 500 Beschäftigte. „Das ist eine richtig große Hausnummer“, muss auch der Arbeitsmarktfachmann erst mal durchatmen.
Am Pfingstwochenende ist Patzer über die Insel geradelt. „Und ich muss sagen, ich bin froh, dass die Gaststätten jetzt wieder loslegen können, ihre Tische wieder besetzt sind.“Denn Hotels und Gaststätten, die sogenannten Hoga-Betriebe, liegen nach seinen Worten bei den Kurzarbeit-Anmeldungen weit vorn. „Aber eigentlich sind querbeet alle Branchen im Landkreis betroffen – sogar Arztpraxen haben Kurzarbeit angemeldet, weil die Patienten wegen der Angst vor einer Corona-Infektion nicht mehr zum Arzt gegangen sind“, schildert Patzer der LZ.
Auch Handwerksbetriebe meldeten sich nach seiner Aussage bei der Agentur, weil entweder Mitarbeiter aus dem Ausland nicht nach Deutschland zurückkehren konnten oder weil ihnen Aufträge verloren gingen, „weil die Leute sie schlicht nicht ins Haus gelassen haben“. Für Patzer ist das „teilweise total skurril“.
Für die Arbeitsagentur bedeutet dieser Andrang auf Kurzarbeit ein immenses zusätzliches Arbeitspensum. Normalerweise würden sich in Memmingen und Kempten kleine Teams mit vier bis fünf Kollegen um Kurzarbeit kümmern. „Jetzt sind es an die 90 Kollegen im Agenturbezirk, die sich damit beschäftigen müssen.“Er ist froh, dass „bis auf Einzelfälle mit vielen Nachfragen“das Gros der Anträge aus den Monaten März und April bearbeitet ist, das Kurzarbeitergeld für die Beschäftigten fließt. Im Mai kamen nur 124 weitere Anträge hinzu. „Unser vorrangiges Ziel beim Kurzarbeitergeld ist, alles möglichst schnell zum Laufen zu bringen“, sagt Patzer. In den nächsten acht bis zwölf Monaten wolle die Agentur dann die Anträge genauer prüfen.
Einen Trost kann der stellvertretende Agenturleiter geben: „Der Ausbildungsmarkt scheint bisher von Corona nicht betroffen.“Denn nach dem, was Patzer bisher zu hören bekommen hat, wollen die Firmen ihre künftigen Auszubildenden im September oder Oktober starten
Björn Patzer lassen. „Der Fachkräftemangel wird uns ja nach Corona weiter beschäftigen“, gibt der Arbeitsmarktfachmann zu bedenken. Die angehenden Schulabsolventen müssen sich nach seiner Ansicht deshalb keine Sorgen machen.
Patzer und seine Kollegen werden hingegen den Lindauer Arbeitsmarkt weiterhin mit einigen Sorgenfalten auf der Stirn beobachten. Denn 3,6 Prozent Arbeitslosenquote sind für sie „Zahlen, mit denen wir hier in der Region lange, lange Jahre nichts zu tun hatten“. Deswegen hofft Björn Patzer, „dass der Arbeitsmarkt jetzt im Juni wieder leicht anzieht“.
„Alle sind betroffen – sogar Arztpraxen haben Kurzarbeit angemeldet.“
„Der Ausbildungsmarkt scheint bisher von Corona nicht betroffen.“
Im Vergleich mit den Geschäftsstellen des Arbeitsagenturbezirks Kempten-Memmingen ist Lindau Ende Mai mit einer Arbeitslosenquote von 3,6 Prozent auf den drittletzten Platz abgerutscht. Die Zahlen im Einzelnen:
April 2020 Mai 2020 Mindelheim 2,8 % 2,9 % Marktoberdorf 2,9 % 3,0 % Memmingen 2,9 % 3,1 % Kaufbeuren 3,4 % 3,4 % Kempten 3,2 % 3,5 % Lindau 3,3 % 3,6 % Sonthofen 4,1 % 4,2 % Füssen 4,3 % 4,4 %
Allgäu gesamt
3,3 %
3,5 %