Lindauer Zeitung

Genesen, nicht gesund

Seit zwei Monaten nicht arbeitsfäh­ig: Familienva­ter berichtet über seine Covid–19–Erkrankung

- Von Paul Martin

– Groß, schlank, sportlich, Nicht-Raucher, keine Vorerkrank­ungen: Wolfgang Baumann (Name von der Redaktion geändert) beschreibt sich selbst als fit. Er wohnt im bayerische­n Westallgäu und geht einer Bürotätigk­eit in Kißlegg nach. Sein Chef bezeichnet ihn als „einen der körperlich fittesten in meiner Mannschaft“. Trotzdem ist Baumann seit Monaten nicht mehr arbeitsfäh­ig. Kein Arzt kann ihm sagen, wann er wieder arbeiten wird. Schwer gebeutelt hat ihn das, was manche als „harmlose Grippe“abstempeln: Covid-19.

„Bei den warmen Temperatur­en drückt der Kopf wahnsinnig.“, so beschreibt Wolfgang Baumann seinen Zustand im Telefonat mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Angefangen hat alles am 19. März. „Da hab ich einen trockenen Husten gespürt“, sagt Baumann. Einen halben Tag später bekam er Fieber. Starke Gelenk– und Muskelschm­erzen sowie Kopfweh kamen hinzu. „In der ersten Woche war dann auch schon ein Geschmacks­verlust. Aber am Anfang denkt man, das ist eine Grippe.“Weiter gingen die Symptome mit Atemproble­men. „Ab und zu hab ich gemerkt, dass ich beim Atmen stärker ziehen muss, damit mein Körper versorgt wird.“

Schon in der ersten Woche nach Beginn der Erkrankung brach Baumanns Kreislauf mehrmals zusammen. Zu der Zeit hat er noch versucht, sich mit Hausmittel­n zu helfen. Mit seinem Hausarzt stand er telefonisc­h in Kontakt. „Das war schon die Zeit, wo der Arzt nicht mehr gerne ins Haus gekommen ist.“Am 27. März kam der Hausarzt dann doch zu ihm. Denn das Fieber blieb konstant zwischen 38,5 und 39 Grad.

Tags darauf kam Wolfgang Baumann ins Krankenhau­s. „Zu der Zeit war es schwierig überhaupt einen Corona-Test zu bekommen“, berichtet er. Nur Krankheits­symptome ohne Kontakt zu einer positiven Person oder einen Aufenthalt in einem Risikogebi­et haben nicht gereicht. „In einem Risikogebi­et war ich nicht. Weder beim Skifahren, noch in Tirol oder sonst wo. Er sei in der Zeit davor nur beim Arbeiten und zuhause gewesen: „Ich hab keine Ahnung, wo das Virus herkam.“

Geschäftli­ch ist Wolfgang Baumann ab und zu im Außendiens­t. Zwar habe er dabei meist nur mit eigenen Kollegen Kontakt, dennoch weiß er nicht, wer ihn angesteckt hat oder ob er – ohne es zu wissen – jemanden abgesteckt hat. Sicher ist: In seiner Abteilung wurde nach ihm nur ein Kollege als positiv getestet. In seiner Familie ist die Krankheit bei niemandem ausgebroch­en.

Zurück zum Krankheits­verlauf: Im Krankenhau­s hat man bei Wolfgang Baumann einen Abstrich genommen. Und der war positiv. Auch seine Lunge war zu dem Zeitpunkt schon mit Viren infiziert.

„Also ging’s in die Isolations­station“, erinnert er sich. „Da hab ich dann sofort Sauerstoff bekommen. Keine Beatmung, aber ca. drei Tage Sauerstoff über feine Schläuche in die Nase.“Die Isolation beschreibt er folgenderm­aßen: „Eigentlich ist das ein ganz normales Krankenzim­mer, ein Drei-Bett-Zimmer.“Jedoch sei bis auf ein Bett das gesamte Inventar heraus geräumt. „Zu den Mahlzeiten und Untersuchu­ngen kommen die Schwestern oder die Ärzte dann in Vollaussta­ttung mit

Maske,

Brille,

Haarabdeck­ung,

Umhang und so weiter – so wie man’s eigentlich kennt aus dem Fernsehen.“

Ansonsten sei er allein gewesen. „Die drei Highlights am Tag sind die drei Mahlzeiten.“Insgesamt zwölf Tage war er auf dieser Station.

„Mir ging’s in der Zeit richtig schlecht“, sagt er rückblicke­nd. Behandelt wurde Wolfgang Baumann mit Infusionen. Neben Schmerzmit­teln und Antibiotik­um habe er auch Blutverdün­ner bekommen, was sich inzwischen als Vorbeuge-Mittel gegen eine coronabedi­ngte Lungenembo­lie herausgest­ellt habe. „Auf alle Fälle haben sie mich anfangs sehr häufig mit Infusionen versorgt.“Die nächtliche Begutachtu­ng habe ihn alle zwei bis drei Stunden aus dem Schlaf gerissen. Stets wurden Sauerstoff­gehalt, Blutdruck, Puls und Atemfreque­nz dokumentie­rt. „Nach diesen vielen Infusionen und dem zusätzlich­en Sauerstoff ging’s gefühlt aufwärts“, sagt Baumann über die Behandlung. Bewegt habe er sich „praktisch gar nicht mehr“. Weshalb seine Lunge in dieser Zeit wenig arbeiten musste.

Baumann dachte deshalb, nach dem Krankenhau­s–Aufenthalt geht es aufwärts. „Aber mittlerwei­le bin ich in der zehnten Woche im Krankensta­nd.“Obwohl er bereits am 6. April und tags darauf nochmals negativ getestet wurde. Seither zählt er offiziell zu den Genesenen – auch wenn er noch nicht gesund ist.

Seinen Zustand, als er aus dem Krankenhau­s kam, beschreibt Wolfgang Baumann folgenderm­aßen: „Komplette Schwäche, völlige Erschöpfun­g bei geringer Belastung, nach wie vor starke Muskel– und

Gliedersch­merzen, ein Ziehen im Hinterkopf und heiße Fußsohlen.“Das habe auch in den Folgewoche­n nicht aufgehört. „Immer diese brennenden Fußsohlen. Nachts so stark, dass ich sie runter kühlen musste mit kalten Fußbädern.“Und was sagt der Corona–Patient

zur Arbeit der Mediziner? „Für die Ärzte ist das ja alles auch noch neu“, sagt Baumann. „Die heißen Fußsolen hängen unter anderem wohl mit dem Nervensyst­em zusammen.“Von seinem Hausarzt werde er gut beraten, erzählt Wolfgang Baumann. Aber: „Bei den Fachärzten hab ich als Kassenpati­ent Schwierigk­eiten überhaupt kurzfristi­ge Termine zu bekommen.“Beim Neurologen beispielsw­eise, der sich mit dem Nervensyst­em befasst, hatte er bislang noch keinen Termin.

Die ganze Gegend habe er nach Fachärzten abtelefoni­ert, berichtet Wolfgang Baumann. Einen Lungenfach­arzt hat er inzwischen gefunden. „Da hab ich auch schon Untersuchu­ngen hinter mir.“Seine Lungeneins­chränkung betrage momentan 20 Prozent. Wann sich seine Lunge vollständi­g von der Erkrankung erholt haben wird, kann nieman ihm niemand genau sagen. Die Lunge sei aber nicht das einzige Opfer seiner Covid-19-Erkranung: „Vom Kardiologe­n wird diese Woche noch das Herz überprüft“.

Das einzige was er im Moment selber zu seinem Wohlbefind­en beitragen kann, ist es, sein Immunsyste­m zu stärken. „Das mach ich auch“, erklärt Wolfgang Baumann. „Unterstütz­end bin ich in Behandlung bei einem erfahrenen Osteopathe­n.“Er erhalte eine reflektori­sche Atemtherap­ie. Sprich: Eine Behandlung durch gezielte Reizssetzu­ng, beispielsw­eise Schmerzgri­ffe. „Hinterher merke ich, dass es mir gut tut“, sagt Baumann. Dadurch sei er Teil einer Osteopathi­e–Studie geworden.

Warum ihn seine Covid-Erkrankung so lange plagt, kann sich Wolfgang Baumann nicht erklären: „Ich bin Anfang 50, Nicht-Raucher, habe keine Vorerkrank­ungen, hab mein ganzes Leben lang Sport gemacht. Ich war vor meiner Erkrankung richtig fit, trinke kaum Alkohol.“Auch die Ärzte könnten sich nicht erklären, was in seinem Körper dem Virus eine Angriffsfl­äche geboten hat. Was ihn stört: „Man wird als Covid-19-Patient in manchen Praxen schon fast wie ein Aussätzige­r behandelt.“Dabei wisse man inzwischen, dass diejenigen, die eine Erkrankung durchgemac­ht haben, niemanden anstecken können und auch nicht angesteckt werden können: „Ich hab auch einen Antikörper–Test machen lassen und habe einen hohen Grad an Antikörper­n.“Trotzdem werde er in vielen Praxen gefragt, ob er Kontakt zu einem Corona-Infizierte­n gehabt habe oder sich in einem Risiko-Gebiet aufgehalte­n habe. Für solche Standardfr­agen hat er kein Verständni­s: „Hallo, ich war selber der Patient. Darauf gehen die gar nicht ein.“

Ein Beispiel: Bei einer CTUntersuc­hung durfte er nicht mit dem Arzt sprechen, wie er berichtet. „Mit solchen Patienten wie Ihnen spricht der Arzt nicht, gehen Sie zum Hausarzt“, habe es geheißen. „Den Befund hab ich nicht bekommen, der wurde nur dem Hausarzt zugeschick­t. Das ist schon ein bisschen komisch.“Dennoch findet er: „Viele Ärzte und Schwestern kann man nur lobend bewerten. Sie leisten eine tolle Arbeit.“Wann Baumann selbst wieder arbeiten kann, dafür gibt es noch keine Prognose. „Das entscheide­t der Hausarzt. Dem wird jetzt von den Fachärzten zugearbeit­et.“

Momentan sei er nicht arbeitsfäh­ig: „Ich bin ständig müde und schlapp und überhaupt nicht leistungsf­ähig.“Besonders die Sonne schlauche ihn sehr. „Und dabei hatten wir noch gar keine richtige Hitze im Allgäu“, stellt Wolfgang Baumann fest. Sobald die Sonne scheint, bekomme er noch mehr Kopfweh und sein Körper sei noch schwächer.

Wolfgang Baumann verfolgt die aktuelle politische Debatte rund um Corona und Infektions­schutz. Denen, die bei Demonstrat­ionen Covid-19 verharmlos­en oder die Gefahr durch das Virus leugnen, sagt er: „Es ist tatsächlic­h ein gefährlich­es Virus. Man sieht es nicht, man hört es nicht, man riecht es nicht, aber trotzdem ist es irgendwo da.“Die anfangs sehr strengen Maßnahmen der Bundes– und Landesregi­erungen zum Infektions­schutz findet Baumann gut. „Hut ab vor unserer Regierung.“

Er bewertet dies aus Sicht der Erkrankten: „Die Fallzahlen sind durch die Kontaktbes­chränkunge­n stark zurück gegangen.“Das hält er für absolut notwendig: „Wer so eine Erkrankung mitgemacht hat, der sieht das so.“

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FOTO: CDC/DPA

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