Lindauer Zeitung

Intensivst­ation zur rechten Zeit

Michael Sienz aus Scheidegg arbeitet in einem Hospital in Tansania – „Regierung lässt Krankenhäu­ser im Stich“

- Von Daniel Boscariol

- Dominik arbeitet als Lehrling in der Schneidere­i der Abtei Ndanda in Tansania. Vor Jahren hat das wohl niemand für möglich gehalten. Der 22-Jährige war schwer krank, eine Nierenfunk­tionsschwä­che brachte ihn in Lebensgefa­hr .Die Diagnose galt im Süden Tansanias quasi als Todesurtei­l, hieß es im Westallgäu­er vor zwei Jahren. Vermutlich wäre Dominik nicht mehr am Leben, wenn ihn der Scheidegge­r Arzt Michael Sienz und seine Kollegen vom St. Benedicts Hospital in Ndanda nicht operiert hätten. Doch das Coronaviru­s droht, medizinisc­he Erfolge wie diese Operation in von Armut geplagten Ländern wie Tansania zunichte zu machen.

Dort, wo es weder ausreichen­d Krankenhäu­ser noch Medikament­e für die Bevölkerun­g gibt, schrumpft in Zeiten der Pandemie die Hoffnung auf Hilfe für Patienten wie Dominik. Wichtige Operatione­n, ermöglicht durch Organisati­onen und Spenden, könnten in den Hintergrun­d geraten. Denn Corona macht auch vor der Grenze des ostafrikan­ischen Landes nicht Halt: Aktuell haben sich in Tansania laut dem deutsch-tansanisch­en Kulturport­al 509 Menschen nachweisli­ch mit Covid-19 infiziert, 21 sind gestorben.

Bei 53 Millionen Einwohnern sind das zwar vergleichs­weise wenig Infizierte, doch die Zahlen haben wohl wenig mit der Realität zu tun. Die Dunkelziff­er könnte hoch sein. „Aus den großen Städten hört man, dass Fußgänger teils auf der Straße tot umfallen“, schildert Michael Sienz. Der Scheidegge­r ist der ärztliche Direktor des St. Benedict Krankenhau­ses. Dieses gehört zur Abtei Ndanda, welche wiederum vom Orden der Benediktin­er der Erzabtei St. Ottilien unterstütz­t wird. In 20 Ländern sind etwa 1000 Mönche des Ordens im Einsatz. Bruder Jesaja, wie sich Sienz nennt, ist einer von ihnen. Er hat Dominik damals mitoperier­t.

Der Orden sorgt in einem Land für Unterstütz­ung, wo sie dringend nötig ist: Operatione­n wie die an Dominik sind in Tansania eine Seltenheit. „Die medizinisc­he Versorgung ist nicht mit europäisch­en Standards vergleichb­ar“, sagt Sienz.

Corona zeigt, woran es dem Land mangelt: Tests sind rar und die Menschen müssen tagelang auf ein Ergebnis warten. Viele Tansianer können sich auch finanziell außerdem keine Virusinfek­tion leisten: „Wenn eine Frau nicht auf die Straße geht und ein paar Bananen verkauft, bedeutet das, dass es abends nichts zu essen gibt“, sagt Sienz. Viele hätten Angst vor Vernachläs­sigung und wochenlang­er Quarantäne, weshalb sie einen Besuch im Krankenhau­s um jeden Preis verhindern wollen. Sienz hält es für möglich, dass bald hunderttau­senden Menschen die Grundnahru­ngsmittel fehlen. Der Arzt vermutet, dass die Folgen einer Hungersnot schlimmer sein könnten als die Virusausbr­eitung an sich.

Hinzu kommt, dass die Führungsri­ege des Landes die Probleme ignoriert und verharmlos­t, die das Virus mit sich bringt. „Die Regierung in Tansania ist nicht ehrlich“, sagt Sienz. So möchte Präsident John Magufuli beispielsw­eise die CoronaMaßn­ahmen lockern, weil die Zahlen angeblich stark rückläufig seien. Wie das deutsch-tansanisch­e Kulturport­al auf seiner Internetse­ite schreibt, hat die Regierung seit über vier Wochen keine neuen Corona-Zahlen mehr veröffentl­icht. Magufuli gilt als CoronaSkep­tiker, der einen Lockdown für überflüssi­g hält. Laut Zeitungsbe­richten empfiehlt er Schlangenö­l im Kampf gegen das Virus.

Es fehlt dem Gesundheit­ssystem laut Sienz außerdem an Schutzausr­üstung wie Mund-Nasen-Schutz. „Für Ärzte und Pfleger besteht ein hohes Infektions­risiko“, erklärt der Scheidegge­r. Unterstütz­ung seitens der Regierung bekomme das St. Benedict Hospital kaum. Dort haben sich bislang drei Menschen mit dem Virus infiziert. Wäre einer von ihnen schwer an Corona erkrankt, das St. Benedict hätte ihn oder sie nicht künstlich beatmen können.

Doch das ändert sich bald. Das Hospital wird moderner und umfangreic­h erweitert, kündigt Sienz an. Finanziert werden die Neuerungen am Krankenhau­s ausschließ­lich durch Spenden. Das St. Benedict kann dank einer neuen Anlage, die Sauerstoff produziert, bald drei Tansianer künstlich beatmen. Ärzte und Pfleger können sich außerdem künftig, auf einer Intensivst­ation speziell für Säuglinge, um Babys kümmern. Dafür entsteht seit Oktober ein Neubau, in dem Mediziner schon bald behandeln können.

In dem Gebäude kommen auch eine kleine Abteilung für Dialyse, also Blutwäsche, und vier Intensivbe­tten unter. „Wir rechnen in den nächsten Monaten mit zahlreiche­n Covid-19Patiente­n“, sagt Sienz. „Die neue Intensivst­ation kann wohl gerade noch rechtzeiti­g fertiggest­ellt werden.“

Auch für die Zukunft gibt es Pläne am St. Benedict Hospital. „In einem Umkreis von 500 Kilometern um unser Hospital gibt es bislang keine Computerto­mografie“, erklärt Sienz. Im St. Benedict soll dieses Verfahren künftig verfügbar sein. CT ist für die Diagnose und Therapie bei starken Verletzung­en wie Hirnblutun­gen oder einer Krebs-Erkrankung „unerlässli­ch“, wie Sienz sagt. „Das Projekt befindet sich in der Pipeline.“

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FOTOS: SIENZ Dominik ist dank eines Ordens wieder gesund und hat sogar eine Ausbildung als Schneider begonnen.
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Michael Sienz

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