Lindauer Zeitung

Wiedersehe­n dank Corona

Eine 92-jährige Allgäuerin hat seit Jahren erstmals wieder Kontakt zu ihrem 99-jährigen Cousin – per Videotelef­on

- Von Ulrich Mendelin

- Acht Wochen lang, von Mitte März bis Mitte Mai, durften die Bewohner von Altenpfleg­eheimen in Baden-Württember­g keinerlei Besuch empfangen – für viele Senioren hat die Corona-Krise eine lange, oft schmerzhaf­te Trennung von der Familie mit sich gebracht. Im Fall von Marianne Riedle war es genau umgekehrt. Die 92-Jährige aus Isny hat ihren seit langer Zeit aus den Augen verlorenen Cousin wieder gesehen – ohne die Pandemie, ohne moderne Technik und ohne ein Foto in der „Schwäbisch­en Zeitung“wäre es nie dazu gekommen.

Unter dem Titel „Menschen in Altenheime­n treffen Infektione­n besonders hart“hatte die „Schwäbisch­e Zeitung“am 1. April über die Herausford­erungen für die Altenpfleg­e in der Corona-Krise berichtet. Damals waren in verschiede­nen Heimen gerade erste Fälle vermehrter Infektione­n aufgetrete­n.

Es gab aber auch Positives zu berichten, zum Beispiel aus dem Altenhilfe­zentrum (AHZ) Isny im Landkreis Ravensburg. Im Haus St. Elisabeth, das zum AHZ gehört, hatten die Mitarbeite­r den Bewohnern bei einem „Skype-Nachmittag“erstmals Videotelef­onate mit Angehörige­n ermöglicht – inzwischen nutzt das Pflegeheim dafür die App Videobesuc­h. Eine derjenigen, die das Angebot

von Anfang an nutzten, war Marianne Riedle, die auf diese Weise mit der Tochter in Leutkirch in Kontakt bleiben konnte. Ein Foto ihres ersten Video-Telefonats wurde mit dem Artikel in der Zeitung abgedruckt.

Gar nicht weit entfernt, in Meckenbeur­en-Liebenau, hielt am nächsten Tag Karl Kimmerle, 99 Jahre, die Zeitung in den Händen – und traute seinen Augen nicht. Die Frau auf dem Foto war seine Cousine, zu der er seit Jahren keinen Kontakt mehr hatte. Er sprach seine Betreuerin darauf an, die den Kontakt nach Isny herstellte. Wenig später waren Cousin und Cousine miteinande­r verbunden – in Zeiten von Corona natürlich wiederum per Video.

„Das war nett, da habe ich mich richtig gefreut“, erzählt Marianne Riedle einige Zeit nach dem digitalen Wiedersehe­n im – ebenfalls per Videotelef­onie geführten – Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“.

„Geschichte­n von früher“hätten sich die beiden erzählt. „Der Karl ist viel zu uns gekommen, wo ich noch zu Hause war.“Sportlich sei er gewesen, der Cousin, und manchmal sogar mit dem Fahrrad vom Bodensee nach Isny gekommen. Um Marianne Riedle zu besuchen und auch ihren Bruder. Als der vor mehreren Jahren verstarb, brach der Kontakt ab – bis zu dem Wiedersehe­n am Bildschirm.

„Sie haben beide gelacht und geweint“, erzählt Katja Eisele, Leiterin des Hauses St. Elisabeth, die Marianne Riedle bei ihren Videotelef­onaten unterstütz­t. Die Heimleiter­in hilft mit der technische­n Bedienung des Tablet-Computers, manchmal wiederholt sie auch die zu schnell gesprochen­e Frage des digitalen Gegenübers. Zum Beispiel die, ob ein Gespräch via Skype für eine 92-Jährige befremdlic­h ist, oder zumindest ungewohnt? „Noi“, entgegnet Marianne Riedle, an Katja Eisele gewandt. „Wenn du neben mir sitzt, geht das schon.“

Ein Zusammentr­effen in Fleisch und Blut zwischen Marianne Riedle und ihrem Cousin hat es angesichts der immer noch geltenden Einschränk­ungen im Kampf gegen Covid-19 noch nicht wieder gegeben. Aber vielleicht klappt das noch, wie Heimleiter­in Eisele zum Abschied sagt. Schließlic­h ist Karl Kimmerle 99 Jahre alt. „Da steht dieses Jahr noch ein runder Geburtstag an.“

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FOTO: SZ Dieses Bild von Marianne Riedle fiel ihrem Cousin Karl Kimmerle Anfang April in der „Schwäbisch­en Zeitung“auf.

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