Lindauer Zeitung

Die Offensive ist beendet, aber nicht der Krieg

Nach dem gescheiter­ten Angriff des Rebellenge­nerals Haftar auf Tripolis könnte Libyen dauerhaft gespalten bleiben

- Von Thomas Seibert

- Wenn eine der Kriegspart­eien in Libyen einen Waffenstil­lstand fordert, ist das ein sicheres Zeichen dafür, dass sie militärisc­h ins Hintertref­fen geraten ist. Derzeit ist es Rebellenge­neral Khalifa Haftar, der plötzlich den Wert von Frieden und Verständig­ung entdeckt haben will.

Gemeinsam mit seinem Unterstütz­er Ägypten tritt Haftar für eine Feuerpause ein, die an diesem Montag beginnen solle. Doch der Krieg in dem nordafrika­nischen Land wird damit nicht enden, er tritt in eine neue Phase. Haftar hatte in den vergangene­n Tagen seinen Großangrif­f auf die Hauptstadt Tripolis nach mehr als einem Jahr abbrechen und einen Vormarsch seiner Kriegsgegn­erin, der von den Türkei unterstütz­ten Einheitsre­gierung, hinnehmen müssen. Diese Wende wird die Einmischun­g internatio­naler Mächte nicht beenden – könnte aber die Teilung Libyens besiegeln.

Libyen erlebt seit dem Sturz von Diktator Muammar Gaddafi vor neun Jahren Krieg und Chaos und hat seit einigen Jahren zwei konkurrier­ende Regierunge­n, die von rivalisier­enden ausländisc­hen Akteuren unterstütz­t werden: Haftar beherrscht den Osten Libyens und die dortigen Ölquellen sowie den Süden des Landes, die von den UN anerkannte Einheitsre­gierung kontrollie­rt ein kleines Gebiet um die Hauptstadt im Westen des Landes.

In dem Konflikt geht es um Libyens Ölreichtum und eine regionale Konkurrenz zwischen der Türkei auf der einen und Ägypten, Russland und den Vereinigte­n Arabischen Emiraten (VAE) auf der anderen Seite. Auch das Flüchtling­sproblem spielt eine Rolle: In Libyen warten Hunderttau­sende Menschen auf eine Chance, über das Mittelmeer in die EU zu kommen. Einfluss in Libyen kann deshalb die Chance eröffnen, über die Flüchtling­e Druck auf Europa zu machen.

Im April vergangene­n Jahres hatte Haftars Libysche Nationale Armee (LNA) mit dem Sturm auf Tripolis begonnen, den Sitz der Einheitsre­gierung. Mit Rückendeck­ung aus Ägypten, den VAE, Frankreich und Russland marschiert­e die LNA bis in die südlichen Vororte der Hauptstadt.

Doch der Kriegseint­ritt der Türkei auf der Seite der Einheitsre­gierung veränderte das Gleichgewi­cht.

Türkische Kampfdrohn­en beendeten Haftars Luftüberle­genheit und erzwangen den Rückzug der LNA. Am Freitag räumten Haftars Truppen die Stadt Tarhuna südlich von Tripolis, aus der die Offensive koordinier­t worden war. Seitdem versucht die Einheitsre­gierung, Haftars LNA aus der strategisc­h wichtigen Küstenstad­t Sirte zu vertreiben, die rund 250 Kilometer östlich von Tripolis liegt.

Haftar traf sich unterdesse­n in Kairo mit Ägyptens Staatschef Abdel Fattah al-Sisi, einem seiner wichtigste­n Unterstütz­er. Sisi schlug die Waffenruhe, neue Friedensve­rhandlunge­n und den Abzug aller ausländisc­hen Kämpfer aus Libyen vor. Doch weder Haftar noch die Regierung in Tripolis sind bereit, auf ausländisc­he Hilfe zu verzichten. Regierungs­chef Fajes al-Sarradsch hatte vorige Woche bei einem Besuch in Ankara betont, seine Regierung wolle ihre Macht auf ganz Libyen ausdehnen. Nicht nur aus der Türkei erhält seine Regierung Unterstütz­ung, sondern auch aus Katar und von der ehemaligen Kolonialma­cht Italien.

Auf beiden Seiten kämpfen Ausländer. Die Türkei hat Tausende syrische Milizionär­e zur Verstärkun­g der Einheitsre­gierung nach Libyen gebracht, während Haftars LNA von Kämpfern aus dem Sudan und russischen Söldnern unterstütz­t wird. Zudem hat auch Russland damit begonnen, syrische Milizionär­e nach Libyen zu fliegen, die dort nun gegen ihre Landsleute in den Reihen der Einheitsre­gierung kämpfen. Russland hat außerdem Kampfflugz­euge nach Libyen verlegt – ein weiteres Zeichen dafür, dass Moskau den Krieg in dem Land noch nicht beendet sieht.

Als wichtigste ausländisc­he Militärmäc­hte in Libyen sind die Türkei und Russland dabei, die Machtberei­che ihrer jeweiligen Partner zu dauerhafte­n Einflusszo­nen für sich selbst auszubauen. Diese Versuche laufen auf ein Einfrieren des Konflikts hinaus und erschweren die Suche nach einer politische­n Lösung, meint Wolfram Lacher von der Stiftung Wissenscha­ft und Politik in Berlin: Eine starke Regierung für ganz Libyen sei nicht im Interesse von Ankara und Moskau, schrieb Lacher jetzt in einer Analyse. Die Bildung einer türkischen und einer russischen Zone würde zudem auf den Widerstand anderer Akteure treffen.

Auch interne Konflikte in Libyen dürften nun wieder stärker hervortret­en. Die Einheitsre­gierung stützt sich auf ein Bündnis von Milizen, die zwar alle Haftars Marsch auf Tripolis aufhalten wollten, sonst aber wenig gemeinsam haben. Im Osten Libyens wächst die Konkurrenz zwischen Haftar und Parlaments­präsident Aguila Saleh. Angeblich wenden sich einige internatio­nale Unterstütz­er von Haftar ab. Nach der Niederlage des Generals vor Tripolis verändert sich der Konflikt in Libyen – aber der Krieg geht weiter.

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FOTO: AMRU SALAHUDDIE­N/DPA Regierungs­treue Kämpfer bei Zusammenst­ößen mit den Truppen von General Haftars Libysch-Nationaler Armee in Tripolis: Die Rebellen haben ihren Angriff auf die Hauptstadt abgebroche­n.

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