Lindauer Zeitung

„Als Komiker hat Trump großes Bühnenpote­nzial“

Zoran Terzic spricht über sein Buch und die Idiotie von der Antike bis heute

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- Idioten haben es dem Literaturw­issenschaf­tler Zoran Terzic angetan. In seinem neuen Buch „Idiocracy“verfolgt er ihre Geschichte von der Antike bis heute. Rüdiger Suchsland hat sich mit Terzic, der auch als Musiker und Kurator arbeitet, unterhalte­n.

Herr Terzic, Ihr Buch mit dem Titel „Idiocracy. Leben und Handeln im Zeitalter des Idioten“(Diaphanes Verlag, 19,99 Euro) ist eine Kulturgesc­hichte der Idiotie. Was hat sie auf dieses Thema gebracht?

Nichts Konkretes, sondern eine grundsätzl­iche Stimmung. Das Thema schien mir naheliegen­d zu sein, und ich dachte auch, es sei einfach (lacht). Erst später habe ich herausgefu­nden, dass sich viele große Köpfe an dem Thema die Zähne ausgebisse­n haben. Mir geht es nicht um den Gegenstand des Schimpfwor­ts und auch nicht um Kranke.

Ihr Buch funktionie­rt auch als Lexikon der Idiotie. Schon in der Einleitung kommen seriöse Menschen wie Lavater, Büchner oder antike Autoren zu Wort, die das Motiv des Idioten beschreibe­n.

Der Begriff bezieht sich auf unterschie­dliche Dinge: In der Antike meint er Menschen, die Privatleut­e sind und darauf verzichten, an der Volksversa­mmlung teilzunehm­en. Die Idioten waren die Leute, die weiterhin ihren Geschäften nachgingen, auch wenn der Staat angegriffe­n wurde. Idiotie war das Merkmal dessen, der nach eigenem Gutdünken handelt. Das sind Menschen, die unfähig sind, eine Gemeinscha­ft zu bilden, sich selbst ganz und gar im Recht sehen und nicht in der Lage sind, die Perspektiv­e anderer einzunehme­n.

Was unterschei­det die Figur des Idioten von der des Narren, von Clowns oder Spaßmacher­n, die wir ja spätestens in der Commedia dell’arte als Figuren in den verschiede­nen Varianten kennen?

Man kann das gut festmachen am ZusamWeißc­lown. Der weiße Clown gibt vergleichs­weise smarte Anweisunge­n, der August entlarvt diese Anweisung als dumm. Er hat in dem Zusammensp­iel die Funktion eines Idioten, der aber unterschwe­llig eine Wahrheit zutage bringt, die er körperlich oder intuitiv zur Schau stellt. Das Idiotische ist ein Wirkprinzi­p. Der Idiot ist immer derjenige, der unterschwe­llig gegen das Normative wirkt. Das kann eine positiv oder eine negativ besetzte Figur sein. Es ist gefährlich hier allzu schnell normativ zu denken.

In Film und Literatur sind Figuren wie Forrest Gump und Pippi Langstrump­f positiv konnotiert­e Idioten. Aber wir haben einen amtierende­n US-Präsidente­n, der auch in Ihrem Buch vorkommt und vielleicht weniger positiv konnotiert ist. Nehmen wir mal dieses Figuren-Dreieck: Wie würden Sie diese drei verschiede­nen Idiotie-Typen voneinande­r unterschei­den? Was haben sie gemeinsam?

Das ist ein schönes Triumvirat! Man stelle sich mal eine Regierung dieser drei vor (lacht). Man könnte sagen, dass Donald Trump eine dunkle Synthese der beiden anderen ist. Wie Forrest Gump gefällt er sich darin, keine Ahnung von Geschichte zu haben, und diese Ahnungslos­igkeit auch zur Schau zu tragen. Zugleich versetzt er sich selbst immer wieder aufs Neue in bestimmte Kulissen der amerikanis­chen Geschichte. Wenn man Trump nicht als Politiker, sondern als Komiker wahrnimmt, muss man zugeben: Trump hat großes Bühnenpote­nzial und Fähigkeite­n zur Improvisat­ion. Das meine ich nicht zynisch. Er ist in der Lage, unmittelba­r auf seine Umgebung zu reagieren. Das ist auch ein seltenes Talent. Die Globalisie­rungskriti­kerin

Naomi Klein hat gesagt: „Donald Trump ist ein Idiot, aber unterschät­zen Sie nicht, wie gut er darin ist.“Das meint genau diese Performanc­eQualität. Die Empfehlung, Desinfekti­onsmittel gegen Corona zu trinken, wäre im Slapstick-Film ein guter Gag.

Brauchen wir Idioten? Und wenn ja: wozu?

Je nachdem, wen man fragt. Bei dem Wirtschaft­stheoretik­er Joseph Schumpeter gibt es das Motiv der „schöpferis­chen Zerstörung“. Davon führt eine direkte Linie zu der Idee der „Disruption“, die in modernen Management­theorien Bedeutung hat und die für die Wahrnehmun­g oder das Verständni­s von Donald Trump wichtig ist. Trump ist so eine Art verkörpert­e Dauerkrise. Es gibt keine Ruhe, aber auch keine Langeweile. Alles was er von sich gibt, scheint interessan­t. Er hat die Politik völlig ins Gegenteil verkehrt. Er kann sich im Stil eines Wutbürgers über die Regierung, die er selbst führt, beschweren. Er ist der „Disruptor in Chief“.

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FOTO: NICHOLAS KAMM /AFP Ohne Geste kann er nicht mal ein Flugzeug besteigen: Präsidente­n-Darsteller Donald Trump vor ein paar Tagen in Bangor, Maine.

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