Nur wenige wurden nach dem Krieg als Nazis bestraft
LZ-Serie zum Ende des Zweiten Weltkriegs vor 75 Jahren – Teil 13: Was wurde aus den Lindauer Nazis?
- 75 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs erinnert die Lindauer Zeitung an die Zeit damals. In diesem Teil geht es darum, was nach Kriegsende aus den Lindauer Nazigrößen geworden ist.
Schon während der ersten Tage verhafteten die französischen Militärs im Landkreis rund 150 NSDAPMitglieder und internierten diese vorübergehend im bisherigen NSZwangsarbeiterlager am Kamelbuckel. Die Partei selbst war von ihnen sofort am 30. April per öffentlichem Anschlag für das Gebiet der Stadt und des Landkreises Lindau als verboten und aufgelöst erklärt worden.
Während der ersten Maitage des Jahres 1945 waren im s Haus zum Baumgarten, dem bisherigen Sitz der SS, der NSDAP-Kreisleitung und der Deutschen Arbeitsfront, bald nur noch deutsche Offiziere arretiert. Im Hotel Bayerischer Hof wurden vorübergehend etliche Prominente interniert, darunter der NS-Anhänger und frühere Kronprinz Wilhelm von Preußen, Baron Neurath sowie einige ägyptische Paschas. Der städtische Bauhof in Reutin und die Sängerhalle dienten als Kriegsgefangenenlager. Zivile männliche „Nichtpolitische“wurden auf dem Gelände des Holzbaus Schneider, heute der Alpengarten, festgehalten.
NSDAP-Kreisleiter Hans Vogel hatte am 30. April 1945 von Lindenberg aus versucht, sich über Hergensweiler durch die französische Frontlinie zu schmuggeln. Dabei wurde er aber, nachdem er einen Revolver gezogen hatte, von einem freigekommenen polnischen Zwangarbeiter auf der Landstraße bei Hergensweiler-Einöd erschossen.
Fritz Siebert (NSDAP und SS), Lindaus Nazi-Bürgermeister von 1933 bis 1939, wurde 1946 von der USMilitärregierung in Bayern an Polen ausgeliefert. Als ehemaliges Mitglied der deutschen Besatzungsregierung im polnischen Krakau wurde er dort als Kriegsverbrecher zu 12 Jahren Haft verurteilt.
Josef Haas (NSDAP), von 1939 bis 1945 Lindauer Bürgermeister, von 1943 bis 1945 allerdings an der Front und danach vorübergehend in Kriegsgefangenschaft, wurde 1946 im Rahmen der 1945 begonnenen allgemeinen sogenannten politischen Säuberung zunächst ohne Bezüge aus der Stadtverwaltung entlassen. Seit 1948 arbeitete er wieder als Rechtsanwalt in Lindau. 1952 wurde er zum Stadtdirektor und Beamten auf Lebenszeit ernannt. Von 1956 bis 1964 wurde er gewählter Oberbürgermeister
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der Stadt Lindau.
Insgesamt erhielt bis 1946 ein Siebtel des Personals der Stadtverwaltung und der Stadtwerke, teils mit Bezügen, mehrheitlich jedoch ohne Bezüge, im Rahmen der politischen Säuberung auf Grund ihrer Rolle im Nazi-Regime ihre Entlassung. Im Landratsamt wurde nur jeder 15. entlassen, darunter Landrat Kummer. Von 50 Mitarbeitern der Stadt- und Kreissparkasse verloren fünf ihre Stelle, darunter zwei Direktoren. Von den 58 Ärzten im gesamten
Landkreisgebiet erhielten fünf ein Berufsverbot für die Dauer von einem bis vier Jahren.
Unter ihnen befand sich auch Dr. Stefan Euler, seit 1933 stellvertretender und seit 1943 sogenannter Kriegsbürgermeister der Stadt Lindau, doch schon seit Beginn der Zwanziger Jahre stadtbekannter deutschvölkischer und deutschnationaler Antisemit und Stadtrat. Am 1. Mai 1945 verhaftet, befand sich Euler zusätzlich für rund 18 Monate in Untersuchungshaft, bis sich die Aktenlage
für eine zusätzliche Anklage als Kriegsverbrecher als nicht ausreichend erwies. Im September 1946 wurde er als „NS-Belasteter“unter anderem zu vier Jahren Berufsverbot verurteilt. In zweiter Instanz wurde dieses Urteil im Juni 1948 in „Mitläufer“abgemildert.
Neben Euler und Haas fanden sich in der 1949 gegründeten Bundesrepublik Deutschland auch weitere frühere Stützen des NS-Regimes unter anderem in der 1952 gegründeten Lindauer Gruppierung Freie Wählerschaft wieder. Auf dieser Liste wurde Euler bereits 1952 erneut in den Lindauer Stadtrat gewählt. 1960 erhielt er den Goldenen Bürgerring der Stadt Lindau, 1970 das Ehrenbürgerrecht, sowie bereits 1961 das Bundesverdienstkreuz erster Klasse.
Der erste Bundestag der noch jungen BRD beschloss vor dem Hintergrund des 1947 begonnenen Kalten Krieges im Mai 1951 mehrheitlich, dass nun auch die schwerer belasteten früheren Nazis wieder in den Staatsdienst zurückkehren konnten. So begann nun beispielsweise die Kariere des früheren Lindauer Gestapo-Leiters und SS-Sturmbannführer Josef Schreieder zum Oberregierungsrat und Mitarbeiter des USPropagandasenders „Radio Free Europe“in München.