Ein Messer, Wodka und der Stinkefinger
19-Jähriger muss sich wegen Beihilfe zum schweren Raub in Lindenberg verantworten.
– Mit einem blauen Auge davongekommen ist ein 19-Jähriger, der sich wegen Beihilfe zum schweren Raub vor dem Amtsgericht Lindau verantworten musste. In der Schöffenverhandlung waren die Aussagen der beiden Zeugen für Richterin Brigitte Grenzstein nicht plausibel, sodass sie das Verfahren einstellte. Grenzstein attestierte den Schilderungen der beiden 16-Jährigen einen „fast märchenhaften Charakter“. Das Messer, das im Spiel gewesen sein soll, sei wohl im Nachhinein erfunden worden sei, um der Sache mehr Farbe zu verleihen. Dennoch kam der Angeklagte nicht gänzlich ungeschoren aus dem Sitzungssaal – denn es gab da noch einen zweiten Tatvorwurf.
Die Sache mit dem Raub hatte sich im Oktober in Lindenberg abgespielt. Der 19-Jährige kreuzte gemeinsam mit einem Bekannten bei zwei 16-Jährigen auf, die in einer Jugendhilfeeinrichtung leben. Der Bekannte forderte einen der beiden dazu auf, ihm Marihuana zu geben – oder alternativ zehn Euro. Bis dahin stimmten sämtliche Aussagen noch überein. Dann aber wichen sie voneinander ab: Die beiden 16-Jährigen behaupteten, der Angeklagte habe ein Messer gezogen und damit herumgespielt. Offenbar, um die Forderungen seines Begleiters zu untermauern, der auch der Wortführer war. „Das ist gelogen“, sagte der 19Jährige. Er habe gar kein Messer dabeigehabt.
Auch sonst habe er mit der Sache gar nichts groß zu tun gehabt. Er habe seinen Bekannten nur begleitet und habe die 16-Jährigen bis dato auch gar nicht gekannt. Ohnehin sei er an diesem Abend so betrunken gewesen, „dass sich alles dreht und ich nicht mehr weiß, wo oben und unten ist“. Der Angeklagte schätzte den Grad seiner Betrunkenheit selbst auf 1,8 Promille. „Wenn ich trinke, dann richtig“, sagte der junge Mann, der derzeit in einer Obdachlosenunterkunft in Lindau wohnt und von Hartz IV lebt, seit er eine Lehre zum Metallfacharbeiter abgebrochen hat.
Weil die beiden 16-Jährigen nach eigener Aussage „keinen Stress“mit ihren beiden Kontrahenten haben wollten, gingen sie mit diesen schließlich zu einem Bankautomaten. Beim Versuch, Geld abzuheben, stellte sich aber heraus, dass nicht genug auf dem Konto war. Als Ersatz bot einer der 16-Jährigen dem Begleiter des Angeklagten, welcher im Prozess nicht anwesend war, etwas von seinem Tabak an. Dieser habe daraufhin den ganzen Tabakbeutel sowie die EC-Karte am sich genommen und den beiden 16-Jährigen gedroht, sie „verschwinden“zu lassen.
Daraufhin gingen die beiden 16Jährigen am nächsten Tag zur Polizei. Bei ihrer ersten Aussage war aber von einem Messer gar nicht die Rede, sondern erst bei einer zweiten Aussage ein paar Wochen später. Das kam der Richterin komisch vor. Wenn man sich von etwas bedroht fühle, dann würde man davon sicher als erstes erzählen. Sie war schließlich überzeugt davon, dass es das Messer gar nicht gegeben habe – und stellte das Verfahren ein.
Es gab allerdings noch eine andere Geschichte. Ein paar Monate später, im März, wurde der 19-Jährige in Lindau von der Polizei kontrolliert, weil er mit einem Bekannten unterwegs war, obwohl das damals aufgrund des Infektionsschutzgesetztes nicht erlaubt war. Beide hatten eine Flasche Wodka dabei. Nachdem die Beamten die Personalien aufgenommen hatten, drehte sich der 19-Jährige beim Weglaufen nochmals um, zeigte den vier Beamten den Mittelfinger und beschimpfte sie als „Wichser“. Das räumte der Angeklagte ein – sowohl in der polizeilichen Vernehmung als auch vor Gericht. „Ich war sehr betrunken. Das hätte ich im nüchternen Zustand nicht gemacht“, gab er zu Protokoll. Er wollte sich vor Gericht auch bei einer als Zeugin geladenen Beamtin entschuldigen, doch das lehnte die Polizistin ab.
Die Richterin verdonnerte den 19Jährigen wegen Beleidigung schließlich zu 60 Stunden gemeinnütziger Arbeit. Zudem müsse er seinen Alkoholkonsum in den Griff bekommen, weil es ihm dann offenbar besonders schwer falle, sich an Regeln zu halten. Deshalb machte sie es ihm zur Auflage, in den nächsten sechs Monaten in der Öffentlichkeit nicht mit mehr als 0,3 Promille unterwegs zu sein. Das wiederum schmeckte dem Angeklagten nicht. Sichtlich angefressen sagte er: „Ich akzeptiere das Urteil, auch wenn ich es nicht einsehe. Ich habe kein Alkoholproblem.“