Borreliose und FSME – zwei Krankheiten, ein Überträger
Zecken können mehrere Krankheiten übertragen, die häufigsten sind FSME und Lyme-Borreliose, so der korrekte medizinische Ausdruck. Bei Borreliose handelt es sich um eine bakterielle Infektion, die üblicherweise mit Antibiotika behandelt wird. Die Krankheit kann verschiedene Organe betreffen, insbesondere die Haut, das Nervensystem und die Gelenke, auch Herzbeschwerden sind bekannt. Nicht alle Zecken tragen das Bakterium in sich. Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts entwickeln nur rund ein Prozent aller infizierten Menschen Krankheitssymptome. In Deutschland wird die Zahl der Infektionen pro Jahr grob zwischen 60 000 und 200 000 geschätzt, denn es gibt keine Meldepflicht. Bayern hat sie allerdings testweise eingeführt, Baden-Württemberg nicht. Die Krankheit werde nicht von Mensch zu Mensch übertragen wie etwa die Grippe oder Covid-19. Außerdem bedeute eine Meldepflicht zusätzlichen Aufwand für Ärzte und Gesundheitsämter, heißt es aus dem baden-württembergischen Gesundheitsministerium. Meldepflichtig dagegen ist die FSME (FrühsommerMeningoenzephalitis, als Hirnhautentzündung bekannt), die ebenfalls von Zecken übertragen wird. BadenWürttemberg und Bayern zählen zu den FSME-Risikogebieten. Pro Jahr werden in Deutschland rund 500 Erkrankungen bekannt. Die Zahl ist rückläufig, wohl auch, weil gegen FSME im Gegensatz zur Borreliose geimpft werden kann.
Um einem Zeckenstich vorzubeugen, sollten Spaziergänger und Jogger in Wald, Feld und Wiese lange Kleidung und feste Schuhe tragen und den Körper nach einem Ausflug ins Grüne gründlich nach Zecken absuchen. Die
Spinnentiere verstecken sich gerne in den Achseln und Kniekehlen, im Schambereich, in Bauchfalten und hinter den Ohren. Wenn man eine Zecke entdeckt, sollte man sie möglichst schnell entfernen, denn die Übertragung von Borrelien findet erst nach zwölf bis 24 Stunden statt. Dazu nimmt man am besten eine spitze Pinzette, mit der man die Zecke senkrecht herauszieht. Wichtig ist, dass das Tier nicht zerquetscht wird, da sonst Krankheitserreger in die Wunde gelangen können. Bildet sich um die Einstichstelle nach ein bis zwei Wochen ein roter Kreis, kann dies ein Anzeichen für Borreliose sein. Dann sollten Betroffene zum Arzt gehen.
Informationen über die Borreliose Selbstthilfegruppe OberschwabenBodensee-Allgäu gibt es unter www.borreliose-shg-oba.de (sim)
Denn Ärzte sagen zu ihr Sätze wie: „Eine junge Frau hat noch keine Herzprobleme. Gehen Sie nach Hause, machen Sie mehr Sport, leben Sie ihr Leben.“In dem Bericht nach einem Reha-Aufenthalt in einer psychosomatischen Klinik steht: „Unkorrigierbare inhaltliche Fixierung auf eine Vielzahl körperlicher Symptome. Gedankliche Einengung und überwertige Idee hinsichtlich der subjektiv wahrgenommenen BorrelioseErkrankung.“Angesichts solcher Äußerungen überrascht es nicht, dass sich die Patientin „unglaublich verletzt“fühlt. Viel schlimmer aber sei damals gewesen, dass sie gelegentlich überlegt habe, ob die Ärzte vielleicht doch recht haben, sie sich alles nur einbildet. „Tatsächlich keimt auch heute noch der Wunsch in mir auf, dass es wirklich so ist. Dass ich nur ausbrechen muss und alles wird gut“, erzählt Anna Freitag.
Durchs Telefon ist das zustimmende Kopfnicken von Hanne Leonhard aus Immenstaad fast zu vernehmen, als sie davon hört. Aus leidvoller Erfahrung weiß die Leiterin der Borreliose-Selbsthilfegruppe Oberschwaben-Bodensee-Allgäu, dass Borreliose-Kranke von vielen Medizinern als „Hypochonder“und „nicht ganz normal“angesehen werden und das durch die Blume gesagt bekommen. Auch für Lebenspartner, Familie und Freunde sei es schwer, BorrelioseKranke zu verstehen. „Das ist der häufigste Grund, wieso die Menschen zu uns kommen. Sie wollen einfach mal abladen können“, erklärt Leonhard. Die andere Leiterin dieser Selbsthilfegruppe, Sabine Haschke aus Ravensburg, hat in der „Schwäbischen Zeitung“vergangenen Sommer festgestellt, dass vor allem viele jüngere Betroffene mit der Krankheit nicht an die Öffentlichkeit gehen, weil sie fürchten in die „Psychosomatik-Ecke“gedrängt zu werden.
Beim Hartmannbund der Ärzte kennt man Vorwürfe dieser Art. Baden-Württembergs Vorsitzender Klaus Rinkel, selbst Neurologe, erklärt dies mit den Problemen bei der Diagnostik („Das Krankheitsbild ist sehr bunt.“) und dem Zeitfenster, das oft zwischen dem Zeckenstich und der Erkrankung liegt. „Nur 30 Prozent der Infizierten erinnern sich an einen Zeckenstich. Außerdem gibt es viele andere Krankheiten mit ähnlichen Symptomen und Borreliose-Verlaufsformen, die untypisch sind.“Trotzdem ist seine Erfahrung, dass die Ärzteschaft Patienten und ihre Probleme ernst nimmt. „Ernst nehmen bedeutet aber nicht, dass zur Beruhigung eine Diagnose bestätigt, sondern dass tatsächlich nach den Ursachen geforscht wird. Und es bedeutet auch nicht, dass nicht auch uns im Einzelfall ein Fehler unterlaufen kann.“
In der Regel ist Borreliose heilbar. Rinkel bestätigt aber, dass es Fälle gibt, bei denen AntibiotikaBehandlungen nicht ansprechen. Aus seiner langjährigen Erfahrung kennt auch er „chronifizierte Verläufe, unter anderem mit einem langfristigen Eschöpfungssyndrom“. Die sichere Zuordnung der einzelnen Symptome zur Borreliose sei nach langem Krankheitsverlauf aber schwierig. Bei lange anhaltenden Beschwerden nach einer Borreliosebehandlung sei deshalb eine eingehende Abklärung dieser Symptome und eine ergebnisbasierte Therapie erforderlich. Die Zusammenfassung dieser Symptome als „chronische Borreliose“ist unter Neurologen umstritten.
Anna weiß, dass ihre Erkrankung einen sehr seltenen, weil ausgesprochen schweren Verlauf genommen hat. Und ob alle ihre Symptome tatsächlich auf eine Borreliose zurückzuführen oder womöglich Nebenwirkungen monatelanger Antibiosen sind, spielt keine Rolle mehr. Keine der vielen verschiedenen, über einen langen Zeitraum durchgeführten medizinischen Therapien hat zu einer nachhaltigen Verbesserung geführt. Der beschwerliche Weg durch unzählige Institutionen während der vergangenen Jahre hat die junge Frau noch mehr ermüden lassen. Da sie nie gearbeitet hat, weder als behindert gilt, noch als arbeitsunfähig eingestuft ist oder eine Pflegestufe hat, erhält sie keinerlei staatliche Hilfe. Nur das Jugendamt hat ihr unter die Arme gegriffen und eine Zeit lang eine Haushaltshilfe zur Verfügung gestellt. Denn mittlerweile ist Anna verheiratet und hat eine vierjährige Tochter. Trotz des Risikos haben sich Anna und ihr Mann in einer hoffnungsvollen Phase entschlossen, ein Kind zu bekommen. 2016 schließlich kam Junia zur Welt.
„Für mich war es ein unglaubliches Erlebnis und ein Gottesgeschenk, dass in so einem kaputten Körper ein gesundes Kind entstanden ist“, sagt die Mutter und ihre Augen beginnen zu leuchten. Allerdings nur kurz. Denn dann erzählt die 37-Jährige von den vielen Schwierigkeiten, die auftauchten. Und was es bedeutet, für ein kleines Kind zu sorgen, wenn der Vater arbeiten geht und die Mutter wegen ihrer Krankheit bis zu 18 Stunden am Tag liegen muss. „Ohne die Unterstützung meiner Eltern und meiner vier Geschwister würden wir das nie schaffen“, erzählt Anna. „Mein Bruder hat jüngst sogar alle Fenster bei uns geputzt. Aber es kann auch vorkommen, dass vier Wochen lang nicht aufgeräumt oder staubgesaugt wird.“
Noch bis zum vergangenen Sommer hat es die junge Mutter geschafft, mit der Kleinen täglich auf den Spielplatz zu gehen. Daran ist im Moment nicht zu denken. Deshalb stapeln sich um das Bett herum jede Menge Kinderbücher, Puzzles und Kinderklamotten. So kann Anna im Bett ihre Tochter anziehen, mit ihr spielen oder ihr vorlesen. Als der Kindergarten allerdings wegen der Corona-Krise schloss und Junia die vergangenen Wochen zu Hause bleiben musste, kamen die Freitags an ihre Grenzen. Und inzwischen fragen sich die Eltern oft, wie sich in Zukunft ihr Alltag als kleine Familie überhaupt leben lässt.
Während Anna dies alles erzählt, wirkt sie sehr gefasst und reflektiert. Und wundert sich selbst darüber. Denn in ihr sei die Angst unglaublich groß, einmal so schwach zu werden, dass sie sich nicht mehr um ihr Kind kümmern kann. Und sie gesteht, dass sie auch sehr oft verzweifelt ist und sich wertlos fühlt. „Borreliose tötet nicht, sie nimmt das Leben“, sagt eine Leidensgenossin. Anna würde diesen Satz sofort unterschreiben. Gleichzeitig spricht sie aber auch von ihrem tiefen Glauben an Gott, der sie stärkt und ihr die Hoffnung gibt, ihr Leben sei doch zu etwas gut. Zum Beispiel, wenn sie ihre Geschichte erzählt und damit auch anderen eine Stimme gibt, die sich in ihrer leidvollen Situation nicht wahrgenommen fühlen.