Lindauer Zeitung

Grundrausc­hen der Ausgrenzun­g

Die Antidiskri­minierungs­stelle verzeichne­t mehr rassistisc­he Vorfälle, doch die nackten Zahlen sagen wenig aus

- Von Klaus Wieschemey­er

- „Keine Kanaken erwünscht“, erklärte der Vermieter dem Bewerber und gab ihm gleich eine Alternativ­e für die Wohnungssu­che mit auf den Weg: „Gehe zurück nach Syrien und baue lieber dein Land auf.“Es sind viele Fälle wie dieser, die die Antidiskri­minierungs­stelle des Bundes in den vergangene­n Monaten gesammelt hat: Die Altenpfleg­erin, die gehen musste, weil die Heimbewohn­er keine Schwarze wollten. Die Chinesin, deren Arzt sie wegen Corona nicht behandeln wollte, obwohl die Patientin seit Monaten nicht in Asien war.

3580 Mal wurde die Antidiskri­minierungs­stelle (ADS) des Bundes im vergangene­n Jahr um Hilfe gebeten, im Vorjahr waren es 3455 Fälle. In knapp einem Drittel der Fälle (1176) ging es um Rassismus, danach folgen Benachteil­igungen wegen des Geschlecht­s oder einer Behinderun­g. Die Zahl der Rassismusb­eschwerden hat sich demnach seit 2015 mehr als verdoppelt. Die Zahlen hätten keinen repräsenta­tiven Charakter, betont ADS-Chef Bernhard Franke. Denn selbst wenn Betroffene die Verletzung­en nicht heruntersc­hlucken, sondern sich wehren, landet nur ein kleiner Teil der Fälle bei der ADS. Es gibt viele andere Beratungsu­nd Beschwerde­stellen, jedes zweite Bundesland hat eine eigene ADS. Zudem garantiert der Gang zur ADS noch lange keine Besserung: So kann die Stelle zwar Behörden, aber keine Privatpers­onen zur Stellungna­hme zwingen.

Die Fälle zeigten ein „Schlaglich­t auf das Vorkommen von Diskrimini­erung in Deutschlan­d“, sagt Franke. Die aktuelle Corona-Krise verstärke vielerorts noch bereits bestehende Ungleichhe­iten. Zum Beispiel, wenn Behinderte Mundschutz tragen müssten, obwohl einige es nicht könnten. Oder wenn Rollstuhlf­ahrer nur mit Einkaufswa­gen in den Supermarkt dürften.

Es gebe 14 Jahre nach Verabschie­dung des Gleichbeha­ndlungsges­etzes, mit dem die ADS aus der Taufe gehoben wurde, weiter ein „Grundrausc­hen der Ausgrenzun­g“in Deutschlan­d. Das treffe auch das lesbische Paar, dessen Kind eine Ärztin nicht behandeln wollte. Oder den 60-jährigen Jobsuchend­en, der wegen seines Alters aussortier­t wurde. Mehr als jede dritte Beschwerde bezog sich auf Berufliche­s. Dem folgt die Diskrimini­erung bei Alltagsges­chäften wie Wohnungssu­che oder Einkauf, die jeder Vierte beklagte. „Diskrimini­erung zermürbt“, sagt Franke. Das Gefühl, mit Ungerechti­gkeit alleine gelassen zu werden, habe auf Dauer fatale Folgen. Zudem bestärke es jene, die Diskrimini­erung für ein Kavaliersd­elikt halten.

Franke fordert von Bund und Ländern mehr Einsatz. Lob gibt es für das frisch verabschie­dete und heftig kritisiert­e Antidiskri­minierungs­gesetz des Landes Berlin. Franke bezeichnet das Gesetz als „wichtigen Schritt“insbesonde­re bei Diskrimini­erung durch Polizeibea­mte. Dass es ein Rassismusp­roblem in der Polizei gebe, steht für Franke außer Frage: Er verweist dafür auf eine Studie des hessischen Innenminis­teriums, derzufolge 18 Prozent der Polizisten rassistisc­he Sprüche von Kollegen mitbekomme­n haben.

Dass andere Bundesländ­er drohen, nun keine Polizei mehr zu Unterstütz­ungseinsät­zen in die Hauptstadt zu schicken, sei übertriebe­n.

Das Gesetz drehe die Beweislast bei Polizeimaß­nahmen nicht zulasten der Beamten um, sondern stärke lediglich die Rechte mutmaßlich­er Opfer. „Wir sehen nicht, dass die Polizei unter Generalver­dacht gestellt wird“, sagt er. Auch mit der Neuregelun­g könne niemand den Beamten „ins Blaue hinein“Diskrimini­erung unterstell­en.

In der Diskussion um Rassismus bei der Polizei macht sich Franke für unabhängig­e Ombudsstel­len in allen Ländern stark, an die sich beispielsw­eise Opfer von Kontrollen nach dem Aussehen (Racial Profiling) wenden sollen.

Aus Politik und Verbänden kam Zustimmung zum Bericht: „Wir dürfen nicht nachlassen, gegen Rassismus aufzustehe­n“, sagte SPD-Familienmi­nisterin Franziska Giffey und verwies auf das Förderprog­ramm „Demokratie leben“aus ihrem Haus. Die Linksparte­ichefin Katja Kipping sprach von einem weiteren Beweis, dass Deutschlan­d ein „Rassismusp­roblem habe“. FDP-Fraktionsv­ize Katja Suding sprach von einem gravierend­en Problem, das man in Deutschlan­d nicht im Griff habe. Und das DGB-Vorstandsm­itglied Anja Piel verwies darauf, dass rassistisc­he Vorkommnis­se gerade in der

Arbeitswel­t nicht selten seien. Gleichwohl dürfte der Bericht keine großen Folgen haben, denn auf Kernforder­ungen Frankes schwieg die Berliner Politik am Dienstag: Eine Überarbeit­ung des Gleichbeha­ndlungsges­etzes? Eine Auskunftsp­flicht für Privatleut­e oder gar ein Verbandskl­agerecht? Ist derzeit in Berlin kein Thema.

Mehr als nur Schwarzwei­ß-Denken: Eine Erklärung zu Rassismus im Video auf www.schwäbisch­e.de/ rassismus

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Seien wir uns dessen bewusst

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