Sexuelle Nötigung: 37-Jähriger muss ins Gefängnis
Amtsgericht Lindau verurteilt Mann zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und fünf Monaten
- War es der einvernehmliche Austausch von Zärtlichkeiten oder sexuelle Nötigung? Diese Frage hatte das Amtsgericht Lindau zu klären. Angeklagt war ein 37-jähriger Mann aus dem Landkreis, der eine 19-Jährige nach einer Halloweenparty sexuell belästigt haben soll. Dabei ging es auch um die Frage, warum die junge Frau keine Hilfe eingefordert und nicht deutlicher Nein gesagt hat.
Anfangs sah es so aus, als würde es ein schöner Abend werden. Der Angeklagte und die 19-Jährige tanzten im Club Vaudeville ausgelassen miteinander. Doch der Mann erhoffte sich mehr, heißt es in der Anklage der Staatsanwaltschaft: Als die junge Frau auf dem Nachhauseweg ablehnte, mit ihm Geschlechtsverkehr zu haben, drückte er sie, so der Staatsanwalt, auf einer Wiese zu Boden und griff mit seiner Hand in die Unterhose, wo er sie am Gesäß und Genitalbereich berührte. Der 19-Jährigen gelang es jedoch, den Mann wegzustoßen und nach Hause zu rennen.
Der Angeklagte hatte diesen Abend ganz anders in Erinnerung. Die Initiative sei klar von der 19-Jährigen ausgegangen, behauptete der Iraner mit Hilfe eines Dolmetschers. Das Mädchen habe mit ihm tanzen wollen, sei auf der Tanzfläche immer auf ihn „hochgesprungen“. Vor dem Club sei es dann zum Austausch von Zärtlichkeiten gekommen. Sie hätten sich geküsst und ihre Hände seien „in Bewegung“gewesen. Sie sei es auch gewesen, die vorgeschlagen habe, gemeinsam nach Hause zu gehen. Deshalb sei er, als der Vater ihrer Freundin die Mädchen abholte, mit ins Auto gestiegen. Nachdem der Fahrer sie abgesetzt hatte, seien sie noch spazieren gegangen. Das Mädchen habe ihn gefragt, ob er Kondome dabei hätte. Als er das verneinte, seien sie getrennt nach Hause gegangen. „Es ist nichts passiert“, beteuert der Angeklagte.
„Ich fand ihn anfangs nett“, sagt die junge Frau und berichtet, wie ihr sein Verhalten im Verlauf des Abends dann „komisch“vorkam. Schon auf der Tanzfläche habe er versucht, ihr den Pulli auszuziehen und in ihre Unterhose, an ihren Po gefasst. „Ich habe versucht, aus der Sache wieder rauszukommen“, sagt die 19-Jährige mit stockender Stimme. „Aber es war schwierig.“
Vor dem Club wollte sie mit dem Mann darüber reden, woher sie sich kennen. Doch der habe sie auf die Backe geküsst und sie aufgefordert, mit ihm nach Hause zu kommen. Sie habe daraufhin ihre Freundin angerufen, mit der sie dann gemeinsam auf deren Stiefvater gewartet habe. Doch der Angeklagte sei einfach mitgekommen und dann sogar mit ins Auto eingestiegen. Der Stiefvater ihrer Freundin habe sie in der Nähe ihrer Wohnung aussteigen lassen. Da sie nicht wollte, dass der Angeklagte weiß, wo sie wohnt, sei sie mit ihm noch spazieren gegangen, erklärt die 19-jährige. Irgendwann habe der Mann dann gefragt, ob sie nun Sex haben wolle. Als sie das verneinte und ihn zum Gehen 19-Jährige aufgefordert habe, habe er sie auf eine Wiese gezogen. „Er hat gesagt, dann mach’ ich es halt hier mit dir“, erinnert sich die junge Frau. Dann habe er sie am Hals gepackt und nach unten auf die Knie gezogen. Er habe sie an an der Scheide berührt – ob seine Hand in der Unterhose war oder über der Jeans, konnte sie nicht mehr sagen. Als sie sich gewehrt habe, sei er auf den Boden gefallen, und sie konnte flüchten.
Ihre Freundin bestätigte vor Gericht, dass die 19-Jährige mehrfach nein gesagt habe. Sie habe gesagt, dass er sie nicht umarmen soll und dass sie „schon alleine nach Hause gehen kann“, sagt die Zeugin. Der Stiefvater der Zeugin sprach indes von einer „harmonischen Stimmung“im Auto. Er sah keine Anzeichen, dass „etwas schiefläuft“.
Als er ihr hinten in die Hose gefasst habe, da „ging es mir zu weit“, sagt die 19-Jährige und betont, den Mann weder geküsst zu haben noch auf seinem Schoß gesessen zu sein. Aber sie habe sich anfangs nicht gewehrt, es nur über sich ergehen lassen. Immer wieder sagt sie, dass sie
„angespannt“und „völlig steif“war. Warum sie spätestens am Auto nicht deutlich gemacht habe, dass der Mann nicht einsteigen soll, verstehe sie selber nicht: „Ich konnte nichts sagen, ich war wie versteift.“
Die junge Frau leidet immer noch unter diesem Vorfall. Sie war in der Psychiatrie, wo ihr eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert wurde. Das habe, das wurde in der Verhandlung kurz angesprochen, auch mit einem mutmaßlichen früheren sexuellen Missbrauch in der Familie zu tun. Normale sexuelle Beziehungen mit Männern seien für die junge Frau nicht möglich.
Die Version des Opfers verwies Verteidiger Alexander Greiner ins „Reich der Märchen“. Er verstehe nicht, warum die junge Frau, wenn sie sich bedrängt gefühlt habe, im Club nicht zur Security gegangen sei oder ihrer Freundin Bescheid gegeben habe. Spätestens am Auto hätte sie die Reißleine ziehen können. Dass die 19-Jährige vor Gericht erst auf Nachfrage erzählt habe, wo der 37-Jährige sie berührt habe, sei untypisch für Missbrauchsopfer. Er forderte daher, im Zweifel für den Angeklagten zu entscheiden und plädierte für Freispruch.
Richter Moritz von Engel wunderte sich indes über die detaillierte Schilderung des Angeklagten. „Wann ist Ihnen die Erinnerung gekommen?“In zwei vorherigen Versionen hatte der gegenüber der Polizei zunächst behauptet, nicht im Auto mitgefahren zu sein und später dann angegeben, so stark alkoholisiert gewesen zu sein, dass er sich an nichts erinnern könne. Der Angeklagte erklärte das vor Gericht mit dem „Schock“, als die Polizei bei ihm aufgetaucht war und seinen mangelnden Sprachkenntnissen. Auch auf die Frage, wie seine DNA an die Unterhose des Mädchens gekommen sei, hatte er eine Antwort: Er habe sie dort berührt, als die 19-Jährige vor dem Club auf seinem Schoß gesessen sei.
Das Gericht hielt die junge Frau für glaubwürdig. „Ich habe nicht den Eindruck, dass die Zeugin eine Frau ist, die die Initiative ergreift oder Männer sehr nah an sich heranlässt”, sagte Richter von Engel. Sie habe zwar eine unsichere Persönlichkeitsstruktur und könne nicht gut nein sagen. Trotzdem habe sie gesagt, dass sie das nicht wolle und sich gewehrt: „Da ist dann die Sache gelaufen“, sagte von Engel an die Adresse des Angeklagten gerichtet.
Das Gericht wertete das Opferverhalten und kulturelle Unterschiede zu Gunsten des Angeklagten, zu seinen Lasten sprach, dass er wegen einer Schlägerei unter offener Bewährung stand. Die Traumatisierung des Opfers wertete das Gericht nicht zu seinen Lasten. Es verurteilte den Mann zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und fünf Monaten. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
„Ich habe versucht, aus der Sache wieder rauszukommen, aber es war schwierig.“
„Wenn die junge Frau bedrängt wird, kann sie zur Security und Freunden gehen. Das tut sie alles nicht. Das ist für mich nicht nachvollziehbar.“
Verteidiger Alexander Greiner