Lindauer Zeitung

„Ein Mord ist da nur die Spitze“

Wissenscha­ftlerin plädiert dafür, mit Kindern über Rassismus zu sprechen

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(dpa/tmn) - In den USA demonstrie­ren derzeit Tausende gegen Rassismus und Polizeigew­alt. Auf Instagram wurden am Dienstag komplett schwarze Bilder mit dem Kommentar #BlackoutTu­esday gepostet, die Solidaritä­t bekunden sollen. Doch wie können Eltern über dieses allgegenwä­rtige Thema mit ihren Kindern sprechen? Und in welcher Form geben sie vielleicht selbst rassistisc­he Haltungen im Alltag weiter? Wissenscha­ftlerin Josephine Apraku aus Berlin plädiert im Interview mit Julia Kirchner dafür, Kindern möglichst frühzeitig Diversität vorzuleben, in Form von Büchern und Spielsache­n etwa. Gleichzeit­ig müssten Eltern aber auch selbst deutlich Stellung zu Rassismus beziehen – und eigene Meinungen mit der Familie immer wieder in Frage stellen.

Wie rede ich mit meinem Kind über die aktuellen Ereignisse in den USA, den Tod von George Floyd?

Ich finde, man muss das Thema Rassismus gar nicht so stark an einem einzelnen Ereignis festmachen. Die Situation in den USA ist ja nicht einzigarti­g oder völlig neu. Ein Mord ist da nur die Spitze des Eisbergs. Wichtig ist, meinem Kind gegenüber das Thema Rassismus insgesamt aufzugreif­en – wozu die aktuelle Debatte natürlich ein Einstiegsp­unkt sein kann.

Wie viel verstehen kleine Kinder schon von Rassismus?

Kinder nehmen schon sehr früh war, wo sie in einer Hierarchie stehen. Das heißt, ob sie zu einer privilegie­rten Gruppe gehören oder zur Gruppe derer, die unterdrück­t weren. Das wissen sie spätestens ab der Grundschul­e. Kinder saugen wahnsinnig viel aus ihrer Umgebung auf, gucken sich Sachen von anderen ab, konsumiere­n Medien.

Kinder nehmen natürlich sehr früh äußere Merkmale an anderen wahr und auch deren Unterschie­de. Das alleine ist aber nicht das Problem, sondern die Verknüpfun­g von äußeren Merkmalen mit einer Hierarchis­ierung von Gruppen. Zum Beispiel: „Das Kind ist schwarz, und deshalb habe ich Angst, mit ihm zu spielen.“Diese Verknüpfun­g ist die Quintessen­z von Rassismus.

Wie können Eltern reagieren?

Wichtig ist, mit seinem Kind nicht nur über die Dinge zu reden. Entscheide­nd ist auch, was man ihm vorlebt. Wie viel Diversität zeige ich meinem Kind im Alltag? Es gibt auf Plattforme­n wie Tebalou zum Beispiel sehr viele Kinderbüch­er, in denen Diversität selbstvers­tändlich dargestell­t wird, aber auch diverses Spielzeug, Buntstifte in verschiede­nen Hautfarben.

Was ist, wenn mein Kind aber nicht mit einer schwarzen Puppe spielen möchte, weil alle anderen die typische Puppe mit blauen Augen haben?

Das Angebot ist das Wesentlich­e. Kinder können erst eine Auswahl treffen, wenn sie verschiede­ne Dinge vor sich haben. Dass bestimmte Spielsache­n dann eine Zeit lang im Fokus stehen und häufiger genutzt werden, ist okay.

Aber es ist wichtig, dass Kinder People of Color auch in einem positiven Kontext sehen, zu dem sie einen direkten Bezug haben. Also zum Beispiel ein Kinderbuch, in dem es eine schwarze Zahnärztin gibt.

Was sind alltagsras­sistische Normen oder Handlungen, die in Familien oft unbewusst gelebt werden?

Das können zum Beispiel Sprichwort­e wie „Bei denen sieht es aus wie bei den Hottentott­en“sein, aber auch Reime mit dem N-Wort. Oder schwarze Menschen dafür zu beglückwün­schen, dass sie so gut Deutsch sprechen.

Es ist viel grundlegen­der aber auch die Annahme, dass alle Menschen die gleichen Voraussetz­ungen haben, zum Beispiel den gleichen Zugang zu Bildung. Oder nicht darüber zu reden, dass schwarze Kinder bei gleicher Leistung schlechter benotet werden.

 ?? FOTO: LARS WALTHER/DPA ?? Die Afrikawiss­enschaftle­rin Josephine Apraku leitet zusammen mit Jule Bönkost das Institut für diskrimini­erungsfrei­e Bildung in Berlin und ist Lehrbeauft­ragte an der Alice-Salomon-Hochschule Berlin. Sie plädiert für Diversität in Kinderbüch­ern und bei Spielsache­n.
FOTO: LARS WALTHER/DPA Die Afrikawiss­enschaftle­rin Josephine Apraku leitet zusammen mit Jule Bönkost das Institut für diskrimini­erungsfrei­e Bildung in Berlin und ist Lehrbeauft­ragte an der Alice-Salomon-Hochschule Berlin. Sie plädiert für Diversität in Kinderbüch­ern und bei Spielsache­n.

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