Eisgenossen
„Ich habe die ultimative Geschäftsidee!“, sagt ein Lindauer mit Augenzwinkern: „Ich möchte in der Schweiz eine Eisdiele eröffnen und sie Eisgenossenschaft nennen.“Ob das funktionieren würde? Der Name fällt in die Kategorie der skurrilen Wortspiele, die wir bereits von Friseursalons kennen: Hairforce One, Fönix, Hair-Reinspaziert, Pony und Clyde, vorhair und nachhair... Aber was soll’s? Er spinnt das Konzept weiter. „Und über die Eissorten wird dann basisdemokratisch abgestimmt!“Und es gibt immer 26 Sorten, weil es 26 Kantone gibt. Er hat sich auch bereits über die Sorten Gedanken gemacht. Hoch im Kurs steht Eis mit dreieckigen Schokoladenstücken, außerdem „irgendwas, was an Rüblikuchen erinnert“. Es bleibt spannend. 24 Sorten fehlen noch.
- Ein gefaltetes Stück Papier steckt in einem Wunschzettel-Kasten am Lindauer Gabenzaun neben der Thierschbrücke. Eine kurze Nachricht ist darauf, in krakeliger Schrift eines Kindes: „Ich wünsche mir ein Kuscheltier für meine Schwester, dass sie keine Alpträume mehr hat.“Bereits einige Tage hängt eine Antwort am Zaun. „Liebe kleine Schwester, wir wünschen dir, dass du keine Alpträume mehr hast.“Dazu das passende Kuscheltier. Friederike Kaufmann erzählt gerne und mit Begeisterung diese Geschichte vom Gabenzaun. Genau so einen Austausch hat sie sich gewünscht. Menschen, die mehr haben, hängen Dinge auf. Die, die weniger haben, bedienen sich.
Den Zaun initiierte Firederike Kaufmann mit Gianni Seufert während der Ausgangsbeschränkungen. Nachdem Geschäfte und Hilfseinrichtungen wegen der Corona-Krise schließen mussten, wollten beide etwas tun. „Wir wussten, dass es durch die Schließung Bedarf geben wird. Dass das tatsächlich so ist, wird uns durch die Nachfrage bisher bestätigt“, erzählt Seufert. Er und Kaufmann hörten von der Idee des Gabenzaunes aus anderen Städten und gründeten kurzerhand ihren eigenen zwischen Thierschbrücke und SinaKinkelin-Platz. Mit einer Mappe für Wunschzettel und einer für Antworten, Informationen für Bedürftige und Anleitungen zum Spenden. Regelmäßig gucken Helfer nach dem Rechten. „Wir haben tatsächlich erst den Gabenzaun eingeweiht und sind danach auf die Institutionen zugegangen“, sagt Kaufmann und muss lachen, denn das hätten die zwei mittlerweile wohl anders gehandhabt. Nachdem das Landratsamt aber einige Regeln verkündete, vor allem bezogen auf Mindestabstände und verderbliche Lebensmittel, wurde der anfängliche Aktionismus in geregelte Bahnen gelenkt.
Obwohl die Krise spürbar nachlässt, ist die Nachfrage am Zaun groß, erzählen Kaufmann und Seufert. „Lebensmittel sind innerhalb von 15 Minuten weg“, sagt Seufert. Auch Michaela Dietenmeier hat viel zu tun, sie hat den Gabenzaun in Reutin ins Leben gerufen. Jeden Tag werden neue Wunschzettel am Zaun im Hammerweg gegenüber der Inselbrauerei hinterlassen. „Lebensmittel sind gefragt, aber vor allem Hygieneartikel“, sagt Dietenmeier. Sie ist aber auch sichtlich bemüht, ganz spezielle Wünsche zu erfüllen. So hoffen Bewohner des Seniorenheims in Reutin auf Blühpflanzen, „und ein Kind sucht nach einem Fahrradhelm für ihre Baby-Born-Puppe, es wäre toll, wenn wir so einen finden würden.“Auch auf der Insel gibt es immer wieder ganz spezielle Wünsche, häufig von Obdachlosen: beispielsweise Schlafsäcke, Isomatten oder einen Fahrradhelm für einen Wohnungslosen.
Der Gabenzaun sei eine gute Idee, findet auch eine, die schon seit Jahren mit den Notleidenden der Stadt arbeitet. Conny Schäle ist Leiterin der Bahnhofsmission, sie sieht einen großen Vorteil im Gabenzaun. „Wer zu uns oder in die Tafel geht, der muss sich als arm outen. Am Zaun nimmt man Hilfe in Anspruch und bleibt dabei anonym.“Gerade jetzt gebe es mehr Menschen, die ihre Probleme nicht gern öffentlich machen – sind sie doch erst vor Kurzem in die Armut gerutscht. Der eigene Betrieb geht zugrunde, Kurzarbeit oder Entlassung – „es gibt ein neues Armenfeld durch die Krise“, sagt Schäle. Familien, die sich eigentlich mit ihrem Einkommen zurechtfanden, kommen jetzt nicht mehr über die Runden. So gebe es beispielsweise immer mehr Menschen, die ihre Haustiere nicht mehr anständig ernähren können, sagt Schäle. „Der Tierfachmarkt Frantz hat uns da beispielsweise in der Krise mit Futter ausgeholfen“, sagt Schäle, doch das reiche derzeit nicht aus. Auch die Wohnungsnot werde durch die Krise brisanter. Michaela Dietenmeier vom Reutiner Gabenzaun sorgt sich außerdem schon seit Längerem um die älteren Menschen der Stadt. „Ich kenne hier Menschen, die über 70 Jahre alt sind und immer noch arbeiten müssen, beispielsweise putzen gehen – das ist unglaublich für so einen Staat wie unseren.“
Das Ehrenamt oder eben ein Gabenzaun dürfen dabei aber immer nur das Tüpfelchen obendrauf sein, ergänzt Schäle. Die Basis müssten die Behörden, Institutionen und
Festangestellten bereiten. Gerade die Spendenbereitschaft könnte derzeit etwas größer sein, sagen die Verantwortlichen. Für die Zukunft wünschen sie sich noch etwas mehr baumelnde Tüten am Zaun. „Wir bieten einen kleinen angenehmen Rahmen“, findet Kaufmann, niemand müsse viel Zeit oder Verantwortung in das Engagement stecken. Sie wünscht sich, dass mehr Menschen den Zaun im Hinterkopf behalten, immer mal wieder vorbeischauen, beim Ausmisten gut erhaltene Dinge hinbringen oder beim Einkauf einmal daran denken, was man für den Zaun kaufen könnte. Für die Zukunft könnten sich Kaufmann, Seufert und Dietenmeier ein ständiges Gabenregal vorstellen. Das könnte in den Räumlichkeiten einer Hilfseinrichtung stehen, so wäre der Austausch ständig und professionell geregelt. Die Missionschefin Conny Schäle glaubt nicht, dass die Stadt den Gabenzaun in dieser Form noch lange duldet, auch sie hätte aber gerne eine Langzeitlösung. Einen geeigneten Raum kennt sie jedoch auch nicht.
Am Ende will Gianni Seufert noch etwas erzählen – davon, wie die Arbeit rund um den Gabenzaun seine Vorurteile abgebaut hat. „Auf einer Bank in der Nähe des Zauns sitzen häufig die gleichen Männer“, erzählt Seufert, „als ich eine Tüte voller Hygieneartikel aufgehangen habe, kam einer rüber. Ich dachte, er wolle gleich die ganze Tüte mitnehmen.“Der Mann deutete jedoch nur auf eine Zahnbürste, nahm diese und sagte, „mehr brauche ich gerade nicht“.