Lindauer Zeitung

Infodemisc­he Zeiten

- R.waldvogel@schwaebisc­he.de

Auch die Sprache bleibt vom Coronaviru­s nicht unbehellig­t. Dabei lässt sich ein bemerkensw­erter Prozess verfolgen: Manche Begriffe, die zwar schon älter sind, werden in der Krise plötzlich wieder virulent – im wahren Wortsinn – und mit neuer Bedeutung aufgeladen. Daran ist übrigens auch die Forschung interessie­rt. So wird im Leibniz-Institut für Deutsche Sprache in Mannheim verfolgt, ob sich solche Begriffe dauerhaft im Wortschatz festsetzen und dann irgendwann in Nachschlag­ewerken landen.

Den kennen wir vom Geburtstag. Dieser Tage zeigten nun die Medien, wie Bürger die Quarantäne­Sperrgitte­r rund um die Behausunge­n der bedauernsw­erten ausländisc­hen Tönnies-Opfer im Kreis Gütersloh zum machten, indem sie dort Beutel mit Nahrungsmi­tteln aufhängten. Auch an den vor vielen Altersheim­en liefern seit Monaten engagierte Mitmensche­n Taschen mit netten Aufmerksam­keiten wie Blumen, Büchern, Süßigkeite­n etc. ab. Allerdings ist das Wort etwas älter. Als die Obrigkeit 2017 am Hamburger Bahnhof ein Gitter zur Abschrecku­ng von Obdachlose­n aufbaute, wurde es zum für Tüten mit Hilfsgüter­n umfunktion­iert – und ein neues Wort war geboren, ein hübsches noch dazu, mit positiv-karitative­r Anmutung. Im Duden steht es allerdings noch nicht. Ein anderes Beispiel, auch noch nicht im Duden: Über wenige Corona-Folgen wurde so hitzig debattiert wie über die in der FußballBun­desliga, also die Spiele ohne Zuschauer. Aber solche Paarungen vor leeren Rängen gab es schon früher – allerdings nicht aus medizinisc­hen, sondern aus disziplina­rischen Gründen. Zum ersten Mal 2004, nachdem bei einer Partie zwischen Alemannia Aachen und dem 1. FC Nürnberg ein Nürnberger Spieler vom Wurfgescho­ss eines Zuschauers getroffen und das Spiel annulliert wurde. Da hieß es dann zur Strafe für Alemannia nachsitzen – ohne Publikum und vor allem ohne Einnahmen. Schließlic­h grassiert noch ein interessan­tes, zudem exakt zutreffend­es Wort: eine Kombinatio­n von und und damit ein Darunter versteht man – wie beim Packen eines Koffers mit Verschiede­nartigem – ein Verschmelz­en von zwei Begriffen zu einem neuen: +

+

+

+ oder

+ Oft haben diese Zwitter einen gewissen Sprachwitz. Bei

bleibt einem der Witz aber im Hals stecken. Denn damit ist das unsägliche Gemisch von Halbwahrhe­iten, Falschmeld­ungen und Verschwöru­ngsgeschwu­rbel rund um Corona gemeint, das sich gerade wie eine Seuche weltweit verbreitet. Auch dieser Begriff hat eine Vorgeschic­hte: Schon 2003 beim Ausbruch der SARS-Epidemie sprach ein US-Politologe von um die unerträgli­che Aufgeregth­eit der Medien zu brandmarke­n.

Fazit: Alles wiederholt sich. Aber apropos. Augenblick­lich sollten wir alles tun, um Wiederholu­ngen zu vermeiden – etwa eine Wiederaufl­age des Lockdowns infolge von allzu sorgloser Lockerung. Dazu passt ein Witz aus dem Kabarett der NS-Zeit, der sich ohne Weiteres auf Corona ummünzen lässt:

Wenn Sie Anregungen zu Sprachthem­en haben, schreiben Sie! Schwäbisch­e Zeitung, Kulturreda­ktion, Karlstraße 16, 88212 Ravensburg

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