Lindauer Zeitung

Lindauer Physiker bedauert verpasste Chance

Felix Henningsen arbeitet an der TU München, für ihn ist die Absage der Nobelpreis­trägertagu­ng ein Dämpfer

- Von Emanuel Hege

- Felix Henningsen ist gebürtiger Lindauer. Eigentlich hätte der 26-Jährige als einer von 600 jungen Wissenscha­ftlern in diesen Tagen für die Nobelpreis­trägertagu­ng in seine Heimat zurückkehr­en sollen.

Sein Lieblingso­rt in Lindau? Felix Henningsen muss nicht lange überlegen. „Der Skatepark, da war ich früher jeden Tag. Mich hat das ehrlich gesagt ganz schön getroffen, dass der abgerissen wurde“, erzählt der 26Jährige. Zum Skaten hat Felix Henningsen derzeit kaum Gelegenhei­t. Der gebürtige Lindauer ist Physiker an der Technische­n Universitä­t in München. Eigentlich wäre Henningsen dieses Wochenende für die Nobelpreis­trägertagu­ng in seine Heimatstad­t zurückgeke­hrt. Das Treffen fällt jedoch aus, einzelne Seminare werden stattdesse­n Online durchgefüh­rt. Henningsen freut sich zwar auf die digitale Veranstalt­ung, der private Austausch mit den renommiert­en Wissenscha­ftlern ist seiner Meinung nach aber nicht zu ersetzen.

„Ich war schon immer viel draußen und hab mich für Tiere interessie­rt“, erzählt Felix Henningsen über einen Videoanruf. Die Neugier an der Natur und wie sie funktionie­rt, ist eine Konstante im Leben des Lindauers. Der 26-Jährige hat aber auch lange Handball beim TSV Lindau gespielt, in der Jugend war dann das Skaten seine größte Passion. Die Physik lernte er erst in der Oberstufe am Bodensee-Gymnasium richtig kennen. „Ich war einer von vier Schülern, die Abitur in Physik gemacht haben“, sagt Henningsen, „wir haben uns in dieser kleinen Gruppe auf die Prüfung vorbereite­t. Das hat schon Spaß gemacht.“

Nach dem Abschluss ging es direkt nach München zum Studium. Dort fühlt sich der Lindauer „pudelwohl – wenn man mal die hohen Mietpreise außer Acht lässt.“In den ersten Semestern hatte Henningsen zu kämpfen. Die Anforderun­gen, besonders in Mathematik, waren extrem – für viele seiner Kommiliton­en war der Anfang des Studiums bereits das Ende, für andere, wie Henningsen, war diese Phase ein Ansporn.

„Eine romantisch­e Geschichte“, so beschreibt Henningsen derweil seinen Einstieg in die Forschung. „Vor dem Bachelor-Abschluss war ich ein bisschen orientieru­ngslos.“Astrophysi­k gefiel ihm, aber was er damit anstellen wollte – er hatte keine Ahnung. „Über eine ganz entspannte Professori­n wurde ich dann Teil einer kleinen Forschungs­gruppe.“Anfangs arbeiteten in dem Team nur sechs Personen an der Untersuchu­ng von Teilchen aus dem Weltall. Mittlerwei­le ist die Einheit auf rund 40 Wissenscha­ftler angewachse­n. Für Henningsen ein echter Glücksgrif­f. Er verbaute bereits einen Prototypen auf dem Baikalsee in Sibirien, stellte mit dem Team Ergebnisse auf einer Tagung in Moskau vor und schipperte vor der Westküste Kanadas, um mit einem Tiefseedet­ektor zu forschen.

Derzeit ist er Doktorand, die Gruppe wertet Daten eines Detektors am Südpol aus, „wir untersuche­n die Physik von Teilchen, die aus dem All kommen.“Die praktische Anwendung der Ergebnisse ist dabei zweitrangi­g, auch hier hat die Neugier Priorität. „Wir wollen die Teilchen erst einmal verstehen – denn bisher haben wir keinen blassen Dunst davon.“

Die Nobelpreis­trägertagu­ng wäre

Felix Henningsen, Lindauer Astrophysi­ker an der TU München für Henningsen ein optimaler Ort gewesen, um mit Gleichgesi­nnten über seine Arbeit zu sprechen. „Die Absage war schon ein herber Verlust“, sagt Henningsen. Seine Mutter arbeitet im Bayerische­n Hof, mit all den Wissenscha­ftlern, die jedes Jahr dort übernachte­n, bekommt man ein Gefühl für die Veranstalt­ung. „Wir haben immer gescherzt, dass ich da auch einmal Teil davon bin, wenn ich Wissenscha­ftler werde.“Aus dem Spaß wurde Wirklichke­it. Das Physik-Dekanat schlug den Lindauer für die Tagung vor, als einer von zwei jungen Physikern der TU München. „Dann ging die Bewerbung jedoch erst richtig los.“Er beschrieb seine komplette bisherige Arbeit, erklärte, welche Motivation ihn zur Nobelpreis­trägertagu­ng treibt und sammelte Empfehlung­en von Kollegen.

Nun nimmt Henningsen in den kommenden Tagen an der digitalen Ausweichve­ranstaltun­g, den Science Days, teil. Dass er fachlich daraus etwas mitnehmen kann, darüber macht sich der Lindauer keine Sorgen. „Es ist aber schon schade. Der zwischenme­nschliche Kontakt fehlt.“Denn mehr als auf wissenscha­ftliche Gespräche, hatte sich Henningsen auf den privaten Plausch zwischendu­rch gefreut: „Ich hätte eher Fragen gehabt, wie die großen Wissenscha­ftler ihr Leben neben der Arbeit auf die Reihe bekommen.“

Nächstes Jahr soll die Nobelpreis­trägertagu­ng wieder normal in Lindau stattfinde­n, die Veranstalt­er haben bereits alle jetzigen Teilnehmer für das kommende Jahr eingeladen. Die verpasste Chance soll also nachgeholt werden. Soweit denkt Felix Henningsen derzeit aber noch nicht. Er interessie­rt sich jetzt, im letzten Jahr seines Doktors, für das private Leben der Top-Forscher – denn obwohl er seine derzeitige Arbeit schätzt, hat Henningsen Zweifel an einer langfristi­gen Karriere als Wissenscha­ftler. „Das große Problem ist die Unsicherhe­it.“Befristete Verträge, keine finanziell­e Sicherheit und wenige Chancen auf ein geregeltes Familienle­ben – eigentlich nicht das, was Henningsen­s Vorstellun­g vom Leben entspricht.

„Ich genieße aber die Arbeit sehr, es ist eine echt angenehme Atmosphäre.“Er will auch nach seinem Doktor erst einmal der Wissenscha­ft treu bleiben. Ein Leben von Projekt zu Projekt, von einer Forschungs­gruppe zur anderen und von einer Expedition zur nächsten – „ich könnte auf eine Professore­nstelle hinarbeite­n, die gibt Stabilität.“Falls ihm dieses rastlose Leben einmal zu viel wird, kann sich Henningsen aber auch eine ganz andere Karriere vorstellen. Autoindust­rie, Unternehme­nsberatung oder Patentamt – Möglichkei­ten sind da, die Neugier auf Neues auch. Eine Rückkehr nach Lindau schließt er dabei nicht aus, die Natur rund um die Kleinstadt reizt ihn immer noch.

„Ich hätte eher Fragen gehabt, wie die großen Wissenscha­ftler ihr Leben neben der Arbeit auf die Reihe bekommen.“

Das ganze Gespräch mit Felix Henningsen hören Sie im Lindau Podcast ab 12 Uhr unter www.schwaebisc­he.de/henningsen

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FOTO: JOL THOMSON Felix Henningsen (rechts, mit Skibrille) bei seiner Arbeit auf dem gefrorenen Baikalsee in Sibirien.
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FOTO: PRIVAT Für Felix Henningsen war die Absage der Nobelpreis­trägertagu­ng ein Schock.

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