Abschied eines Meisterstürmers
Mario Gomez hört beim VfB auf, Max Kruse schaut offenbar zufällig vorbei
- Was macht ein arbeitsloser Fußballer an einem schönen Frühsommertag? Exakt, er schaut sich die Schönheiten Deutschands an, etwa die süddeutsche Feinstaub- und neuerdings auch Randalehauptstadt Stuttgart, und dort speziell das Industriegebiet in Bad Cannstatt. Und wenn er schon mal da ist, fotografiert er die Klingel der VfB-Geschäftsstelle und stellt das Bild auf Instagram. Selbiges machte am Donnerstag Max Kruse, Deutschlands berühmtester respektive bester Fußballer im unfreiwilligen Unruhestand, der sich von Fenerbahce Istanbul wegen ausstehender Zahlungen getrennt hat. So, wie es bereits Loris Karius tat – ziemlich im Unfrieden nämlich. So sehr im Unfrieden, dass Alper Pirsen, Vorstandsmitglied der Türken, die Welt sogar vor diesem angeblichen Vertragsbrecher Kruse warnte: „Max Kruse wird sich jetzt wohl einen neuen Club suchen. Doch vorher werden wir diesen Verein warnen, dass sie uns im Fall einer Vertragsunterzeichnung eine Entschädigung zahlen müssen. Es wartet eine schwere Zeit auf Max Kruse.“
Die schwere Zeit sah am Donnerstag so aus, dass Kruse also sehr öffentlichkeitswirksam das Carl-Benz-Center abknipste, wo unter anderem das VfB-Leistungszentrum seinen Sitz hat. Die Euphorie, dass der VfB da einen Knaller verpflichten könnte und dazu auch noch ablösefrei, war natürlich enorm im Netz, doch der VfB weigerte sich, die Nachricht zu kommentieren. Zumindest die „Bild“-Zeitung glaubt, dass an dem Gerücht, der 32jährige Ex-Nationalstürmer, bis Sommer 2019 noch überragender Mann bei Werder Bremen, sei zu Vertragsverhandlungen da gewesen, nichts dran ist. „Der VfB will zwar einen neuen Stürmer holen, eine Verpflichtung von Kruse ist aber völlig ausgeschlossen“, schrieb sie.
Eigentlich schade, denn Max Kruse wäre ein sehr würdiger Nachfolger von Mario Gomez gewesen, der den VfB am Sonntag nach dem Saisonfinale gegen Darmstadt verlassen wird. Der bald 35-Jährige, der die Stuttgarter 2007 mit diversen anderen jungen Wilden wie Sami Khedira, Serdar Tasci, Timo Hildebrand oder Alexander Hleb zum sensationellen Titel schoss und den VfB 2008 verließ, um zehn Jahre später im Januar 2018 wiederzukehren, verlässt den VfB endgültig – zumindest als Spieler. Seine Bilanz kann sich sehen lassen: 2007 war er Deutschlands Fußballer des Jahres, 2008 EM-Zweiter, 2013 ChampionsLeague-Sieger. In 78 Länderspielen schoss er 31 Tore, mit dem FC Bayern war er dreimal Meister. Insgesamt glückten ihm in 328 Erstligaspielen 170 Tore, und auch in der 2. Liga wären heuer noch einige hinzugekommen, gäbe es keinen Videoassistenten, der ihm gleich fünf Treffer wegen Abseits wieder entzog, so lange, bis Gomez genervt meinte, es werde Zeit, dass er seine Karriere beende.
Sein Debüt in Stuttgart gab der gebürtige Riedlinger, der beim FV Saulgau und dem SSV Ulm mit dem Kicken anfing, ehe ihn der VfB holte, übrigens 2004 unter Felix Magath, der ihn im März beim 0:0 in der Champions League in Chelsea einwechselte. Magath würdigt ihn in höchsten Tönen. „Er hatte eine außergewöhnliche
Karriere als Spieler und gehört zu den Besten, die in der Bundesliga auf seiner Position gespielt haben. Man kann ihn nur beglückwünschen und ihm die Daumen drücken, dass er auch in Zukunft seine Beschäftigung findet.“
Das wird Mario Gomez, der womöglich noch ein, zwei Jahre in den USA dranhängt, bestimmt, denn mit den Jahren entwickelte er nicht nur eine bemerkenswerte Eloquenz, die ihn zum Sprachrohr seiner Mannschaften machte. Er wurde auch Motivator, Mentor, Co-Trainer und Psychologe in einem. Sowohl Tim Walter als auch Aufstiegstrainer Pellegrino Matarazzo schwärmten von der Sozialkompetenz des Mario Gomez Garcia, nur: Aufgestellt haben sie ihn am Ende immer seltener. Das Spiel von Gomez lebte stets von seiner Schnelligkeit, im Alter wird diese, zumindest ungedopt, nicht besser. Gomez klagte nie, er stellte sich in den Dienst der Mannschaft,
und als die anderen am Sonntag in Nürnberg in der Kabine den Aufstieg feierten, war der Jungvater mitten unter ihnen und sang am lautesten. Gomez, dem zu Anfangszeiten ein großes Ego unterstellt wurde, zeigte Charakter und Tugenden, die er bereits in Wolfsburg bewiesen hatte. Hämisch wurde er von den Fans aus Braunschweig 2017 in der Relegation verspottet, und was tat Gomez? Er strafte die Spötter mit Toren, und später bei der Heimfahrt stimmte der Kapitän inmitten der Kollegen das soeben gelernte Liedlein „Mario Gomez ist ein Hurensohn“an.
So macht man das als Sportler: Man gibt die Antwort auf dem Platz und danach im Bus. Auch letzten Sonntag hat er sie gegeben, als Teamplayer, im Kreise einer Mannschaft. Mario Gomez wird nicht so leicht zu ersetzen sein für den VfB Stuttgart. Nicht einmal durch Max Kruse.