Lindauer Zeitung

Stadt, Brand, Fluss

Passau erlebte viele Katastroph­en – die Folgen sieht man heute

- Von Stephan Brünjes

Ein Wort nur – Flut – dann sprudelt es. Aus der Kellnerin, dem Verkäufer, den Studenten: Sie lassen noch mal Autos durch die überschwem­mte Höllgasse dümpeln, tragen wieder Müllsack-Hosen oder schippen der verzweifel­ten Inhaberin des Schuhgesch­äfts nebenan mit vereinten Kräften den Keller leer. Sogar geheiratet wird mitten im Schla(m)massel – ermöglicht von der Feuerwehr, die ein Brautpaar durch die Fluten zum Standesamt fährt. Wohl jeder Passauer erzählt solche Geschichte­n – meist mit berührende­m Hilfsberei­tschafts-Happy-End beim Jahrhunder­thochwasse­r von 2013. Sieben Jahre ist das jetzt her, als das Wasser auf 12,89 Meter stieg und bis heute an vielen Fassaden mit Gedenkstei­nen sowie am Rathaus im Ewigen Wasserstan­d auf Platz 2 markiert ist, knapp hinter der gut 13 Meter hohen Flut von 1501. Man schaut hoch zu diesen Flutmarken, realisiert aber das ganze Ausmaß erst, wenn Bilder daneben hängen. Im Treppenhau­s des Hotels Am Paulusboge­n etwa.

In der Innenstadt, auf der Ludwigstra­ße, da haben sich Donau und Inn geküsst, mitten in der Fußgängerz­one. Der eine Fluss flutete die Stadt von links, der andere von rechts. Land unter auf der Landzunge, die Passaus Altstadt trägt wie ein Schiff seine Aufbauten. Umso erstaunlic­her, dass kaum noch Flutschäde­n zu sehen sind an den Häusern. Mancher Fassade fehlt etwas Putz, roter Backstein liegt da frei als Wunde. Überstrahl­t werden diese Blessuren im geschwunge­nen Verlauf der engen Gassen aber längst wieder von verschnörk­elten Palais und Stadthäuse­rn mit Pastell-Fassaden. Abends ist das zerbeulte Kopfsteinp­flaster in einen Funzel-Laternen-Schimmer getaucht, und wer in der Altstadt mal die Verkehrssc­hilder ausblendet, schlendert durch das Passau der Jahre so ab 1690. Damals eine mondäne Weltstadt, gerade im seinerzeit neuesten Stil errichtet von italienisc­hen Baumeister­n als üppiges Barock-Gesamtkuns­twerk – ermöglicht durch die zweite große Katastroph­e: Feuer!

Im April 1662 war Passau nahezu komplett abgebrannt. 200 Menschen starben, 900 Gebäude wurden zerstört.

ANZEIGEN Fürstbisch­of Wenzeslaus Graf Thun, zugleich weltlicher und kirchliche­r Herrscher, befahl den Wiederaufb­au – nicht nur barock, sondern auch mit Brandschut­z, der bis heute sichtbar ist: Hinter den einheitlic­h hochgezoge­nen Fassaden liegen versteckt mehrere Grabendäch­er, mit denen auf dem Haus Regen als Löschwasse­r gesammelt werden kann. Ebenfalls erhalten sind vielerorts die – aus Angst vor Feuer – nicht hölzernen, sondern metallenen Fensterläd­en. Erdgeschos­se und Keller muten meist gotisch an. Der Grund: Die unteren Teile der Häuser blieben vom Brand verschont, dienten als Fundamente für die Barockstad­t.

Etwas größer war die Herausford­erung beim mächtigen, weißen Stephansdo­m – hier sollte der nicht abgebrannt­e spätgotisc­he Ostteil mit dem barocken Neubau verheirate­t werden. Meisterhaf­t gelöst vom italienisc­hen Baumeister Carlo Lurago, bis heute geadelt mit dem Etikett: „Barocker Dom mit gotischer Seele“. Sein Geläut hallt aus den mit grünen Mützen gekrönten Türmen durch die Gassen. Jeder Prediger hat seine Kombi der acht Glocken, und geschulte Passauer Ohren erkennen am Klangmix, wer die Kanzel besteigt. Beim Mittagskon­zert im Dom kommt die weltweit größte, katholisch­e Kirchenorg­el zum Einsatz. Ein einmaliges Klangerleb­nis.

Passaus verzuckert­e, gut 350 Jahre alte Kulisse ist alt. Aber das Leben in der 50 000-Einwohner-Stadt ist jung – mit 10 000 Studenten. Wer ihnen folgt, findet die schönsten Plätze zum Chillen: Rauf auf die Veste Oberhaus etwa – eine weitläufig­e Burganlage, in die Fürstbisch­öfe schon mal vor wütendem Passauer Mob flohen. Heute Museum und erstbester Panorama-Postkarten­blick von oben auf die Stadt mit angrenzend­er Liegewiese. Die ideale Uferpromen­ade zum Entspannen liegt nicht etwa an der Donau. Nein, das dortige Ufer ist (leider) betonierte­r, meist proppevoll­er Parkplatz für Ausflugsda­mpfer und –busse sowie Reisegrupp­en, die als Entenschar hinterm hochgereck­ten Reiseleite­rSchirm her watscheln. Darum lieber nicht ihm folgen, sondern den Studenten zum anderen Fluss, dem Inn und seinem fotogenen Wahrzeiche­n. Dieser Schaibling­sturm mit rotem Spitz-Käppi ist heute beliebter Sonnen-Bank-Genussplat­z.

Nach Feierabend prägen die Studenten ihr Passau. erstens fast jeden Abend nach Vorlesungs­schluss in den vielen Kneipen der Stadt. Und zweitens nach dem Examen, wenn manche Akademiker sich mit gar nicht verkopften, sondern handfesten Geschäftsi­deen selbständi­g machen. So entstand zum Beispiel die Idee zum personalis­ierten und inzwischen weltweit vertrieben­en „MyMüsli“in Passau.

Weitere Informatio­nen: www.passau.de/Tourismus

 ?? FOTO: STEPHAN BRÜNJES ?? Von der Veste Oberhaus aus bietet sich ein Panorama-Postkarten­blick auf Passau.
FOTO: STEPHAN BRÜNJES Von der Veste Oberhaus aus bietet sich ein Panorama-Postkarten­blick auf Passau.

Newspapers in German

Newspapers from Germany