Opposition will bei Corona mitsprechen
Klagen über Alleingänge der Regierung während des Kampfes gegen das Virus
(lby) - Ministerpräsident Markus Söder (CSU) wiederholt es immer und immer wieder: Die Staatsregierung habe in der CoronaKrise richtig gehandelt, mit Vorsicht und Umsicht. Hohe Zustimmungswerte belegen auch eine hohe Zufriedenheit der bayerischen Bevölkerung mit dem Krisenmanagement. Und doch: Je stärker das Virus zurückgedrängt ist, desto lauter werden die Fragen: War und ist diese oder jene Anti-Corona-Maßnahme noch verhältnismäßig? Müsste es an manchen Stellen nicht schneller gehen mit den Lockerungen? Und: Müsste nicht der Landtag ein paar Wörtchen mehr mitzureden haben?
Fakt ist: Die Staatsregierung hat in den vergangenen Monaten eine ganze Fülle von Rechtsverordnungen und Allgemeinverfügungen beschlossen, um das Coronavirus einzudämmen. Und Fakt ist auch: Die weit überwiegende Mehrzahl der Regelungen wurde von verschiedenen Gerichten bestätigt, insbesondere zu Beginn der Krise. Mittlerweile aber gibt es mehrere Gerichtsentscheidungen, in denen einzelne Maßnahmen der Staatsregierung einkassiert und gekippt wurden. Jüngste Beispiele: Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof kippte zuletzt die Sperrstunde für Restaurants und Biergärten. Und das Regensburger Verwaltungsgericht bezeichnete das Kita-Betretungsverbot nunmehr als unverhältnismäßig – ein Bub darf seither wieder in den Kindergarten.
Die Staatskanzlei hat nachgezählt: 353 Klagen gab es – so jedenfalls der Stand vom Dienstag – wegen der Corona-Maßnahmen inzwischen bei den unterschiedlichsten Gerichten, von den Verwaltungsgerichten bis hin zum Bundesverfassungsgericht. „Völlig legitim“sei es auch, Maßnahmen des Staates überprüfen zu lassen, betonte Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) nach der jüngsten Kabinettssitzung. Fast alle dieser Verfahren habe die Staatsregierung aber gewonnen. Und wenn ein Gericht etwas gekippt habe, dann sei die Korrektur oder Abschaffung der jeweiligen Regelung ohnehin meist schon geplant gewesen.
Grundsätzlich ist es ja so: Das staatliche Handeln muss auch in Krisenzeiten verhältnismäßig sein. Maßnahmen dürfen nicht über Gebühr
in Grundrechte der Bürger eingreifen. Das bedeutet auch, dass sich die Grenzen mit der Zeit verschieben können: Maßnahmen, die auf dem Höhepunkt der Krise verhältnismäßig und damit zulässig waren, können einige Woche später übers Ziel hinausschießen. Deshalb, so Herrmann, habe man die Regelungen stets befristet und immer wieder überprüft.
Inzwischen gibt es aber einzelne gravierende Punkte, in denen Gerichte das Regierungshandeln korrigieren mussten: Die erste größere Schlappe für die Staatsregierung war, als der Verwaltungsgerichtshof die Größenbegrenzung auf 800 Quadratmeter bei den schrittweisen Ladenöffnungen einkassierte. Und jüngster prominenter Fall war das gerichtlich verfügte Aus für die Sperrstunde in der Gastronomie.
Andererseits haben Verfassungsund Verwaltungsgerichtshof immer wieder zentrale Anti-Corona-Maßnahmen gebilligt, insbesondere die Ausgangsbeschränkungen und die
Maskenpflicht. Doch auch da waren manche Details wichtig: Bei der zu Beginn geltenden Maskenpflicht, als es noch keine Ausnahmen aus gesundheitlichen Gründen gab, sahen die Richter die Entscheidung im Hauptverfahren als offen an. Die nächste Verordnung der Staatsregierung sah derlei Ausnahmen vor.
Die Landtagsopposition, die ebenfalls gerne Korrektiv wäre, hätte eine einfache Lösung und hat deshalb eine klare Forderung: Das Parlament sollte stärker in die Anti-Corona-Politik eingebunden werden. Denn keine der einschneidenden Maßnahmen, nicht einmal die langen Ausgangsbeschränkungen, mussten vom Landtag gebilligt werden.
Die FDP hatte als erste Fraktion verlangt, dass Corona-Verordnungen der Staatsregierung künftig der Zustimmung des Landtags bedürfen sollen. CSU und Freie Wähler wiesen den Vorstoß zurück. An diesem Donnerstag steht nun ein Gesetzentwurf der SPD auf der Tagesordnung des
Landtags, in dem diese mehr Macht fürs Parlament fordert. „Auch in Zeiten der Krise müssen die wesentlichen Entscheidungen durch das Parlament getroffen werden“, heißt es in dem SPD-Entwurf. Dies gelte insbesondere für „tiefe und einschneidende Grundrechtseingriffe“.
Spannend wird sein, wie sich die Freien Wähler, die zusammen mit der CSU regieren, nun verhalten werden. Denn zuletzt hatte deren Fraktion ein umfassendes Positionspapier vorgelegt. Darin fordern auch die Freien Wähler, „die Entscheidung über grundrechtseinschränkende Maßnahmen künftig dem Bayerischen Landtag als demokratisch legitimiertes Gesetzgebungsorgan vorzubehalten beziehungsweise unter Beteiligung des Bayerischen Landtags zu treffen“. Das könnte in den kommenden Monaten für manche Diskussionen in der Koalition sorgen. Einstweilen aber sind erst einmal diverse Gerichte am Zug. Schließlich ist eine dreistellige Zahl von Verfahren noch offen.