Lindauer Zeitung

Coburgs Sonderroll­e in Bayern

Eine Region ganz im Norden des Freistaats genießt seit 100 Jahren spezielle Rechte

- Von Mirjam Uhrich

(lby) - „Der Freistaat Coburg hat zu existieren aufgehört – es lebe Bayern!“, verkündete der Landtagspr­äsident in Coburg vor genau 100 Jahren. So richtig gefeiert haben die Coburger ihren Beitritt zu Bayern am 1. Juli 1920 aber nicht, erzählt Alexander Wolz, Leiter des Staatsarch­ivs Coburg. Dabei hätten sie eigentlich allen Grund dazu gehabt: Bayern akzeptiert­e nahezu jede Forderung der Coburger – bis heute genießt die Stadt Sonderrech­te im Freistaat.

„Das war damals das reinste Wunschkonz­ert“, meint Wolz und schüttelt den Kopf. Die Schulleite­r bestanden auf ihre vier Gymnasien, der Oberarzt auf sein Krankenhau­s und die Notare forderten ein eigenes Landgerich­t.

Aber damit nicht genug: Bayern sicherte Coburg den Erhalt der Handelsund Handwerksk­ammern, des Landesthea­ters und eine Verbesseru­ng der Verkehrsan­bindung zu. Mit der Landesstif­tung blieb sogar das Vermögen – unzählige wertvolle Gemälde, Waffen und Glas – in der Region.

Auf sieben Seiten sind die Zugeständn­isse festgehalt­en. Den „Staatsvert­rag zwischen den Freistaate­n Bayern und Coburg über die Vereinigun­g Coburgs mit Bayern“bewahrt das Staatsarch­iv sorgsam auf. „Wir sehen uns schon als Hüter des Vertrags“, sagt Wolz. „Mit der Unterschri­ft hat sich eine der Vertragspa­rteien, der Freistaat Coburg, aufgelöst. Wer sollte sich heute sonst um die Einhaltung bemühen?“

Nach der Auflösung der Monarchie 1918 gründete sich der Freistaat Coburg – mit einer Fläche von 562 Quadratkil­ometern und gerade einmal 74 000 Einwohnern kaum überlebens­fähig. Der Zusammensc­hluss mit Thüringen schien naheliegen­d, der Landtag war eigentlich schon überzeugt und der Vertrag vorbereite­t. Doch das Land Thüringen, das selbst gerade erst im Entstehen war, räumte den Coburgern keine Zugeständn­isse ein. „Der Tenor aus Thüringen war eher: Das Landesthea­ter machen wir dicht und über die Kunstschät­ze freuen wir uns.“

Und dann kam der „weltpoliti­sche Zufall“, meint Wolz. Die bayerische Landesregi­erung befand sich im nahe gelegenen Bamberg im Exil. „Bis nach München wären die Coburger

wohl nicht extra gefahren.“Aber so begannen erste Verhandlun­gen in den Bierkeller­n – und die Coburger konnten ihr Glück über all die Zugeständn­isse kaum fassen. Schon bald schrieb die Lokalzeitu­ng: „Wir Coburger wollen nicht zu Thüringen! Wir wollen nach Bayern!“Bei einem Volksentsc­heid am 30. November 1919 sollten die Coburger selbst entscheide­n.

Wolz holt einen vergilbten Briefumsch­lag hervor. Darin befinden sich zwei Zettel: „Ja“ist in altdeutsch­er Schreibmas­chinenschr­ift auf dem einen abgedruckt, „Nein“auf dem anderen. Am Ende stimmten fast 90 Prozent gegen den Beitritt zu Thüringen – und damit indirekt für weitere Verhandlun­gen mit Bayern. Die bayerische Regierung habe sich über den Zugewinn gefreut und keine größeren Kosten erwartet. „Von daher hat man relativ leichtfert­ig allem zugestimmt, was sich die Coburger so gewünscht haben.“

Doch bei der Kostenfrag­e verkalkuli­erte sich Bayern. Coburg zählt zwar heute zu den steuerkräf­tigsten Kommunen in ganz Deutschlan­d, betont Siegmar Schnabel, Hauptgesch­äftsführer der IHK zu Coburg. Und nicht nur er glaubt, der wirtschaft­liche Erfolg lasse sich auch auf die eigene Industrie- und Handelskam­mer zurückführ­en. Aber der Freistaat muss dank des Staatsvert­rags auch immer wieder kräftig investiere­n: Bald muss das Landesthea­ter saniert werden – überwiegen­d auf Kosten des Landes. Weniger als 100 Millionen Euro muss die Sanierung insgesamt kosten, so die Vorgaben aus München.

„Hier saniert der Freistaat – dank des Staatsvert­rags“, betont Bernhard Loges. Bei seiner Unterzeich­nung als Intendant habe er selbst eine Kopie des Vertrags bekommen. „Das ist schon was Besonderes.“Die Coburger hätten bis heute ein ausgeprägt­es historisch­es und kulturelle­s Bewusstsei­n. „Es ist einzigarti­g, dass eine Stadt dieser Größe ein eigenes Drei-Sparten-Theater hat. Es ist aber auch einzigarti­g, wie diese Tradition mit Stolz behaftet ist.“

Die Tragweite des Staatsvert­rags wurde den Coburger aber erst mit der Teilung Deutschlan­ds bewusst, glaubt Wolz. Die Entscheidu­ng für Bayern bedeutete plötzlich auch eine Entscheidu­ng für die Bundesrepu­blik. „Für Coburg war das eine regelrecht­e Erleichter­ung.“

 ?? FOTO: MARCUS FÜHRER/DPA ?? Unten die frühere Herzogssta­dt Coburg, oben die Veste Coburg: Seit 1920 gehört das frühere Herzogtum zu Bayern.
FOTO: MARCUS FÜHRER/DPA Unten die frühere Herzogssta­dt Coburg, oben die Veste Coburg: Seit 1920 gehört das frühere Herzogtum zu Bayern.

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