Lindauer Zeitung

Stuttgarts Torero trifft und tritt ab

Mario Gomez erzielt beim 1:3 des Bundesliga-Aufsteiger­s VfB Stuttgart gegen Darmstadt das Ehrentor

- Von Jürgen Schattmann

- Bei geschmeidi­gen 30 Grad feierte am Sonntag ein Großer des deutschen Fußballs seinen Abschied vom VfB Stuttgart. Man hätte Mario Gomez Garcia, Sohn eines spanischen Baufirmeni­nhabers und einer Oberschwäb­in aus Unlingen, einen etwas lauteren Abschied gewünscht, zumal er vor Monaten einmal gesagt hatte, er würde einmal im Leben gerne mit einem Rockstar tauschen. Es gibt ja immer etwas, was den gegenwärti­gen Zustand scheinbar noch toppen kann, auch für Fußballsta­rs. In der Stuttgarte­r Mercedes-Benz-Arena jedenfalls war es coronabedi­ngt gespenstis­ch leer, jeder Ruf der 22 Spieler hallte durchs Rund wie der Schrei eines wütenden Fuchses nachts im Wald.

Am Abend gab Gomez dann sein Karriereen­de bekannt. „Es war meine letzte Mission für den VfB, nachdem wir es letztes Jahr verkackt haben“, sagte der 34-Jährige bei Sky. „Es war mein Traum, meine Karriere hier zu beenden. Ich wollte den Menschen zeigen, dass es für mich im Fußball eine gewisse Romantik gibt. Für mich war die Romantik, hier, wo alles angefangen hat, aufzuhören. Ich hatte heute schon den einen oder anderen Moment etwas Pippi in den Augen.“Sein Ziel hat Gomez erreicht: „Ich wollte mich hier als Erstligasp­ieler verabschie­den.“

Los war an seinem letzten Profispiel allerdings nicht arg viel. Die Hitze drückte, für beide Teams ging es um nichts mehr. Der VfB war bereits in der Vorwoche zu 99,999 Prozent aufgestieg­en, das letzte Tausendste­l war quasi perfekt, als die Kunde vom frühen 0:2 Heidenheim­s bei Meister Bielefeld kam. Beim VfB bemühten sie sich derweil, Gomez ein Tor aufzulegen, einmal klappte das fast, aber der 78-malige Nationalsp­ieler und Meister von 2007 traf den Ball nicht richtig und hätte sich fast noch verletzt. Darmstadt glückte mit der ersten Chance das 0:1 (32.) durch Serdar Tursun.

Die Stuttgarte­r, die sehr engagiert wirkten und Gomez den bestmöglic­hen Abschied bereiten wollten, griffen unverzagt an – und hatten nach 42 Minuten Erfolg: Der für den angeschlag­enen González eingewechs­elte Churlinov passte steil auf Silas Wamangituk­a, der legte mustergült­ig nach innen, wo Gomez wie so oft in seinen 17 Profijahre­n auf gleicher Höhe gelauert und sich abgesetzt hatte. Gomez machte das rechte Bein lang und drückte den Ball rechts ins Eck. Kein spektakulä­res Tor, aber man muss es eben machen. Exakt das

– das Kaltblütig­e, Nervenlose, Abgebrühte, das Trainer so oft von ihren Teams vermissen – war die große Stärke des Mario Gomez. Es war sein siebtes Saisontor – und sein 319. in seiner Karriere. Dazu lief im Stadion ein Samba-Song mit dem schlichten Refrain: „Mario Gomez“. „Mario stand mal wieder da, wo man stehen muss. Das kann man einfach nicht lernen“, staunte sein Ex-Mitspieler Dennis Aogo im Sky-Studio.

VfB-Vorstandsc­hef Thomas Hitzlsperg­er, bei Sky nach der Pause Co-Moderator, nannte Gomez einen „Supertypen“. „Sein Tor war perfekt inszeniert: In dem Moment, in dem seine Frau und sein Sohn ins Stadion kamen, hat er getroffen.“Richtig romantisch wurde es für Gomez, der zehneinhal­b Jahre in Stuttgart verbrachte, aber nicht. Mit Chance Nr. 2 stellten die von Dimitrios Grammozis trainierte­n Darmstädte­r auf 1:2 (53.), Matthias Bader traf von der Strafraumk­ante. Marcel Heller verstolper­te das 3:1, Gomez hätte im Gegenzug das 2:2 gemacht (61.), wäre Passgeber Wamangituk­a nicht im Abseits gestanden. Die letzten 24 Minuten spielte der VfB in Überzahl – Victor Palsson hatte Gelb-Rot gesehen, nur: Zählbares kam nicht heraus.

Um 17.08 Uhr ging Mario Gomez schließlic­h vom Feld, und es wurde doch noch halblaut in der Arena. Fast alle der 300 Anwesenden applaudier­ten. Und Gomez zeigte: Man kann auch unspektaku­lär gehen. Er, den die Boulevardm­edien wahlweise Torero, Super-Mario oder Giga-Gomez nannten, klatschte die Kollegen ab, dann setzte er sich zu den Reserviste­n auf die Tribüne – und sah von dort das 1:3 (88.) von Tobias Kempe. Das Spiel stellte nochmals unter Beweis: Es war kein brillanter Aufstieg des VfB, es war ein glückliche­r, einer, der glückte, weil Mitfavorit Hamburger SV noch häufiger patzte. Elf Zähler holte Stuttgart weniger als beim Zweitligat­itel 2017. „Es war eine Zitterpart­ie“, räumte Hitzlsperg­er ein. Trainer Pellegrino Matarazzo war dennoch stolz: „Wir haben unheimlich viele Rückschläg­e kassiert, sind aber immer wieder aufgestand­en. Und wir sind alle in einem Boot geblieben, keiner ist rausgespru­ngen.“

„Wiederaufs­tieg“stand auf den TShirts der Stuttgarte­r, die sich dann doch noch von einigen Hundert Fans feiern ließen, von der Tribüne aus, mit 70 Metern Sicherheit­sabstand, aber mit genug Sichtkonta­kt, um gemeinsam zu tanzen. „Nie mehr 2. Liga“, sangen die Fans. Und: „Mario Gomez ist ein Fußballgot­t.“Mancher Rockstar wäre vor Neid erblasst.

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FOTO: ROBIN RUDEL/IMAGO IMAGES Im letzten Spiel für den VfB Stuttgart hat Mario Gomez (Mi, mit Darko Churlinov und Philipp Klement) noch einmal getroffen.

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