Babys vergiftet, Staatsanwaltschaft gefrustet
Morphin an Frühchen verabreicht – Schuldiger wird womöglich nie ermittelt
- Mehrere Säuglinge wurden vor einem halben Jahr auf der Frühchenstation der Ulmer Kinderklinik mit Morphin vergiftet. Davon geht die Staatsanwaltschaft weiter aus. Doch womöglich wird niemand zur Rechenschaft gezogen. Der von Pleiten, Pech und Pannen geprägte Fall könnte ungelöst zu den Akten gelegt werden.
„Schwierig“seien die Ermittlungen, sagt Michael Bischofberger. Der „Schwäbischen Zeitung“teilt der Sprecher der Ulmer Staatsanwaltschaft mit, dass er ein mögliches Ermittlungsergebnis nicht vorwegnehmen wolle. Allerdings müsse klar sein, „dass es auch denkbar ist, dass sich der Sachverhalt letztlich nicht klären lassen könnte“. Ein nicht gänzlich unwahrscheinliches Szenario, schaut man sich an, wie viele gesicherte Erkenntnisse die Ermittler in den vergangenen Monaten zu den Hintergründen des „Morphinfalls“zu Tage fördern konnten. Sie sind überschaubar.
Fakt ist: Die Ermittlungen dauern an und es sei auch nicht abzuschätzen, so Bischofberger, wann diese beendet würden – oder der Tathergang mitsamt den Verantwortlichen präsentiert werden kann. Momentan wartet die Staatsanwaltschaft auf das Ergebnis zweier Gutachten (toxikologisch und neonatologisch), die „möglicherweise“weitere Ermittlungsansätze liefern könnten.
Nach wie vor geht die Staatsanwaltschaft von einem versuchten Tötungsdelikt aus. Ob jemals ein Verantwortlicher zur Rechenschaft gezogen wird, steht derzeit aber in den Sternen.
Denn: Vielversprechende Spuren, die der oder die Täter womöglich am Tatort hinterlassen haben, sind unwiederbringlich verloren.
Das Hauptproblem: Die Staatsanwaltschaft wurde erst zu einem „sehr späten Zeitpunkt“informiert, so ihr Sprecher. „Die Ermittlungen hätten sicherlich völlig anders ausgesehen, wenn wir zeitnah vom Geschehen benachrichtigt worden wären.“
Bischofberger spielt darauf an, dass sein Haus erst Mitte Januar eingeschaltet worden war – obwohl die Säuglinge bereits in der Nacht auf den 20. Dezember vergiftet wurden. Gegen 1 Uhr waren die fünf Babys mit lebensgefährlichen Symptomen auf die Intensivstation gekommen. Urinproben ergaben später bei allen eine Morphinvergiftung. Die Babys wurden gerettet.
Was sich die Uniklinik vorwerfen lassen muss: dass sie die Staatsanwaltschaft erst am 17. Januar eingeschaltet hat – obwohl der Morphinbefund schon am 8. Januar im internen Klinikinformationssystem zur Verfügung stand. Er hätte nur abgerufen und an die Staatsanwaltschaft übermittelt werden müssen.
Dass dies erst später geschah, begründete Udo X. Kaisers, der Vorstand des Ulmer Uniklinikums, in einem früheren Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“damit, dass diese Ergebnisse „keine unmittelbare Relevanz für den klinischen Behandlungsverlauf“der Babys gehabt hätten. Außerdem seien medizinische Notfälle zunächst schlicht nichts Ungewöhnliches an einem Krankenhaus.
Bei Bischofberger klingt heute Frust durch: Nach der Zeit, die zwischen der Tat und Erstattung der Anzeige verstrichen war, waren am Tatort „keine erfolgversprechenden Spuren mehr zu erwarten“.
Reagiert hat die Klinik trotz allem. In der Kinderklinik gibt es nun routinemäßige Analysen von Urinproben bei Patienten mit ungewöhnlichem Verlauf und verschärfte Kontrolle des Zugangs zu Betäubungsmitteln „über die gesetzlichen Vorgaben hinaus“. Zudem werden Milchfläschchen und -spritzen verplombt, der Zugang zu den Milchküchen beschränkt und die Streifen des Sicherheitsdienstes intensiviert.
Kurz nach Bekanntwerden der Tat hatte Klinikchef Kaisers die Möglichkeit, dass der Fall niemals aufgeklärt wird, als „den schlimmsten“für alle Beteiligten bezeichnet. Wer heute nachfragt, erfährt nichts Konkretes. „Das Universitätsklinikum hat volles
Vertrauen in die Arbeit der Ermittlungsbehörden.“Mit weiteren Äußerungen wolle man warten, bis die Ermittlungen abgeschlossen sind.
Noch immer hat die Staatsanwaltschaft sechs Klinikmitarbeiter als Verdächtige im Fokus, die in besagter Nacht Dienst hatten, vier Schwestern, zwei Ärztinnen. Letztere dürfen wieder arbeiten (wegen ihrer Facharztausbilung), die Schwestern sind noch freigestellt. Alle sechs bestreiten die Vorwürfe. Auch dies stellt die Ermittler vor ein Problem: dass keine „objektiven Tatzeugen“zur Verfügung stehen.
Aufgegeben hat die Staatsanwaltschaft (noch) nicht. Man habe sich mit den Gegebenheiten zu arrangieren, „wie sie sich uns eben präsentieren“. Abgesehen von Verjährungsfristen gibt es keine Fristen, die die Staatsanwaltschaft beachten muss. Ewig lange dürfte aber nicht mehr ermittelt werden. Letztlich gehe Gründlichkeit jedoch „vor Schnelligkeit“. Was nicht immer der Fall war. Eine fatale Panne sorgte Anfang Februar bundesweit für Aufsehen.
Zu Unrecht wurde eine der verdächtigten Krankenschwestern in UHaft genommen. In ihrem Spind war eine Spritze mit Morphin gefunden worden. Das Corpus Delicti? Mitnichten. Es kam heraus, dass die Spritze bei ihrer Untersuchung durch das LKA zuvor mit dem Gift verunreinigt worden war. Die Frau kam frei. Sollten die Ermittlungen gegen sie eingestellt werden, kann sie auf Entschädigung hoffen. Und das, obwohl sie – auch wenn ihr gegenüber natürlich die Unschuldsvermutung gilt – etwas zu tun haben könnte mit der Vergiftung der Babys.