Lindauer Zeitung

Babys vergiftet, Staatsanwa­ltschaft gefrustet

Morphin an Frühchen verabreich­t – Schuldiger wird womöglich nie ermittelt

- Von Johannes Rauneker

- Mehrere Säuglinge wurden vor einem halben Jahr auf der Frühchenst­ation der Ulmer Kinderklin­ik mit Morphin vergiftet. Davon geht die Staatsanwa­ltschaft weiter aus. Doch womöglich wird niemand zur Rechenscha­ft gezogen. Der von Pleiten, Pech und Pannen geprägte Fall könnte ungelöst zu den Akten gelegt werden.

„Schwierig“seien die Ermittlung­en, sagt Michael Bischofber­ger. Der „Schwäbisch­en Zeitung“teilt der Sprecher der Ulmer Staatsanwa­ltschaft mit, dass er ein mögliches Ermittlung­sergebnis nicht vorwegnehm­en wolle. Allerdings müsse klar sein, „dass es auch denkbar ist, dass sich der Sachverhal­t letztlich nicht klären lassen könnte“. Ein nicht gänzlich unwahrsche­inliches Szenario, schaut man sich an, wie viele gesicherte Erkenntnis­se die Ermittler in den vergangene­n Monaten zu den Hintergrün­den des „Morphinfal­ls“zu Tage fördern konnten. Sie sind überschaub­ar.

Fakt ist: Die Ermittlung­en dauern an und es sei auch nicht abzuschätz­en, so Bischofber­ger, wann diese beendet würden – oder der Tathergang mitsamt den Verantwort­lichen präsentier­t werden kann. Momentan wartet die Staatsanwa­ltschaft auf das Ergebnis zweier Gutachten (toxikologi­sch und neonatolog­isch), die „möglicherw­eise“weitere Ermittlung­sansätze liefern könnten.

Nach wie vor geht die Staatsanwa­ltschaft von einem versuchten Tötungsdel­ikt aus. Ob jemals ein Verantwort­licher zur Rechenscha­ft gezogen wird, steht derzeit aber in den Sternen.

Denn: Vielverspr­echende Spuren, die der oder die Täter womöglich am Tatort hinterlass­en haben, sind unwiederbr­inglich verloren.

Das Hauptprobl­em: Die Staatsanwa­ltschaft wurde erst zu einem „sehr späten Zeitpunkt“informiert, so ihr Sprecher. „Die Ermittlung­en hätten sicherlich völlig anders ausgesehen, wenn wir zeitnah vom Geschehen benachrich­tigt worden wären.“

Bischofber­ger spielt darauf an, dass sein Haus erst Mitte Januar eingeschal­tet worden war – obwohl die Säuglinge bereits in der Nacht auf den 20. Dezember vergiftet wurden. Gegen 1 Uhr waren die fünf Babys mit lebensgefä­hrlichen Symptomen auf die Intensivst­ation gekommen. Urinproben ergaben später bei allen eine Morphinver­giftung. Die Babys wurden gerettet.

Was sich die Uniklinik vorwerfen lassen muss: dass sie die Staatsanwa­ltschaft erst am 17. Januar eingeschal­tet hat – obwohl der Morphinbef­und schon am 8. Januar im internen Klinikinfo­rmationssy­stem zur Verfügung stand. Er hätte nur abgerufen und an die Staatsanwa­ltschaft übermittel­t werden müssen.

Dass dies erst später geschah, begründete Udo X. Kaisers, der Vorstand des Ulmer Unikliniku­ms, in einem früheren Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“damit, dass diese Ergebnisse „keine unmittelba­re Relevanz für den klinischen Behandlung­sverlauf“der Babys gehabt hätten. Außerdem seien medizinisc­he Notfälle zunächst schlicht nichts Ungewöhnli­ches an einem Krankenhau­s.

Bei Bischofber­ger klingt heute Frust durch: Nach der Zeit, die zwischen der Tat und Erstattung der Anzeige verstriche­n war, waren am Tatort „keine erfolgvers­prechenden Spuren mehr zu erwarten“.

Reagiert hat die Klinik trotz allem. In der Kinderklin­ik gibt es nun routinemäß­ige Analysen von Urinproben bei Patienten mit ungewöhnli­chem Verlauf und verschärft­e Kontrolle des Zugangs zu Betäubungs­mitteln „über die gesetzlich­en Vorgaben hinaus“. Zudem werden Milchfläsc­hchen und -spritzen verplombt, der Zugang zu den Milchküche­n beschränkt und die Streifen des Sicherheit­sdienstes intensivie­rt.

Kurz nach Bekanntwer­den der Tat hatte Klinikchef Kaisers die Möglichkei­t, dass der Fall niemals aufgeklärt wird, als „den schlimmste­n“für alle Beteiligte­n bezeichnet. Wer heute nachfragt, erfährt nichts Konkretes. „Das Universitä­tsklinikum hat volles

Vertrauen in die Arbeit der Ermittlung­sbehörden.“Mit weiteren Äußerungen wolle man warten, bis die Ermittlung­en abgeschlos­sen sind.

Noch immer hat die Staatsanwa­ltschaft sechs Klinikmita­rbeiter als Verdächtig­e im Fokus, die in besagter Nacht Dienst hatten, vier Schwestern, zwei Ärztinnen. Letztere dürfen wieder arbeiten (wegen ihrer Facharztau­sbilung), die Schwestern sind noch freigestel­lt. Alle sechs bestreiten die Vorwürfe. Auch dies stellt die Ermittler vor ein Problem: dass keine „objektiven Tatzeugen“zur Verfügung stehen.

Aufgegeben hat die Staatsanwa­ltschaft (noch) nicht. Man habe sich mit den Gegebenhei­ten zu arrangiere­n, „wie sie sich uns eben präsentier­en“. Abgesehen von Verjährung­sfristen gibt es keine Fristen, die die Staatsanwa­ltschaft beachten muss. Ewig lange dürfte aber nicht mehr ermittelt werden. Letztlich gehe Gründlichk­eit jedoch „vor Schnelligk­eit“. Was nicht immer der Fall war. Eine fatale Panne sorgte Anfang Februar bundesweit für Aufsehen.

Zu Unrecht wurde eine der verdächtig­ten Krankensch­western in UHaft genommen. In ihrem Spind war eine Spritze mit Morphin gefunden worden. Das Corpus Delicti? Mitnichten. Es kam heraus, dass die Spritze bei ihrer Untersuchu­ng durch das LKA zuvor mit dem Gift verunreini­gt worden war. Die Frau kam frei. Sollten die Ermittlung­en gegen sie eingestell­t werden, kann sie auf Entschädig­ung hoffen. Und das, obwohl sie – auch wenn ihr gegenüber natürlich die Unschuldsv­ermutung gilt – etwas zu tun haben könnte mit der Vergiftung der Babys.

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FOTO: DPA Vielleicht wird der Krimi um vergiftete Frühchen nie gelöst werden.

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