Söldnertruppe oder Schattenarmee
Ein privates Militärunternehmen erfüllt für Russland unangenehme Aufträge – Der Kreml leugnet eine Verbindung
- Wenn sie im Donbas einen gegnerischen Vorposten stürmten, hätten sie vorher in die Luft geschossen, um den Ukrainern Gelegenheit zum Rückzug zu geben. „Sie taten uns leid“, sagt Alexei dem Nachrichtenportal ura.ru, „das ist ja unser slawisches Blut.“In Syrien aber hätten er und seine Kameraden es mit Söldnern aus Tunis, Libyen oder dem Sudan zu tun bekommen. „Terroristen mit einer fremden, aggressiven Ideologie. Besser sie dort platt machen, ehe sie in Russland auftauchen.“
Alexei, Berufsoffizier a. D. und Geschäftsmann, besteht darauf, kein Söldner zu sein, sondern Freiwilliger. Obwohl er für einen Monatssold von umgerechnet 2000 bis 4000 Euro in Syrien gekämpft hat, vorher im Donbas. Er diente in der „Privaten Militärfirma Wagner“, die offiziell gar nicht existiert, deren jährlichen Unterhalt das Wirtschaftsportal RBK aber auf umgerechnet mindestens 60 Millionen Dollar schätzt – inklusive der 60 000 Dollar-Entschädigungen, die die Firma für jeden Toten zahlte. Angesichts geheimer Posten im Staatshaushalt bleibt offen, was davon der Fiskus begleicht. Jedenfalls sind die in Russland offiziell verbotenen Söldner keine teuren Krieger, „Helden unserer Zeit“schwärmt Sergei Minajew, Chef des russischen Männermagazins Esquire.
Bei ihren ersten Einsätzen im ukrainischen Donbas fiel die Gruppe Wagner wenig auf. Scheinbar einer von vielen mit Russen gespickten Freiwilligentrupps, der sich nach dem Codenamen seines Kommandeurs nannte – Dmitri Utkin, Exoffizier des Militärgeheimdienstes GRU, hat nach Presseberichten ein Faible für Richard Wagner und das Dritte Reich.
Wie ein anderer Wagner-Kämpfer, ein russischer Fallschirmjägerhauptmann a. D. mit dem Codenamen „Omen“dem weißrussischen TV-Kanal Belsat sagte, war die Truppe von Anfang an kein Kanonenfutter, sondern bestand aus Profis mit Spezialausbildung und Kampferfahrung. Aber offenbar erledigte Wagner schon damals riskante Aufgaben an vorderster Front, verlor laut Omen in der Kesselschlacht von Debalzewo Anfang 2015 etwa 40 Leute.
Berühmt wurde Russlands „Fremdenlegion“, in der auch Weißrussen, Moldawier oder Serben dienen, in Syrien. Offiziell setzt Moskau dort außer Militärberatern und -polizisten fast nur Luftwaffe ein. Aber die syrischen Bodentruppen zeigten sich immer wieder unfähig, die von ihr bombardierten Positionen zu erobern. Wagner wurde zur Sturmtruppe des Syrienkrieges, soll unter blutigen Verlusten Aleppo und zweimal Palmyra freigekämpft haben, die Presse zählt Hunderte Gefallene.
Ende 2016 durften Utkin und mehrere seiner Kommandeure bei einem Empfang mit Wladimir Putin posieren. Später machte Wagner in Libyen Schlagzeilen. Ab 2018 unterstützten dort laut einem UN-Bericht 1200 russische Söldner den als kremlnahe geltenden Bürgerkriegskommandeur Chalifa Haftar.
Der Kreml aber leugnet weiter jede Verbindung mit der Privatarmee, ebenso der Petersburger Geschäftsmann Jewgeni Prigoschin, den viele Medien als ihren Inhaber bezeichnen. Prigoschin soll die Kämpfer auch gezielt für seine Geschäftszwecke einsetzen. Sie bilden im Sudan Bürgerkrieger aus, behüten auf Madagaskar Wahlkampftechnologen oder in der Zentralafrikanischen Republik Goldminen. „Ich sehe nicht, welche realen Interessen Russland dort besitzt“, sagt der Moskauer Militärpolitologe Alexander Golz. „In gewisser Weise haben wir es mit einer Neuauflage der Britischen Ostindien-Kompanie zu tun. Da mischten sich private Wirtschaftsinteressen auch gründlich mit den militärischen Zielen Großbritanniens.“
Das Modell Wagner macht Schule. Laut dem TV-Kanal Doschd wurden in den vergangenen Jahren mehrere andere Privattruppen gegründet, darunter „Patriot“, eine besser ausgebildete und bezahlte Einheit, hinter der das Verteidigungsministerium stehen soll. Patriot, seit 2018 in Syrien aktiv, soll Wagner auch Konkurrenz um die Bewachung der zentralafrikanischen Goldminen machen. Illegale, schwer bewaffnete Männergruppen, für deren Heldentaten im Ausland der Staat ebenso wenig die Verantwortung übernehmen muss wie für ihre Toten. „Seit fünf Jahren verhindern unsere Sicherheitsorgane, dass das Parlament private Militärfirmen legalisiert“, sagt Golz. „Zum Glück. Sonst drohte uns, dass irgendwann Hunderte deklassierte Berufskrieger Russland unsicher machen.“
Auf russischen Internetseiten sind Videos aufgetaucht, auf denen vier Soldaten einem am Boden liegenden Araber mit einem Vorschlaghammer die Gliedmaßen zertrümmern, johlend in den Unterleib schießen, ihm dann mit Messer und Spaten Kopf sowie Unterarme abtrennen. Ihr Russisch ist akzentfrei, sie beschmieren seine Brust mit den kyrillischen Buchstaben „WDW" (die russische Abkürzung für Fallschirmtruppen), übergießen seine Leiche mit Benzin und zünden sie an. Nach Angaben des syrischen Oppositionsportals Jesr Press war das Opfer ein syrischer Deserteur, laut der Zeitung „Nowaja Gaseta“entstanden die Aufnahmen 2017 auf dem Gelände einer von Wagner-Söldner besetzten Raffinerie. Einer der Männer soll der Ex-Polizist Stanislaw D. sein, der bei Wagner angeheuert hatte. Russlands Behörden sehen bisher keinen Grund zu ermitteln.