Nobelpreisträger sehen auch gute Seiten der Corona-Pandemie
Bei einer Online-Diskussion wird deutlich: Nie war der Stellenwert der Wissenschaft so groß wie jetzt
- Wohl nie in der Geschichte war der Stellenwert der Wissenschaft so groß wie jetzt. So finden Nobelpreisträger bei einer Diskussionsrunde im Internet auch gute Seiten der Corona-Pandemie.
Grundsätzlich sind sich drei Nobelpreisträger und zwei junge Spitzenforscher bei der Diskussion am frühen Montagmorgen einig: Nie waren Wissenschaftler weltweit so gefragt wie jetzt. Allerdings waren sie auch nie so unter Druck wie in den vergangenen Wochen. Denn die Verantwortlichen aus Politik und Wirtschaft forderten stets schnelle Antworten, und die sollten eindeutig sein.
Das aber widerspreche den Grundsätzen der Wissenschaft, erklärte der Australier Peter Doherty, der als Immunologe 1996 den Medizin-Nobelpreis erhalten hat. Denn eindeutige Antworten gebe es in der Wissenschaft grundsätzlich nicht, weil man jedes Ergebnis immer wieder in Zweifel stelle. Für Forscher untereinander sei das ganz normal. Umso erstaunter war mancher, als Medien solche Gegensätze aufgriffen und daraus Skandale machten. An solchen Umgang mit ihren Debatten müssten sich die meisten Wissenschaftler erst gewöhnen.
Auch das Tempo, in dem sie Ergebnisse liefern sollten, gefalle nicht jedem, ergänzte der US-Amerikaner Saul Perlmutter, der 2011 als Physiker den Nobelpreis erhielt. Zudem unterscheide sich die Sprache von Wissenschaft
und Politik erheblich, was zu Missverständnissen führe, wenn beide mit denselben Worten etwas anderes meinten.
Das Problem bestehe weniger zwischen Wissenschaft und Politik als zwischen den Wissenschaftlern, nahm Michael Levitt eine klare Gegenposition ein. Der 2013 als Chemiker ausgezeichnete Israeli ist ein Datenfachmann, der seit Jahresbeginn mindestens 18 Stunden täglich an Corona forscht. Wissenschaft in Echtzeit wie jetzt, habe er vorher nie betrieben. Leider hielten viele Kollegen den Anforderungen nicht stand, deshalb sei die wissenschaftliche Debatte teilweise zum Erliegen gekommen. Hinzu komme, dass einige Spitzenforscher geradezu in Panik verfallen seien aus Angst vor einer Infektion.
Er kritisiert, dass die Politik zu einseitig auf die Immunologen gehört hätte, dabei wäre die Sachkenntnis anderer Bereiche ebenfalls wichtig gewesen. Aus diesem Grund sollten auch mehr Frauen in wichtigen beratenden Gremien vertreten sein, ergänzte die Britin Alice FletcherEtherington, und Enrique Lin Shiao fordert mehr Latinos und Afrikaner in der Forschung. Denn die Wissenschaft an sich mag unabhängig von Geschlecht oder Herkunft funktionieren. Wissenschaftler sind aber sehr wohl abhängig vom eigenen Blickwinkel. Zudem gäbe es weniger Zweifel aus den Gemeinschaften der Minderheiten, wenn die Wissenschaft nicht so von weißen Männern geprägt wäre.
Einig waren sich die fünf Spitzenforscher, dass es gut für die Menschheit und für die Welt wäre, wenn die Politik nicht nur in der Corona-Krise auf die Wissenschaft hören würde, sondern auch in der Klimakrise oder bei der Bekämpfung der Armut in der Welt. In beiden Fällen habe die Politik aber viele Jahre lang die Ergebnisse und die daraus ableitbaren Folgen verneint und nicht umgesetzt. Nun hoffen die Wissenschaftler,
dass sich diese Einstellung ändert.
Umgekehrt müsse sich die Einstellung mancher Forscherkollegen ändern. Denn Gehör finde Wissenschaft nur, wenn sie sich raus aus dem Elfenbeinturm bewegt und sich in die Mitte der Gesellschaft begibt. Wenn Wissenschaft nicht nur Theorie bleiben soll, müsse man den sich aus dem Schritt in die Öffentlichkeit ergebenden Druck aushalten.
Ausgewählte Diskussionen überträgt die Geschäftsstelle der Nobelpreisträgertagungen direkt auf ihrer Facebookseite „Lindau Nobel Laureate Meetings“. Im Laufe der Woche erscheinen die Diskussionen und Vorträge zudem in der Mediathek der Tagung, die zu erreichen ist unter www.mediatheque. lindau-nobel.org/