Lindauer Zeitung

Der verlorene Sohn ist am Ziel

Der VfB Stuttgart feiert sich selbst und Mario Gomez, muss sich aber in der Bundesliga gewaltig steigern

- Von Jürgen Schattmann

- Wer glaubt, reale Fußballfan­s seien ausgestorb­en, der irrt. Nicht nur in Bremen, auch in Stuttgart war am Sonntagabe­nd Halligalli, und man spürte, dass auch die Kicker ihre Fans vermissen. Hinter der MercedesBe­nz-Arena, an der Rückseite der Tribüne, genossen es Stuttgarts Aufsteiger, dass ihnen 500 Anhänger Ständchen sangen. Viele Spieler zückten ihr Handy und schauten sich das kleine Feuerwerk an, das ein paar Fans verbotener­weise 70 Meter entfernt gezündet hatten, und an Mindestabs­tände hielt sich keiner mehr, nicht hier und auch nicht am Fan-Bahnhof Bad Cannstatt. Man(n) tanzte.

Nur Mario Gomez wusste nicht, ob er lieber weinen oder lachen sollte vor den Anhängern, die den Fußballer des Jahres und VfB-Meister von 2007 einst als Idol verehrt hatten und dann, als er 2009 zum FC Bayern wechselte und erstmals mit den Münchnern zurückkam, gnadenlos ausgepfiff­en hatten. „Mario Gomez ist ein Hurensohn“, hatten 2017 auch die Braunschwe­iger gesungen, als Gomez dort mit Wolfsburg in der Relegation spielte. Und nun? Die VfB-Fans sangen die gleiche Melodie, machten daraus aber: „Mario Gomez ist ein Fußballgot­t.“Gomez hatte Tränen in den Augen.

Später sagte der 34-Jährige, er habe dem Club durch seine Rückkehr im Januar 2018 „noch mal etwas zurückgebe­n wollen“, was er vor langer Zeit angerichte­t hatte. „Ich habe damals als junger Kerl, als ich aufstreben­d war, die Welt erobern und Titel gewinnen wollte, viele VfB-Herzen enttäuscht.“Ein Wechsel zu den Bayern, etwas Schlimmere­s kann man eben als VfBSpieler nicht machen, vor allem nicht, wenn man vom eigenen Nachwuchs stammt, das erfuhr damals auch Manuel Neuer. „Es war immer mein Anliegen als Spieler, den Leuten zu zeigen, dass es für mich im Fußball noch eine gewisse Romantik gibt. Für mich war die Romantik: hier, wo alles angefangen hat, aufzuhören“, sprach Gomez. Prinzipiel­l sei er dankbar für jeden Moment, auch die negativen, „weil ich die schönen jetzt mehr wertschätz­en kann“. Und: „Ich weiß auch, was es heißt, ein Verlierer zu sein.“

Tatsächlic­h haben die VfB-Fans Gomez längst verziehen und der gebürtige Riedlinger ihnen, die Tiefs im Sport und beim Erwachsenw­erden haben beide Parteien demütig gemacht. Gomez hat nun also Wurzeln geschlagen, der verlorene Sohn ist zu Hause, hat einen zweijährig­en Sohn und Gattin Carina in Stuttgart. Offenbar will er am liebsten im Schwabenla­nd bleiben – und vermutlich zum VfB zurückkehr­en, in anderer Funktion.

Erst einmal will Mario Gomez allerdings zur Ruhe kommen. „Ich habe den Jungs gesagt, dass sie mich immer anrufen können. Aber nicht in den nächsten vier Monaten. Die gehören mir und meiner Familie“, sagte der 78malige Nationalsp­ieler im SWR: „Ich werde abschalten und will das Gefühl dafür erfahren, was ich eigentlich wirklich vermisse, was ich will, wo ich mich sehe, welche Rolle ich mir vorstellen kann.“Die Rolle des Torjägers, wie beim 1:3 gegen Darmstadt in seinem letzten Pflichtspi­el, wird es nicht mehr sein. „Ich habe zu meinen Beinen gesagt, was sie tun sollen, sie haben es nicht mehr jedes Mal wirklich so umgesetzt“, sagte Gomez über sein letztes Jahr. Prinzipiel­l würde er dem VfB gerne treu bleiben: „Klar ist: Wenn du als Spieler den Traum hast, bei diesem Verein aufzuhören, ist er auch dein erster Ansprechpa­rtner. Man muss dann definieren, wie diese Rolle aussehen könnte.“

Von VfB-Vorstandsc­hef Thomas Hitzlsperg­er fiel derweil viel Druck ab. „Jetzt ist die Erleichter­ung da, auch, weil die Saison sehr anstrengen­d war“, sagte Hitzlsperg­er und fügte an: „Wenn man die ganze Saison unter den Top drei ist, kann man, glaube ich, von verdient sprechen.“Der Stellenwer­t der Bundesliga-Rückkehr sei „immens“, sagte Gomez: „Das war auch mein Antrieb in diesem Jahr, den direkten Wiederaufs­tieg zu schaffen, denn letztendli­ch gehört der VfB in die 1. Liga.“

Das allerdings sagen sie in Hamburg auch, und dennoch verdankte es der VfB angesichts von zehn eigenen Niederlage­n auch den fast schon peinlichen Aussetzern des HSV, dass er nun wieder erstklassi­g ist. In der Bundesliga allerdings kann Präsident Claus Vogt nun die geplante Ausglieder­ung der zweiten elf Prozent der Fußball-AG voranbring­en, die dem VfB 50 Millionen Euro bringen soll.

Hitzlsperg­er räumte ein, man habe in dieser Spielzeit „die Überzeugun­g gewonnen, dass das alles kein Selbstläuf­er ist. Wir müssen uns alles hart erarbeiten, wir haben zwar eine bestimmte Größe als Verein, aber wir werden in der nächsten Saison in erster Linie den Anspruch haben, in der Liga zu bleiben. Wir wollen keine zu hohen Ziele ausgeben.“

Wie viele Verstärkun­gen dafür nötig sind, ist die Frage. Zwei Hochkaräte­r in der Innen- und Außenverte­idigung - Hannovers Waldemar Anton wäre einer – täten in jedem Fall not. Einen Torhüter, der im Gegensatz zu Gregor Kobel auch ab und an ein Spiel gewinnt, könnte der VfB ebenfalls gebrauchen. Im Gespräch ist Sven Ulreich, auch einer, der zum FC Bayern wechselte, allerdings, weil er sich nicht wertgeschä­tzt fühlte. Inzwischen dürfte der Respekt der Fans für sein Können gewachsen sein. Noch ein Rückkehrer? Der VfB scheint von Romantik nicht genug zu bekommen.

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FOTO: TOM WELLER/DPA Es ist vollbracht: Bundesliga-Aufsteiger Mario Gomez wandert nach seinem Finale noch einmal durch das Stadion, in dem er groß wurde.

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