Abschied von der Demokratie
Russlands Verfassungsreform dreht sich um das kleine Wort „hintereinander“. In der alten Verfassung von 1993 hieß es, niemand dürfe länger als „zwei Amtszeiten hintereinander“Präsident sein, ein eigentümliches, verbales Hintertürchen, das man vielleicht für den damaligen Staatschef Boris Jelzin hineingeschrieben hatte. Dessen Nachfolger Putin aber hielt sich 2008 an diese Formulierung und wechselte nach seiner zweiten Amtsperiode auf den Posten des Regierungschefs. Das Wörtchen „hintereinander“nutzte er vier Jahre später, um zurück ins höchste Staatsamt zu rotieren. Das Manöver missfiel vielen Verfassungsrechtlern und hatte monatelange Massenproteste zur Folge. Aber man muss Putin zugute halten: Er hielt sich wortwörtlich an die konstitutionelle Fristenregelung. Einer, der seinen Anspruch demonstrierte, demokratische Spielregeln einzuhalten.
Verfassungen ändern sich, Menschen auch. Nach 20 Jahren an der Macht hat Putin die Spielregeln der russischen Demokratie doch umschreiben lassen: Das Wörtchen „hintereinander“ist gestrichen, aber auch die vier Amtszeiten des amtierenden Staatschefs. 2024, wenn die nächsten, und 2030, wenn die übernächsten Präsidentschaftswahlen anstehen, darf Putin wieder kandidieren. Mit knapp 68, in einem Alter, in dem der statistische russische Durchschnittsmann fast schon tot ist, lässt er sich per Volksabstimmung seine Sonderrechte auf die politische Macht im Land für weitere 16 Jahre verbriefen.
Wladimir Putins Fall ist tatsächlich nichts Neues in der Postsowjetunion. Vor Putin knickten schon diverse Amtskollegen in Aserbaidschan, Kasachstan, Usbekistan oder Tadschikistan das nationale Grundgesetz für ihre persönlichen Fristenregelungen, der Weißrusse Alexander Lukaschenko heimste dafür den Titel „letzter Diktator Europas“ein, der Turkmene Saparmyrat Nijasow den des „Turkmenbaschis“, des „Vaters der Turkmenen“. An diesem Mittwoch hat sich nun auch Russlands Wladimir Putin offiziell von der Demokratie verabschiedet.