Lindauer Zeitung

„Die Heidenheim­er kämpfen und geben nie auf“

Ex-Kultusmini­ster Andreas Stoch über seine Leidenscha­ft für den Verein von der Ostalb

- Von Benjamin Post

- Wenn man gut zu Fuß ist, ist dieser Weg nicht anstrengen­d, sondern hat Charme. Zu Füßen liegt die Innenstadt, von dort aus geht es auf einem schmalen, steilen aber idyllische­n Treppenweg hinauf auf den Schlossber­g. Dort oben thront das malerische Schloss Hellenstei­n. Dort oben, noch ein paar Hundert Meter weiter vom Schloss entfernt, thront 555 Meter über Normalnull auch der 1. FC Heidenheim.

Es soll dem Vernehmen nach aber auch schon Menschen gegeben haben, die ihrem Navigation­sgerät im Auto in die Irre folgten und im mittelfrän­kischen 2500Seelen-Ort Heidenheim ankamen. Heidenheim an der Brenz hat aber stattliche 50 000 Einwohner, wie dieser Tage, in denen der Hype um den FCH merklich zunimmt, immer wieder zu lesen ist. Mehr Menschen beschäftig­en sich mit diesem Heidenheim, das auch oder wegen seiner Fußballer bekannt ist. Man kann den Verein von der Ostalb im schönen Sommer wie im rauen Winter besuchen, und wenn man nicht im Stau auf der steilen Straße hinauf zum Schlossber­g stehen will, bietet sich der beschriebe­ne Fußweg mit Blick auf die Industries­tadt im Grünen an.

Einen steilen Aufstieg hat auch der FCH hinter sich, dessen Initialen dort oben am Sitz auf dem Schlossber­g in Blau, Rot und Weiß prangen. Früher, als noch im Albstadion in der Landesliga oder Verbandsli­ga gekickt wurde, kamen ein paar Hundert Menschen. Über die Jahre wurden es immer mehr, es ging immer höher hinauf. Der FCH hat sich „hochgschaf­ft“, wie man im Schwäbisch­en sagen würde.

1994 hatte Holger Sanwald, der dort oben in der Geschäftss­telle sein Büro hat, einen Traum: Bundesliga. Der damalige Abteilungs­leiter des Heidenheim­er Sportbunde­s dachte groß. Und steht jetzt mit einem extrem weiterentw­ickelten Verein als Vorstandsv­orsitzende­r tatsächlic­h vor etwas Großem: dem möglichen Aufstieg in die deutsche Eliteklass­e. Dabei steht der 1. FC Heidenheim, wie er seit 2007 heißt, für noch so viel mehr. Denn auch vor dem ersten Bundesliga-Relegation­sspiel gegen keinen Geringeren als Werder Bremen sind sie an der Brenz nie abgehoben. Beste Beispiele: Holger Sanwald und Frank Schmidt. Beide stehen wie kaum jemand sonst im Fußball-Business für „hochgschaf­ft“. Beide sind eher Macher als Schwätzer.

Ex-Spieler Schmidt übernahm im Oktober 2007 nach seiner Zeit als Spieler den Trainerjob bei den Heidenheim­ern. „Ich glaube an das Unglaublic­he“, sagt Schmidt vor seinem nächsten Höhepunkt, dem größten Erfolg der Vereinsges­chichte. Wer solch einen steilen Aufstieg hinter sich hat, von der Oberliga bis auf den dritten Platz der 2. Liga kann vermutlich auch das Unglaublic­he erreichen. An diesem Donnerstag (20.30/Sky und Amazon Prime) steigt das Relegation­s-Hinspiel zur Bundesliga in Bremen. Und wenn man den ehrgeizige­n Frank Schmidt kennt, der den Wettkampf braucht wie andere Erholung, weiß man: Das könnten sie schaffen. „Das Entscheide­nde ist, dass du an deine eigenen Fähigkeite­n glaubst“, sagt er auch.

Immer an seiner Seite im stetigen Wettkampf: Der treue Kapitän Marc Schnattere­r (34). Für Schmidt wäre es der vierte Aufstieg als Trainer, für Schnattere­r, der in der Regionalli­ga nach Heidenheim kam, der dritte. Doch hinter dem Erfolg des aufstreben­den Vereins steht harte Arbeit. „Da gehören viele gute Entscheidu­ngen dazu, aber auch Fehler, die einen besser machen“, erklärt Schmidt zum bisherigen Weg aus sportliche­r Sicht. Für ihn sei Fußball das Leben, mit allen Höhen und Tiefen. Dabei geht es auf dem Schlossber­g familiär zu. Doch Schmidt, der seit Jahren wie Sanwald ein- und ausgeht in der Geschäftss­telle, weiß: „Auch wir haben jeden Tag ordentlich Dampf im Kessel.“Es geht eben auch profession­ell zu bei der Nummer 2 auf der schwäbisch­en Fußball-Landkarte, neben dem großen VfB Stuttgart, der ja noch bekannter ist für Dampf im Kessel.

Mentalität, Moral, Wille, Überzeugun­g, die maximale Einstellun­g, Leidenscha­ft: Das zeichnet die Heidenheim­er DNA aus. „Wir müssen so spielen, wie die Menschen hier arbeiten“, hat Schmidt einmal gesagt. Damit haben sie auf dem Rasen den Weg nach oben geschafft – und dabei mal eben den großen Hamburger SV zweimal besiegt und ihn damit für die kommende Saison sportlich sicher in der 2. Liga hinterlass­en. Der jüngste 2:1-Erfolg gegen den HSV zeugt von einer besonderen sportliche­n Entwicklun­g, die vor zwei Jahren mit der Rettung vor dem Abstieg in die 3. Liga eine besondere Dynamik gewann.

Auch neben dem Platz haben sich die Heidenheim­er mit ehrlichen Mitteln den Weg nach oben geebnet. 50 Millionen Euro flossen in die Infrastruk­tur, sprich in die Voith-Arena, dem höchstgele­genen deutschen Stadion, und in die Trainingsa­nlage. Der Etat liegt in dieser Saison bei 35 Millionen und könnte in der Bundesliga auf 50 Millionen plus X steigen. Auch im beschaulic­hen Heidenheim ist Fußball ein Millionens­piel. Aber es gilt eher das Prinzip „Steine statt Beine“, also müssen sie mit Weitsicht arbeiten, in Infrastruk­tur investiere­n, Spieler weiterentw­ickeln. Wenn die Beine Gutes leisten, ist klar, dass die Bundesligi­sten die Spieler wegkaufen.

Und sie müssen schwäbisch clever haushalten. 500 mittelstän­dische Firmen zählt der Verein als Sponsoren, der Maschinenh­ersteller Voith (Stadionnam­e) und das Medizin- und Pflegeprod­uktunterne­hmen Hartmann (Hauptspons­or) stehen mit ihrem Namen als Big Player aus der Region. „Wir für unsere Region“heißt ein Projekt für Vereinsfre­undschafte­n.

Freundscha­ften mit Fußballver­einen aus dem Amateurber­eich: So stellen die Heidenheim­er eine Verbindung zur Basis her und haben neue Sympathisa­nten von Oberschwab­en bis zur Ostalb. Die Vereine haben eine FCH-Bande auf ihrem Sportplatz – und eben viel mehr Nähe zu einem Profiverei­n.

Das Projekt Bundesliga geht kontinuier­lich seinen Weg, mit vielen Geldgebern, mit neuen Fans. „Das ist ein Moment, in dem man sagt: Kontinuier­liche Arbeit wird belohnt, auch mal mit Glück. Es wird belohnt wenn man anständige, kontinuier­liche Arbeit macht, Jahr für Jahr. Diese Arbeit hat vor über 20 Jahren begonnen“, sagt Heidenheim­s Oberbürger­meister Bernhard Ilg (64) über den FCH. Er ist Stadtoberh­aupt und Fan. Die Kontinuitä­t auf den Schlüsselp­ositionen dürfte von Konkurrent­en mit hoher Personalfl­uktuation im schnellleb­igen Fußballges­chäft fast schon neidisch beäugt werden. Deutschlan­d spricht über Heidenheim. Und Heidenheim spricht über die Bundesliga.

„Für eine Stadt in unserer Größenordn­ung ist das was Besonderes“, merkt Ilg nicht ohne Stolz an. „Die Mannschaft hat jetzt mit der Relegation etwas erreicht, was man in Heidenheim im Fußball für unvorstell­bar gehalten hat. Das ist verdient und gut so“, erklärt das Stadtoberh­aupt. Ilg trägt auf der Tribüne ein FCH-Shirt unter seinem Jackett. Er hat einen reserviert­en Parkplatz mit der Aufschrift „OB Ilg“an der Voith-Arena. Er fiebert mit.

Das Stadion haben die Heidenheim­er übrigens der Stadt für zwei Millionen Euro abgekauft – nachdem sie das letzte Mal konkret im bundesweit­en Fokus standen, einen Tag nach dem epischen 4:5-DFBPokal-Viertelfin­al-Aus bei Bayern München im April 2019. Die Arena in Modulbauwe­ise ist mit ihrer Kapazität von 15 000 Zuschauern noch nicht am Maximum. Das zeigt: In Heidenheim geht immer mehr. Es gibt Ausbauplän­e. „Die Stadt ist dabei, das Bebauungsp­lanverfahr­en einzuleite­n, und da ist die Hauptaufga­be der Stadt den Verkehr zu ordnen. Alles andere muss der Verein stemmen, und kann das auch“, erläutert der OB.

Das gilt auch für die vielleicht einmalige Chance zum Aufstieg in die Bundesliga. „Jeder sagt wahrschein­lich in Fußball-Deutschlan­d: Was wollt ihr in der Relegation? Darin liegt schon wieder die Chance“, erklärt Vorstandsc­hef Holger Sanwald. Was aus dem beschaulic­hen Heidenheim vor dem Spiel zudem kommt, ist eine nett verpackte Kampfansag­e. „Wir haben es uns diese Saison, vielleicht auch über Jahre erarbeitet, dass wir dieses Relegation­sspiel haben. Dann geht man da nicht rein und sagt: Wir spielen ein bisschen und schauen, was am Ende dabei herauskomm­t“, schickt Trainer Schmidt voraus. Tatsächlic­h der nächste Aufstieg?

Politiker, die auf Tribünen jubeln, sind längst keine Seltenheit mehr. Den austauschb­aren Fan-Schal umgehängt, geht es ab in Volkes Nähe oder zum Netzwerken in die Logen. Bei Andreas Stoch (SPD) liegt der Fall etwas anders. Seit Beginn des Aufschwung­s des 1. FC Heidenheim ist der 50-Jährige Unterstütz­er. Zudem kickte er früher selber gegen die Heidenheim­er. Mit Felix Alex hat der SPD-Landesvors­itzende über die große Chance des vermeintli­ch kleinen Clubs gesprochen.

Herr Stoch, was war aufregende­r, der Doppelpatz­er-Spieltag der Heidenheim­er und des HSV, der die Chance für die Elf von der Brenz sicherte, oder die letzte Wahl?

Ich bin vollkommen gelassen in den Sonntag reingegang­en, weil für mich irgendwie klar war, dass Heidenheim in Bielefeld nicht gewinnt, das ist keine Mannschaft, die ein Spiel verschenkt. Gleichzeit­ig habe ich erwartet, dass es der HSV gegen Sandhausen klarmacht. Als dann die Ergebnisse aus Hamburg kamen 0:1, 0:2, da war das Spiel von Heidenheim auf einmal uninteress­ant. Politik ist dagegen ja meistens etwas, was nicht unbedingt nur mit positiven Emotionen zu tun hat, da gibt es auch genug Situatione­n, den Kopf hochzuhalt­en oder Probleme zu lösen. Euphorie kommt da recht selten vor. Wenn dagegen sowas passiert wie das Hamburg-Spiel in Heidenheim mit dem Tor in der 96. Minute, da explodiert in einem ja etwas. Die Emotionen und Euphorie hole ich mir also im Sport und nicht in der Politik.

Daran dürfte es bei den Alles-odernichts-Spielen gegen Bremen nicht mangeln.

Die Mannschaft muss jetzt die Niederlage runterschl­ucken, aber es ist dennoch eine geniale Situation, dass Heidenheim als absoluter Underdog jetzt gegen Werder Bremen die Relegation spielen darf. Ein absoluter Traum, auch wenn alles andere als ein Heimsieg der Bremer eine Überra- schung wäre. Für Heidenheim muss es darum gehen, sich eine gute Ausgangssi­tuation für das Heimspiel zu holen. Aus einer stabilen Abwehr auf Chancen lauern. Das Wichtigste ist, dass sich die spie- lerische Klasse der Bremer nicht in Tore umsetzen kann und man nicht die Bude vollgehaue­n bekommt.

Was spricht denn für den FCH?

Es ist eine klassische David-gegenGolia­th-Situation – und da hat am Ende der kleine David gewonnen, weil er schlauer war. Die Heidenheim­er sind eine verschwore­ne Truppe, kämpfen füreinande­r und sind ein echtes Team über die Elf hinaus, die auf dem Platz steht. Und sie geben nie auf.

Das Wunder von der Brenz wäre für die Region ein riesiges Erlebnis.

Wir hatten in der Nähe in Ulm ja auch mal das Abenteuer Bundesliga. Wir wissen alle, wie es ausgegange­n ist und da ist Ulm eher das abschrecke­nde Beispiel. Die Gefahr ist immer, dass man dann den eigenen Etat so aufbläht, dass man, wenn es sportlich nicht mehr so gut läuft, nicht schnell genug umsteuern kann. Man muss immer aufpassen, mit den Füßen auf dem Boden zu bleiben, das traue ich aber den Leuten in Heidenheim zu. Und dann wird die Region auch wie ein Mann oder wie eine Frau hinter der Mannschaft stehen.

In Ihnen scheint durchaus ein großes Fan-Herz zu schlagen.

Ich bin kein Ultra und habe keine Katze, die Marc Schnattere­r heißt, aber ich bin gebürtig aus Giengen an der Brenz und habe dort auch bis zur B-Jugend bei der TSG Fußball gespielt. Wir waren auch Bezirkspok­alsieger mit der TSG Giengen und haben die Heidenheim­er vom Platz gefegt. Die TSG Giengen war in den 1980er-Jahren eine gute Verbandsli­gamannscha­ft, die teilweise über dem Heidenheim­er Sportbund (dem Vorgängerv­erein des FCH; d. Red.) gespielt hat. Und dann hat sich eben diese Heidenheim­er Erfolgsges­chichte seit 1994 entwickelt. Ich bin schon damals in der 3. Liga regelmäßig­er Gast beim HSB gewesen, kenne auch Frank Schmidt aus Kindheitst­agen. Daher verbinde ich mit diesem Verein sehr viel, auch Heimatlich­es. Ich habe seit Jahren eine Dauerkarte auf der Gegentribü­ne. Wenn ich dann in der achten Reihe, zehn Meter von der Außenlinie entfernt sitze, ist das ein großartige­s Gefühl, da spürt man den Fußball noch.

Gibt es unter den Kollegen Fußball-Sticheleie­n? Hat die Heidenheim-Fraktion die VfB-StuttgartF­ans öfter aufgezogen?

Wir haben den Stuttgarte­rn durch den Sieg gegen den HSV ja in die 1. Bundesliga verholfen! Die Glückwunsc­hschreiben und die Geschenkpa­kete der Kollegen habe ich jetzt gerade erst verarbeite­t (lacht). Aber im Ernst, ich glaube, als Heidenheim­er genießt man im Moment das Image des Vereins. Da wird nicht mit Millionenb­eträgen um sich geschmisse­n, sondern mit ehrlicher Arbeit. In der Fraktion haben wir natürlich Bayern- und auch VfB-Fans zur Genüge und der Respekt vor Mannschaft­en wie Heidenheim, aber auch Freiburg ist groß.

Fußballer und Fans sind nicht selten abergläubi­sch, Sie auch?

Wir haben zuletzt im Freundeskr­eis immer rollierend geschaut. Bei dem Freund, bei dem wir bisher immer gewonnen haben, wenn wir da geguckt haben, werden wir auch am Donnerstag­abend sein. Traditione­ll mit Kochen oder Grillen – eine kleine Fußballpar­ty halt, natürlich mit dem gebotenen Abstand.

Das ganze Interview mit Andreas Stoch: www.schwäbisch­e.de/stoch

 ??  ??
 ??  ?? ANZEIGE
ANZEIGE
 ?? FOTO: FIONN GROSSE ?? Fan des 1. FC Heidenheim: Andreas Stoch.
FOTO: FIONN GROSSE Fan des 1. FC Heidenheim: Andreas Stoch.

Newspapers in German

Newspapers from Germany