„Die Heidenheimer kämpfen und geben nie auf“
Ex-Kultusminister Andreas Stoch über seine Leidenschaft für den Verein von der Ostalb
- Wenn man gut zu Fuß ist, ist dieser Weg nicht anstrengend, sondern hat Charme. Zu Füßen liegt die Innenstadt, von dort aus geht es auf einem schmalen, steilen aber idyllischen Treppenweg hinauf auf den Schlossberg. Dort oben thront das malerische Schloss Hellenstein. Dort oben, noch ein paar Hundert Meter weiter vom Schloss entfernt, thront 555 Meter über Normalnull auch der 1. FC Heidenheim.
Es soll dem Vernehmen nach aber auch schon Menschen gegeben haben, die ihrem Navigationsgerät im Auto in die Irre folgten und im mittelfränkischen 2500Seelen-Ort Heidenheim ankamen. Heidenheim an der Brenz hat aber stattliche 50 000 Einwohner, wie dieser Tage, in denen der Hype um den FCH merklich zunimmt, immer wieder zu lesen ist. Mehr Menschen beschäftigen sich mit diesem Heidenheim, das auch oder wegen seiner Fußballer bekannt ist. Man kann den Verein von der Ostalb im schönen Sommer wie im rauen Winter besuchen, und wenn man nicht im Stau auf der steilen Straße hinauf zum Schlossberg stehen will, bietet sich der beschriebene Fußweg mit Blick auf die Industriestadt im Grünen an.
Einen steilen Aufstieg hat auch der FCH hinter sich, dessen Initialen dort oben am Sitz auf dem Schlossberg in Blau, Rot und Weiß prangen. Früher, als noch im Albstadion in der Landesliga oder Verbandsliga gekickt wurde, kamen ein paar Hundert Menschen. Über die Jahre wurden es immer mehr, es ging immer höher hinauf. Der FCH hat sich „hochgschafft“, wie man im Schwäbischen sagen würde.
1994 hatte Holger Sanwald, der dort oben in der Geschäftsstelle sein Büro hat, einen Traum: Bundesliga. Der damalige Abteilungsleiter des Heidenheimer Sportbundes dachte groß. Und steht jetzt mit einem extrem weiterentwickelten Verein als Vorstandsvorsitzender tatsächlich vor etwas Großem: dem möglichen Aufstieg in die deutsche Eliteklasse. Dabei steht der 1. FC Heidenheim, wie er seit 2007 heißt, für noch so viel mehr. Denn auch vor dem ersten Bundesliga-Relegationsspiel gegen keinen Geringeren als Werder Bremen sind sie an der Brenz nie abgehoben. Beste Beispiele: Holger Sanwald und Frank Schmidt. Beide stehen wie kaum jemand sonst im Fußball-Business für „hochgschafft“. Beide sind eher Macher als Schwätzer.
Ex-Spieler Schmidt übernahm im Oktober 2007 nach seiner Zeit als Spieler den Trainerjob bei den Heidenheimern. „Ich glaube an das Unglaubliche“, sagt Schmidt vor seinem nächsten Höhepunkt, dem größten Erfolg der Vereinsgeschichte. Wer solch einen steilen Aufstieg hinter sich hat, von der Oberliga bis auf den dritten Platz der 2. Liga kann vermutlich auch das Unglaubliche erreichen. An diesem Donnerstag (20.30/Sky und Amazon Prime) steigt das Relegations-Hinspiel zur Bundesliga in Bremen. Und wenn man den ehrgeizigen Frank Schmidt kennt, der den Wettkampf braucht wie andere Erholung, weiß man: Das könnten sie schaffen. „Das Entscheidende ist, dass du an deine eigenen Fähigkeiten glaubst“, sagt er auch.
Immer an seiner Seite im stetigen Wettkampf: Der treue Kapitän Marc Schnatterer (34). Für Schmidt wäre es der vierte Aufstieg als Trainer, für Schnatterer, der in der Regionalliga nach Heidenheim kam, der dritte. Doch hinter dem Erfolg des aufstrebenden Vereins steht harte Arbeit. „Da gehören viele gute Entscheidungen dazu, aber auch Fehler, die einen besser machen“, erklärt Schmidt zum bisherigen Weg aus sportlicher Sicht. Für ihn sei Fußball das Leben, mit allen Höhen und Tiefen. Dabei geht es auf dem Schlossberg familiär zu. Doch Schmidt, der seit Jahren wie Sanwald ein- und ausgeht in der Geschäftsstelle, weiß: „Auch wir haben jeden Tag ordentlich Dampf im Kessel.“Es geht eben auch professionell zu bei der Nummer 2 auf der schwäbischen Fußball-Landkarte, neben dem großen VfB Stuttgart, der ja noch bekannter ist für Dampf im Kessel.
Mentalität, Moral, Wille, Überzeugung, die maximale Einstellung, Leidenschaft: Das zeichnet die Heidenheimer DNA aus. „Wir müssen so spielen, wie die Menschen hier arbeiten“, hat Schmidt einmal gesagt. Damit haben sie auf dem Rasen den Weg nach oben geschafft – und dabei mal eben den großen Hamburger SV zweimal besiegt und ihn damit für die kommende Saison sportlich sicher in der 2. Liga hinterlassen. Der jüngste 2:1-Erfolg gegen den HSV zeugt von einer besonderen sportlichen Entwicklung, die vor zwei Jahren mit der Rettung vor dem Abstieg in die 3. Liga eine besondere Dynamik gewann.
Auch neben dem Platz haben sich die Heidenheimer mit ehrlichen Mitteln den Weg nach oben geebnet. 50 Millionen Euro flossen in die Infrastruktur, sprich in die Voith-Arena, dem höchstgelegenen deutschen Stadion, und in die Trainingsanlage. Der Etat liegt in dieser Saison bei 35 Millionen und könnte in der Bundesliga auf 50 Millionen plus X steigen. Auch im beschaulichen Heidenheim ist Fußball ein Millionenspiel. Aber es gilt eher das Prinzip „Steine statt Beine“, also müssen sie mit Weitsicht arbeiten, in Infrastruktur investieren, Spieler weiterentwickeln. Wenn die Beine Gutes leisten, ist klar, dass die Bundesligisten die Spieler wegkaufen.
Und sie müssen schwäbisch clever haushalten. 500 mittelständische Firmen zählt der Verein als Sponsoren, der Maschinenhersteller Voith (Stadionname) und das Medizin- und Pflegeproduktunternehmen Hartmann (Hauptsponsor) stehen mit ihrem Namen als Big Player aus der Region. „Wir für unsere Region“heißt ein Projekt für Vereinsfreundschaften.
Freundschaften mit Fußballvereinen aus dem Amateurbereich: So stellen die Heidenheimer eine Verbindung zur Basis her und haben neue Sympathisanten von Oberschwaben bis zur Ostalb. Die Vereine haben eine FCH-Bande auf ihrem Sportplatz – und eben viel mehr Nähe zu einem Profiverein.
Das Projekt Bundesliga geht kontinuierlich seinen Weg, mit vielen Geldgebern, mit neuen Fans. „Das ist ein Moment, in dem man sagt: Kontinuierliche Arbeit wird belohnt, auch mal mit Glück. Es wird belohnt wenn man anständige, kontinuierliche Arbeit macht, Jahr für Jahr. Diese Arbeit hat vor über 20 Jahren begonnen“, sagt Heidenheims Oberbürgermeister Bernhard Ilg (64) über den FCH. Er ist Stadtoberhaupt und Fan. Die Kontinuität auf den Schlüsselpositionen dürfte von Konkurrenten mit hoher Personalfluktuation im schnelllebigen Fußballgeschäft fast schon neidisch beäugt werden. Deutschland spricht über Heidenheim. Und Heidenheim spricht über die Bundesliga.
„Für eine Stadt in unserer Größenordnung ist das was Besonderes“, merkt Ilg nicht ohne Stolz an. „Die Mannschaft hat jetzt mit der Relegation etwas erreicht, was man in Heidenheim im Fußball für unvorstellbar gehalten hat. Das ist verdient und gut so“, erklärt das Stadtoberhaupt. Ilg trägt auf der Tribüne ein FCH-Shirt unter seinem Jackett. Er hat einen reservierten Parkplatz mit der Aufschrift „OB Ilg“an der Voith-Arena. Er fiebert mit.
Das Stadion haben die Heidenheimer übrigens der Stadt für zwei Millionen Euro abgekauft – nachdem sie das letzte Mal konkret im bundesweiten Fokus standen, einen Tag nach dem epischen 4:5-DFBPokal-Viertelfinal-Aus bei Bayern München im April 2019. Die Arena in Modulbauweise ist mit ihrer Kapazität von 15 000 Zuschauern noch nicht am Maximum. Das zeigt: In Heidenheim geht immer mehr. Es gibt Ausbaupläne. „Die Stadt ist dabei, das Bebauungsplanverfahren einzuleiten, und da ist die Hauptaufgabe der Stadt den Verkehr zu ordnen. Alles andere muss der Verein stemmen, und kann das auch“, erläutert der OB.
Das gilt auch für die vielleicht einmalige Chance zum Aufstieg in die Bundesliga. „Jeder sagt wahrscheinlich in Fußball-Deutschland: Was wollt ihr in der Relegation? Darin liegt schon wieder die Chance“, erklärt Vorstandschef Holger Sanwald. Was aus dem beschaulichen Heidenheim vor dem Spiel zudem kommt, ist eine nett verpackte Kampfansage. „Wir haben es uns diese Saison, vielleicht auch über Jahre erarbeitet, dass wir dieses Relegationsspiel haben. Dann geht man da nicht rein und sagt: Wir spielen ein bisschen und schauen, was am Ende dabei herauskommt“, schickt Trainer Schmidt voraus. Tatsächlich der nächste Aufstieg?
Politiker, die auf Tribünen jubeln, sind längst keine Seltenheit mehr. Den austauschbaren Fan-Schal umgehängt, geht es ab in Volkes Nähe oder zum Netzwerken in die Logen. Bei Andreas Stoch (SPD) liegt der Fall etwas anders. Seit Beginn des Aufschwungs des 1. FC Heidenheim ist der 50-Jährige Unterstützer. Zudem kickte er früher selber gegen die Heidenheimer. Mit Felix Alex hat der SPD-Landesvorsitzende über die große Chance des vermeintlich kleinen Clubs gesprochen.
Herr Stoch, was war aufregender, der Doppelpatzer-Spieltag der Heidenheimer und des HSV, der die Chance für die Elf von der Brenz sicherte, oder die letzte Wahl?
Ich bin vollkommen gelassen in den Sonntag reingegangen, weil für mich irgendwie klar war, dass Heidenheim in Bielefeld nicht gewinnt, das ist keine Mannschaft, die ein Spiel verschenkt. Gleichzeitig habe ich erwartet, dass es der HSV gegen Sandhausen klarmacht. Als dann die Ergebnisse aus Hamburg kamen 0:1, 0:2, da war das Spiel von Heidenheim auf einmal uninteressant. Politik ist dagegen ja meistens etwas, was nicht unbedingt nur mit positiven Emotionen zu tun hat, da gibt es auch genug Situationen, den Kopf hochzuhalten oder Probleme zu lösen. Euphorie kommt da recht selten vor. Wenn dagegen sowas passiert wie das Hamburg-Spiel in Heidenheim mit dem Tor in der 96. Minute, da explodiert in einem ja etwas. Die Emotionen und Euphorie hole ich mir also im Sport und nicht in der Politik.
Daran dürfte es bei den Alles-odernichts-Spielen gegen Bremen nicht mangeln.
Die Mannschaft muss jetzt die Niederlage runterschlucken, aber es ist dennoch eine geniale Situation, dass Heidenheim als absoluter Underdog jetzt gegen Werder Bremen die Relegation spielen darf. Ein absoluter Traum, auch wenn alles andere als ein Heimsieg der Bremer eine Überra- schung wäre. Für Heidenheim muss es darum gehen, sich eine gute Ausgangssituation für das Heimspiel zu holen. Aus einer stabilen Abwehr auf Chancen lauern. Das Wichtigste ist, dass sich die spie- lerische Klasse der Bremer nicht in Tore umsetzen kann und man nicht die Bude vollgehauen bekommt.
Was spricht denn für den FCH?
Es ist eine klassische David-gegenGoliath-Situation – und da hat am Ende der kleine David gewonnen, weil er schlauer war. Die Heidenheimer sind eine verschworene Truppe, kämpfen füreinander und sind ein echtes Team über die Elf hinaus, die auf dem Platz steht. Und sie geben nie auf.
Das Wunder von der Brenz wäre für die Region ein riesiges Erlebnis.
Wir hatten in der Nähe in Ulm ja auch mal das Abenteuer Bundesliga. Wir wissen alle, wie es ausgegangen ist und da ist Ulm eher das abschreckende Beispiel. Die Gefahr ist immer, dass man dann den eigenen Etat so aufbläht, dass man, wenn es sportlich nicht mehr so gut läuft, nicht schnell genug umsteuern kann. Man muss immer aufpassen, mit den Füßen auf dem Boden zu bleiben, das traue ich aber den Leuten in Heidenheim zu. Und dann wird die Region auch wie ein Mann oder wie eine Frau hinter der Mannschaft stehen.
In Ihnen scheint durchaus ein großes Fan-Herz zu schlagen.
Ich bin kein Ultra und habe keine Katze, die Marc Schnatterer heißt, aber ich bin gebürtig aus Giengen an der Brenz und habe dort auch bis zur B-Jugend bei der TSG Fußball gespielt. Wir waren auch Bezirkspokalsieger mit der TSG Giengen und haben die Heidenheimer vom Platz gefegt. Die TSG Giengen war in den 1980er-Jahren eine gute Verbandsligamannschaft, die teilweise über dem Heidenheimer Sportbund (dem Vorgängerverein des FCH; d. Red.) gespielt hat. Und dann hat sich eben diese Heidenheimer Erfolgsgeschichte seit 1994 entwickelt. Ich bin schon damals in der 3. Liga regelmäßiger Gast beim HSB gewesen, kenne auch Frank Schmidt aus Kindheitstagen. Daher verbinde ich mit diesem Verein sehr viel, auch Heimatliches. Ich habe seit Jahren eine Dauerkarte auf der Gegentribüne. Wenn ich dann in der achten Reihe, zehn Meter von der Außenlinie entfernt sitze, ist das ein großartiges Gefühl, da spürt man den Fußball noch.
Gibt es unter den Kollegen Fußball-Sticheleien? Hat die Heidenheim-Fraktion die VfB-StuttgartFans öfter aufgezogen?
Wir haben den Stuttgartern durch den Sieg gegen den HSV ja in die 1. Bundesliga verholfen! Die Glückwunschschreiben und die Geschenkpakete der Kollegen habe ich jetzt gerade erst verarbeitet (lacht). Aber im Ernst, ich glaube, als Heidenheimer genießt man im Moment das Image des Vereins. Da wird nicht mit Millionenbeträgen um sich geschmissen, sondern mit ehrlicher Arbeit. In der Fraktion haben wir natürlich Bayern- und auch VfB-Fans zur Genüge und der Respekt vor Mannschaften wie Heidenheim, aber auch Freiburg ist groß.
Fußballer und Fans sind nicht selten abergläubisch, Sie auch?
Wir haben zuletzt im Freundeskreis immer rollierend geschaut. Bei dem Freund, bei dem wir bisher immer gewonnen haben, wenn wir da geguckt haben, werden wir auch am Donnerstagabend sein. Traditionell mit Kochen oder Grillen – eine kleine Fußballparty halt, natürlich mit dem gebotenen Abstand.
Das ganze Interview mit Andreas Stoch: www.schwäbische.de/stoch