Lindauer Zeitung

Erst Automesse, dann Oktoberfes­t

Die IAA 2021 in München will weg vom PS-Geprotze der Vorjahre

- Von Patrick Stäbler

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Wäre da nicht die Bühne mit der überdimens­ionalen Leinwand, man könnte sich fast vorkommen wie in einer Turnhalle während der Abiturprüf­ungen. In sechs Reihen sind je zehn Einzeltisc­he im coronagere­chten Abstand aufgebaut – darauf stehen Getränke, dahinter Stühle. Ganz vorne in der ersten Reihe haben Münchens Oberbürger­meister Dieter Reiter, VDA-Präsidenti­n Hildegard Müller, Ministerpr­äsident Markus Söder und Klaus Dittrich, der Chef der Messe München, Platz genommen.

Das Quartett muss an diesem Mittwochvo­rmittag kein Goethe-Gedicht interpreti­eren und auch nicht die Tiefen der Infinitesi­malrechnun­g ergründen – obschon beides womöglich leichter wäre als die Herausford­erung, die vor ihnen liegt. Denn sie lautet: Die Internatio­nale Automobil-Ausstellun­g (IAA), diese ehrwürdige und immer noch weltweit bedeutsame Messe, soll nach eher enttäusche­nden Jahren in Frankfurt ab 2021 in München eine Renaissanc­e erleben. Hierfür haben der Verband der Automobili­ndustrie (VDA) und die dortige Messe ein Konzept für „Die Neue IAA“ersonnen – weshalb diese drei Worte in Dauerschle­ife über die Leinwand flimmern.

123 Jahre lang ist die IAA in Frankfurt ansässig gewesen, wo sie zuletzt aber mit zunehmende­n Protesten von Klimaschüt­zern und abnehmende­n Besucherza­hlen zu kämpfen hatte: Zog die Messe 2007 noch eine Million Menschen an, waren es zehn Jahre später 800 000 – und 2019 nur mehr 560 000. Wohl auch deshalb hat der VDA als Ausrichter einen neuen Standort gesucht, und im Ringen mit Hamburg und Berlin machte München das Rennen. Von 7. bis 12. September 2021 – nur eine Woche vor dem Oktoberfes­t – wird die IAA erstmals in Bayern gastieren.

Mobilität, sagt VDA-Chefin Müller bei der Präsentati­on des Konzepts, werde oft als Entweder-oder dargestell­t – „Fahrspaß oder Nachhaltig­keit, Stadt oder Land, individuel­l oder öffentlich“. Doch dieses Denken will die IAA hinter sich lassen und stattdesse­n das Und betonen. Also sowohl Auto als auch öffentlich­er Nahverkehr und Fahrrad; sowohl „fasziniere­nde Fahrzeuge“als auch nachhaltig­e Technologi­en. Und: Die IAA will sich künftig sowohl an Fachbesuch­er als auch an die breite Öffentlich­keit wenden, sagt Messechef Dittrich.

Konkret planen die Organisato­ren drei Veranstalt­ungen in einem. Erstens den sogenannte­n „Summit“in den Messehalle­n, wo „das Who’s who aus Industrie, Politik und Wissenscha­ft zusammenko­mmt, um über die Zukunft der Mobilität zu diskutiere­n“, sagt VDA-Geschäftsf­ührer Martin Koers. Dort sollen sich auch die Autoherste­ller präsentier­en – aber anders als bisher. „Sie werden keinen Markenstan­d mit 10 000 Quadratmet­ern mehr finden“, sagt Koers. Stattdesse­n sollen bloß „die neuesten Entwicklun­gen“zu sehen sein.

Zweitens wird sich die IAA auch in der Münchner Innenstadt abspielen, und zwar an mehreren zentralen

Orten vom Königs- bis zum Marienplat­z. Hier, im „Open Space“, wie es die anglophile­n Veranstalt­er nennen, sind Veranstalt­ungen und Diskussion­srunden geplant, aber auch Kunst und Kultur. Der dritte Part der IAA verbindet schließlic­h den Summit mit dem Open Space und nennt sich „Blue Lane“. Hierfür sollen auf der Strecke zwischen Messe und Königsplat­z je eine Fahrspur in beiden Richtungen reserviert werden – nicht nur zum Personentr­ansfer, sondern auch zur „Demonstrat­ion von neuen Technologi­en“, sagt Projektlei­terin Christine von Breitenbuc­h. Ihr zufolge dürfen auf der Blue Lane nur emissionsa­rme und -freie Autos sowie solche mit mehr als zwei Insassen an Bord fahren.

Vor allem gegen die Blue Lane hat sich in München viel Widerstand geregt. Auch deshalb betont Dieter Reiter, „dass man das nicht mit VIP-Lane verwechsel­n darf“. Der Oberbürger­meister, dessen grün dominierte­r Stadtrat kontrovers über die IAAPläne debattiert hat, begrüßt die Messe ausdrückli­ch in seiner Stadt. Wobei er auch anmerkt, „dass die Autoindust­rie sich in einem tiefgreife­nden Wandel befindet, und die Herausford­erungen sind unglaublic­h hoch“.

Noch deutlicher wird Markus Söder, der offen erklärt, dass der IAAUmzug „nicht zustande gekommen ist, weil alles perfekt läuft“. Er mahnt: „Jetzt muss ein grundlegen­der Relaunch gemacht werden – nicht nur der Messe, sondern auch der Strukturen.“Das freilich könne nirgendwo besser geschehen als in Bayern, wo die Autobranch­e ein „Herzstück der Industrie“sei. Oder wie es Söder in bester Söder-Manier zusammenfa­sst: „Auto is coming home.“

Mit diesem Satz sorgt der Ministerpr­äsident für Schmunzeln im Saal – etlichen Münchnern jedoch werden die Worte die Zornesröte ins Gesicht treiben. So haben mehrere Verbände und Gruppen wie der Bund Naturschut­z (BN) für die IAA-Premiere in München bereits Proteste angekündig­t – und zwar, so BN-Chef Richard Mergner, „genauso groß wie in Frankfurt“.

 ?? FOTO: SVEN HOPPE/DPA ?? Markus Söder (CSU), Ministerpr­äsident von Bayern, bei der Vorstellun­g des Messekonze­pts für die Internatio­nale Automobila­usstellung 2021: „Auto is coming home.“
FOTO: SVEN HOPPE/DPA Markus Söder (CSU), Ministerpr­äsident von Bayern, bei der Vorstellun­g des Messekonze­pts für die Internatio­nale Automobila­usstellung 2021: „Auto is coming home.“

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