Erst Automesse, dann Oktoberfest
Die IAA 2021 in München will weg vom PS-Geprotze der Vorjahre
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Wäre da nicht die Bühne mit der überdimensionalen Leinwand, man könnte sich fast vorkommen wie in einer Turnhalle während der Abiturprüfungen. In sechs Reihen sind je zehn Einzeltische im coronagerechten Abstand aufgebaut – darauf stehen Getränke, dahinter Stühle. Ganz vorne in der ersten Reihe haben Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter, VDA-Präsidentin Hildegard Müller, Ministerpräsident Markus Söder und Klaus Dittrich, der Chef der Messe München, Platz genommen.
Das Quartett muss an diesem Mittwochvormittag kein Goethe-Gedicht interpretieren und auch nicht die Tiefen der Infinitesimalrechnung ergründen – obschon beides womöglich leichter wäre als die Herausforderung, die vor ihnen liegt. Denn sie lautet: Die Internationale Automobil-Ausstellung (IAA), diese ehrwürdige und immer noch weltweit bedeutsame Messe, soll nach eher enttäuschenden Jahren in Frankfurt ab 2021 in München eine Renaissance erleben. Hierfür haben der Verband der Automobilindustrie (VDA) und die dortige Messe ein Konzept für „Die Neue IAA“ersonnen – weshalb diese drei Worte in Dauerschleife über die Leinwand flimmern.
123 Jahre lang ist die IAA in Frankfurt ansässig gewesen, wo sie zuletzt aber mit zunehmenden Protesten von Klimaschützern und abnehmenden Besucherzahlen zu kämpfen hatte: Zog die Messe 2007 noch eine Million Menschen an, waren es zehn Jahre später 800 000 – und 2019 nur mehr 560 000. Wohl auch deshalb hat der VDA als Ausrichter einen neuen Standort gesucht, und im Ringen mit Hamburg und Berlin machte München das Rennen. Von 7. bis 12. September 2021 – nur eine Woche vor dem Oktoberfest – wird die IAA erstmals in Bayern gastieren.
Mobilität, sagt VDA-Chefin Müller bei der Präsentation des Konzepts, werde oft als Entweder-oder dargestellt – „Fahrspaß oder Nachhaltigkeit, Stadt oder Land, individuell oder öffentlich“. Doch dieses Denken will die IAA hinter sich lassen und stattdessen das Und betonen. Also sowohl Auto als auch öffentlicher Nahverkehr und Fahrrad; sowohl „faszinierende Fahrzeuge“als auch nachhaltige Technologien. Und: Die IAA will sich künftig sowohl an Fachbesucher als auch an die breite Öffentlichkeit wenden, sagt Messechef Dittrich.
Konkret planen die Organisatoren drei Veranstaltungen in einem. Erstens den sogenannten „Summit“in den Messehallen, wo „das Who’s who aus Industrie, Politik und Wissenschaft zusammenkommt, um über die Zukunft der Mobilität zu diskutieren“, sagt VDA-Geschäftsführer Martin Koers. Dort sollen sich auch die Autohersteller präsentieren – aber anders als bisher. „Sie werden keinen Markenstand mit 10 000 Quadratmetern mehr finden“, sagt Koers. Stattdessen sollen bloß „die neuesten Entwicklungen“zu sehen sein.
Zweitens wird sich die IAA auch in der Münchner Innenstadt abspielen, und zwar an mehreren zentralen
Orten vom Königs- bis zum Marienplatz. Hier, im „Open Space“, wie es die anglophilen Veranstalter nennen, sind Veranstaltungen und Diskussionsrunden geplant, aber auch Kunst und Kultur. Der dritte Part der IAA verbindet schließlich den Summit mit dem Open Space und nennt sich „Blue Lane“. Hierfür sollen auf der Strecke zwischen Messe und Königsplatz je eine Fahrspur in beiden Richtungen reserviert werden – nicht nur zum Personentransfer, sondern auch zur „Demonstration von neuen Technologien“, sagt Projektleiterin Christine von Breitenbuch. Ihr zufolge dürfen auf der Blue Lane nur emissionsarme und -freie Autos sowie solche mit mehr als zwei Insassen an Bord fahren.
Vor allem gegen die Blue Lane hat sich in München viel Widerstand geregt. Auch deshalb betont Dieter Reiter, „dass man das nicht mit VIP-Lane verwechseln darf“. Der Oberbürgermeister, dessen grün dominierter Stadtrat kontrovers über die IAAPläne debattiert hat, begrüßt die Messe ausdrücklich in seiner Stadt. Wobei er auch anmerkt, „dass die Autoindustrie sich in einem tiefgreifenden Wandel befindet, und die Herausforderungen sind unglaublich hoch“.
Noch deutlicher wird Markus Söder, der offen erklärt, dass der IAAUmzug „nicht zustande gekommen ist, weil alles perfekt läuft“. Er mahnt: „Jetzt muss ein grundlegender Relaunch gemacht werden – nicht nur der Messe, sondern auch der Strukturen.“Das freilich könne nirgendwo besser geschehen als in Bayern, wo die Autobranche ein „Herzstück der Industrie“sei. Oder wie es Söder in bester Söder-Manier zusammenfasst: „Auto is coming home.“
Mit diesem Satz sorgt der Ministerpräsident für Schmunzeln im Saal – etlichen Münchnern jedoch werden die Worte die Zornesröte ins Gesicht treiben. So haben mehrere Verbände und Gruppen wie der Bund Naturschutz (BN) für die IAA-Premiere in München bereits Proteste angekündigt – und zwar, so BN-Chef Richard Mergner, „genauso groß wie in Frankfurt“.