Corona-Krise trifft Wirtschaft mit voller Härte
IHK-Konjunkturindex fällt auf den niedrigsten Wert seit 20 Jahren – Angst vor zweiter Welle
- Während die heimische Wirtschaft andere Krisen meist unbeschadet überstanden hat, sind die Firmen im Landkreis Lindau von Corona voll getroffen. Die Folgen werden lange zu spüren sein, fürchtet die IHK.
Konnten sich die rund 7000 Unternehmen im Landkreis Lindau, die Mitglied der Industrie- und Handelskammer (IHK) Schwaben sind, in den vergangenen Jahren über ein starkes Wachstum freuen, so erlebten die meisten von ihnen im Zuge der Corona-Krise einen regelrechten Absturz. Abzulesen ist dies an der jüngsten Konjunkturumfrage, die Vertreter der IHK bei einem Pressegespräch in den Räumen der Thomann GmbH in Lindau vorgestellt haben. Demnach ist der IHK-Konjunkturindex, der Geschäftslage und Erwartungen zusammenfasst, für den Landkreis von 120 Indexpunkten im Herbst auf 77 Indexpunkte in diesem Frühjahr gefallen. „Das ist der stärkste und steilste Absturz seit 20 Jahren, sprich seitdem es diese Umfragen gibt“, erklärte Rolf Thomann, Vize-Vorsitzender der Regionalversammlung.
In der Konjunkturumfrage, deren Daten im Mai erhoben wurden, beurteilte mehr als die Hälfte der im Landkreis befragten Unternehmen ihre aktuelle Geschäftslage als „schlecht“. Zum Vergleich: Bei der Herbstumfrage war es lediglich gut jeder Zehnte. Als „gut“bezeichnete zuletzt nur noch etwa jeder Sechste seine Geschäftslage, vor Corona waren es noch doppelt so viele.
Auf die Zukunft gerichtet, also im Hinblick auf die Geschäftserwartungen, gehen vier von zehn Befragte von einer weiteren Verschlechterung aus – im Herbst waren es nur halb so viele. Allerdings erwartet immerhin ein Drittel in der nächsten Zeit eine Verbesserung der Geschäfte. Diesen Optimismus interpretiert der stellvertretende Hauptgeschäftsführer der IHKSchwaben, Markus Anselment, vor allem damit, dass Mitte Mai die Talsohle weitgehend erreicht war und sich die Stimmung bei vielen Unternehmen mit Blick auf die Öffnung (nach dem „Lockdown“) schon wieder etwas aufhellte.
„Unser Landkreis ist mittelstandsgeprägt, das ist unsere Stärke, und damit konnten wir manche Krise in der Vergangenheit auch gut abfedern“, betonte IHK-Regionalvorsitzender Thomas Holderried, der auch Vizepäsident der IHK Schwaben ist. Doch Corona habe dafür gesorgt, dass „diesmal alle von der Krise betroffen“sind. Nach Branchen betrachtet habe es den Tourismus am stärksten erwischt, ebenso den Einzelhandel. „Im Bau hingegen läuft’s noch gut“, sagt Holderried. Allerdings blieben auch dort Anschlussaufträge allmählich aus. Daher sollten die Städte und Gemeinden weiter investieren, ergänzte Anselment.
Kurzarbeit habe sich während der Corona-Krise als effektives Instrument erwiesen, sagte Holderried. Der überwiegende Teil der Unternehmen, in Schwaben waren es sieben von zehn Betrieben, hätten dies genutzt und dadurch eine „spürbare Entlastung bei den Personalkosten“erfahren. Davon hätten vor allem der Tourismus und die Industrie profitiert. Ohne Kurzarbeit wäre die Arbeitslosenquote noch viel stärker gestiegen.
Auch in Corona-Zeiten wollen die Unternehmen bei ihren Bemühungen
Thomas Holderried
um den Fachkräftenachwuchs nicht nachlassen, erklärte Anselment, denn der Fachkräftemangel werde auch in den kommenden Jahren ein Problem bleiben. Derzeit gebe es im Landkreis im Vergleich zum Vorjahresmonat zwar rund ein Fünftel weniger an neuen IHK-Ausbildungsverträgen, was Thomann zum Teil auch auf die ausgefallene Berufsinfomesse und das Fehlen der Schnuppertage zurückführt. Doch Anselment zeigt sich zuversichtlich, dass dieser Rückgang bis zum Beginn des Ausbildungsjahres im Herbst noch ausgeglichen wird. Dabei könne die Prämie der Bundesregierung in Höhe von 2000 beziehungsweise 3000 Euro pro Ausbildungsplatz einen weiteren Impuls liefern, die vor allem die stark gebeutelte Gastronomie und den Einzelhandel motivieren könnte, neue Auszubildende aufzunehmen.
„Die Hilfspakete sind gut, insbesondere das soeben verabschiedete Konjunkturpaket“, lobte Holderried die Maßnahmen der Bundesregierung. Erleichterungen für die Wirtschaft sieht er zum einen im sogenannten steuerlichen Verlustrücktrag, weil dies den Unternehmen sofort Liquidität verschaffe. Auch die schrittweise Senkung und Deckelung der EEG-Umlage bei den Strompreisen, die nicht nur die Industrie, sondern auch Verkehrsunternehmen und private Haushalte bei den Energiekosten
entlasten würden, sei eine gute Sache.
Wichtig sei ferner eine Verkürzung der Abschreibungsfristen, damit Unternehmen geplante Investitionen nicht zurückhalten. Bei der Vergabe von Darlehen hätte er sich allerdings „mehr Flexibilität“gewünscht, so Holderried weiter. Denn es sei „nicht gut, das Geld sofort nehmen zu müssen, anstatt zu einem späteren Zeitpunkt, wenn ich es wirklich brauche“. Auch die bis Jahresende befristete Kürzung der Mehrwertsteuer sei für die Unternehmen
„eher eine Erschwernis“, insbesondere wegen der sehr aufwändigen Umstellung, meint Holderried. Und die Verbraucher würden kaum profitieren, wenn die Bratwurst ein paar Cent weniger kostet. Beim Autoneukauf wäre das schon etwas mehr, aber nicht spürbar, weil die Händler meist schon hohe Rabatte bieten würden.
Einig sind sich die IHK-Vertreter darin, „dass uns die Folgen der Corona-Krise noch mindestens zwei bis drei Jahre beschäftigen werden“. Weniger Einnahmen, stattdessen Kreditrückzahlungen – dies werde sich auf die Kapitalstruktur vieler Unternehmen
negativ auswirken, ist Holderried überzeugt. Riesige Einbrüche beim Export tun ein Übriges. Dazu kommen Insolvenzen, die aufgrund der bis Ende September verlängerten Befreiung von der Anmeldepflicht noch nicht sichtbar sind, sagt Anselment. Viele kleine Unternehmen, insbesondere in der Gastronomie und im Einzelhandel, tauchen bei den Insolvenzen erst gar nicht mehr auf, weil sie schlichtweg nicht mehr öffnen – daher auch der Spruch „Die Kleinen sterben leise“.
Das ganze Dilemma werde sich erst im kommenden Jahr offenbaren, sagt Holderried voraus. Was ihm aber am meisten Sorgen bereitet, ist der zuweilen lässige Umgang mit dem Covid-19Virus. Er fürchtet vor allem Massenveranstaltungen, warnt vor einer zweiten Welle und sagt: „Wir müssen alles tun, um einen zweiten Lockdown zu verhindern!“Denn allen dürfte klar sein: Das würde auch die starke deutsche Volkswirtschaft kaum verkraften.
Thomas Holderried
„Unser Landkreis ist mittelstandsgeprägt, das ist unsere Stärke, und damit konnten wir manche Krise in der Vergangenheit auch gut abfedern.“
„Wir müssen alles tun, um einen zweiten Lockdown zu verhindern!“
Einen Überblick über die aktuellen Arbeitsmarktzahlen im Landkreis Lindau finden Sie auf