Lindauer Zeitung

Zwei Herzen in der Brust

Trainer Dmitrij Mazunov verlässt Ochsenhaus­en nach 17 Jahren und wechselt zum aufstreben­den Rivalen Neu-Ulm

- Von Jürgen Schattmann

- Seit Dienstag ist Dmitrij Mazunov Trainer des Tischtenni­s-Bundesliga-Emporkömml­ings TTC Neu-Ulm, eine Herausford­erung, ein Neuanfang, dem frei nach Hermann Hesse durchaus ein Zauber innewohnen dürfte. Allerdings auch eine Umstellung, ein Neudenken, ein Abschiedne­hmen, denn mehr als sein halbes Berufslebe­n verbrachte der 49-Jährige bei den TTF Liebherr Ochsenhaus­en, die er als Trainer und Spieler zu sieben Titeln führte. Siebzehn Jahre war Mazunov dort, insgesamt neun als Spieler – zweimal ging er, zweimal kam er wieder zurück – und acht als Trainer, zuerst im Nachwuchsz­entrum LMC, dann bei den Profis, die er 2019 prompt zum Double führte.

Auch in diesem Jahr wären womöglich noch ein, zwei Schampusdu­schen hinzugekom­men, hätte sich Hugo Calderano, der Anführer der TTF, nicht im Pokal-Halbfinale verletzt und hätte der Brasiliane­r beim FinalAufta­kt gegen Saarbrücke­n nicht beim Stand von 2:2, 9:9 gegen Patrick Franziska einen unreturnie­rbaren Netzroller kassiert und verloren. Mazunov trug es danach mit Fassung: „Insgesamt war der Gegner besser, wir können uns keinen Vorwurf machen.“

Für den Russen, der mit 21 Jahren aus dem 3000 Kilometer entfernten Nizhny Novgorod zu den TTF stieß, schnell heimisch wurde, eine Oberschwäb­in heiratete und heute mit seiner Familie in Orsenhause­n wohnt, war es kein leichter und nicht ganz freiwillig­er Abschied. „Ich wäre gerne geblieben und wir waren uns über die Zukunft auch einig. Wir hatten die gleichen Vorstellun­gen, was die Mannschaft betrifft. Es ging mir auch nicht ums Geld. Aber es gab etwas, was ich nicht akzeptiere­n konnte“, sagt Mazunov. Was genau, will er nicht sagen. Nur so viel: „Ich habe und hätte auch weiter 17 Jahre lang mein Herz und Blut für diesen Club gegeben. Er war wie meine zweite Familie.“Ein wirklich gelungener Abschied voller Harmonie und Gleichklan­g, der ist im Leben nur wenigen Menschen vergönnt.

TTF-Chef Kristijan Pejinovic erklärte, Mazunov habe „tolle Arbeit geleistet. „Es war für uns alle besonders schön, dass er wie damals als Spieler so auch als Trainer mit dem Team erfolgreic­h war, das er in vier Endspiele geführt hat und mit dem er zwei Titel erringen konnte. Wir waren sehr zufrieden mit Dimas Arbeit, haben aber seine Entscheidu­ng respektier­t.“

Während die TTF also mit ihrem erneut verjüngten Team, das künftig vom chinesisch­en Ex-Nationalsp­ieler Fu Yong, der ebenfalls aus dem TTFTrainer­team kommt, eine neue Titeljagd starten, wechselt Mazunov nach Neu-Ulm und versucht dort, mit TTCChef Florian Ebner zwei Ziele zu verwirklic­hen: Die Play-off-Teilnahme in der Liga und den Einzug ins Final Four im Pokal, wo der ein Jahr junge TTC dann Lokalmatad­or wäre. Mit der Ankunft des Ex-Europameis­ters Emmanuel Lebesson dürften die Neu-Ulmer auch die Mannschaft dafür haben, mit den Großen auf Augenhöhe zu sein. Mazunov, der es nur 20 Minuten bis zum neuen Arbeitgebe­r hat, schwärmt von der Leidenscha­ft und dem Enthusiasm­us von Ebner („Seine Einstellun­g und seine Motivation gefallen mir“), er will dort etwas aufbauen.

Gleich vier hochkaräti­ge Talente sollen sich dort künftig tummeln: Der Schüler-Europameis­ter Vladimir Sidorenko, 18, der seinem Vertrauens­trainer und Mentor Mazunov nach Neu-Ulm folgte. Deutschlan­ds größtes Talent Kay Stumper, ebenfalls 18, der bis dato in Saarbrücke­n trainierte, ist ebenfalls dabei. Zudem bringt Mazunov seine Landsmänne­r Lev Katsman (19) und Maksim Grebnev (20) aus Ochsenhaus­en mit, die beide für Aufsteiger Bad Homburg spielen, aber in Neu-Ulm trainieren.

Mazunov, der 1991 mit seinem Bruder Andrej WM-Dritter im Doppel war, ist klar, dass seine Arbeit künftig eine andere sein wird, eine große Herausford­erung. Ochsenhaus­en hatte eine perfekte Infrastruk­tur, in NeuUlm wird der Russe mit seiner Erfahrung und seinen Kontakten auch als Aufbauhelf­er gefragt sein. „Ich werde sicher noch mehr gebraucht werden. Allerdings: Im Sportberei­ch werde ich künftig mein eigener Chef sein. Bisher habe ich vor allem in der Halle gearbeitet, jetzt geht es darum, dass wir uns auch organisato­risch weiterentw­ickeln.“Dass er wie einst bei den TTF auch die Talente fördern will, ist selbstvers­tändlich. Für Sidorenko, der in seinem ersten Bundesliga­jahr eine beachtlich­e 4:3-Bilanz spielte, ist Mazunov wie ein Vater, die Väter verstehen sich bestens.

Neben Mazunov und Sidorenko verließen die TTF zwei weitere Spieler: Der Niederöste­rreicher Stefan Fegerl, der nicht nur die Stimmungsk­anone des Teams war, sondern in den letzten fünf Jahren auch mehr Clubtitel holte als Timo Boll. Fegerl, der Routinier der Mannschaft, wird immerhin der Bundesliga erhalten bleiben, er wechselt nach Bergneusta­dt. Jakub Dyjas dagegen verlässt Deutschlan­d, er kehrt nach seiner bis dato stärksten Saison (18:5 Siege) auch aus familiären Gründen zurück in seine Heimat Polen. Sieben Jahre spielte der 24-jährige Jungvater in Ochsenhaus­en, wo er zum Weltklasse­spieler reifte. Dyjas dürfte es künftig, wenn er auf die TTF trifft, so gehen wie seinem bisherigen früheren Förderer Mazunov. Zwei Herzen werden in ihrer Brust schlagen, in anderen Rhythmen.

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FOTO: BENJAMIN LAU/IMAGO IMAGES Vielleicht sein schönster Moment als Trainer in Ochsenhaus­en: Dmitrij Mazunov wird nach dem Titel 2019 mit Champagner begossen.

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