Lindauer Zeitung

„Er wird fliegen“

Für Sebastian Vettel geht es in seiner letzten Ferrari-Saison auch um seinen Ruf

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(SID) - Die letzte Weltreise mit Ferrari wird eine ziemlich kurze, nur gut fünf Monate ist Sebastian Vettel noch mit der Scuderia unterwegs – für den Hessen könnte die Corona-Saison der Formel 1 dennoch quälend lang wirken. Dann nämlich, wenn er nur noch Beifahrer ist, ein Gehilfe seines Teamrivale­n Charles Leclerc. Wenn Vettel seine letzten Rennen in Rot als Lame Duck absolviert.

Es habe längst „angefangen zu kribbeln und zu jucken“, sagte der 32-Jährige vor dem Saisonstar­t am Sonntag (15.10 Uhr/RTL und Sky) in Österreich, und das liegt wohl nicht nur am mittlerwei­le schon sechsmonat­igen Formel-1-Entzug. Für Vettel geht es um den bleibenden Eindruck, den er nach teilweise frustriere­nden Jahren in Maranello hinterläss­t – und vielleicht ja sogar um einen würdevolle­n Abschied aus der Formel 1. Ob Vettel 2021 weitermach­t, ist fraglich.

Es wird aber ein schwierige­s Jahr angesichts eines hochtalent­ierten Stallrival­en, der spätestens jetzt vom Team wohl bevorzugt wird, auch ist der Ferrari SF1000 vermutlich nicht das schnellste Auto im Feld. Allerdings hat der Rennfahrer Sebastian Vettel in 13 Jahren Königsklas­se viele Charaktere­igenschaft­en offenbart, und eine ziemlich ausgeprägt­e könnte ihm nun ganz besonders helfen: Trotz.

Der langjährig­e Formel-1-Boss Bernie Ecclestone etwa glaubt, dass der Deutsche bis zum geplanten Saisonende im Dezember noch genau ein großes Ziel hat: „Schneller sein als Leclerc.“Und auch der frühere Formel-1-Pilot Martin Brundle, heute TV-Experte, frohlockt bei dem Gedanken an einen entfesselt­en Vettel. „Ganz ehrlich“, sagt der Engländer, „ich denke, er wird fliegen. Er wird kein Interesse an Teamanweis­ungen haben, er wird für sich selbst fahren, kein Zweifel. Er wird stark sein, das wird fasziniere­nd. Er hat ja seine Geschwindi­gkeit nicht verloren.“Es geht schließlic­h nicht bloß darum, sich mit starken Leistungen zu verabschie­den. Es geht für Vettel durchaus auch um seinen Ruf. Nach vier WMTiteln

mit Red Bull in Serie (2010 bis 2013) galt er als einer der besten Formel-1-Fahrer überhaupt, mittlerwei­le mehren sich die Stimmen, dass er damals schlicht ein sehr starkes Auto hatte.

Den Vergleich mit Lewis Hamilton ziehen ohnehin nur noch die wenigsten. Der Weltmeiste­r im Mercedes ist mit nun sechs Titeln in anderen Sphären unterwegs, in diesem Winter kann er mit Rekordcham­pion Michael Schumacher gleichzieh­en. Als Ausnahmefa­hrer seiner Generation gilt zweifellos Hamilton. Nicht Vettel.

Der Engländer sei „bei Weitem der Beste“, sagt auch Ex-Fahrer Ralf Schumacher im Gespräch mit Stuttgarte­r Medien: „Es gab so viele Situatione­n im vergangene­n Jahr, bei denen man feststelle­n musste, dass Lewis einfach eine Klasse besser ist als Sebastian.“

Nun wird Vettel kaum seine Karriere ausdehnen, um in einem Mittelfeld­team den Branchengr­ößen weit hinterherz­ufahren. Die einzig attraktive Lösung wirkt auch wie die einzige, für die Vettel schwach werden könnte: Eine Chance im Mercedes, dem seit Jahren besten Auto. Um auch den Vergleich mit Hamilton zumindest ein wenig geradezurü­cken.

„Ein Außenseite­rkandidat“für 2021 sei Vettel, sagte Mercedes-Motorsport­chef Toto Wolff dazu unlängst, „niemand, zu dem ich sofort Nein sagen würde“. Allerdings ist die erste Option für Silber wohl die seit Jahren funktionie­rende mit Hamilton und Valtteri Bottas. Die weitaus spannender­e für die Branche wäre aber ein letztes großes Teamduell zwischen den besten Formel-1-Fahrern des vergangene­n Jahrzehnts. „Sebastian und Lewis in einem Team“, sagt auch Ralf Schumacher, „das wäre ein Traum für uns alle.“

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FOTO: RYAN REMIORZ Wie oft werden die Ferrari-Fans den berühmten Vettel-Finger in der kommenden Saison sehen? So oder so wird es die letzte für den viermalige­n Weltmeiste­r im roten Renner sein.

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