Der Sturm auf Tests bleibt bisher aus
Bayerisches Angebot der Corona-Tests für jeden steht – Die Zweifel am Sinn bleiben
- Die Arztpraxen in Bayern wurden noch nicht gestürmt, die Labore sind noch nicht überlastet: Wenige Tage nach der Ankündigung der bayerischen Staatsregierung, Corona-Tests für Jedermann auch ohne Symptome möglich zu machen, hat soweit erkennbar kein Run auf die Arztpraxen eingesetzt.
Gerade einmal einen Abstrich für einen Corona-Test habe er auf Wunsch eines Patienten vorgenommen seit die bayerische Staatsregierung die Testfreiheit für alle verkündete, berichtet Veit Wambach, Allgemeinarzt in Nürnberg und Vorsitzender des Verbandes der niedergelassenen Ärzte (Virchowbund). Von einer Flut an Testwilligen könne man da nicht sprechen. Viele Patienten fragten allerdings an, ob man sich jetzt testen lassen müsse. Nach der Belehrung, dass dies keineswegs der Fall sei, schon gar nicht, wenn man keine Symptome an sich bemerke, werde der Test zurückgestellt.
Ein eher verhaltener Zuspruch zum großzügigen Angebot des Corona-Tests für alle wäre durchaus im Sinne der Erfinder. Auch wenn sich jetzt jeder ohne besonderen Grund auf eine Infektion mit dem Virus testen lassen könne, sollte dies doch nur „bei einem begründeten Verdacht einer Infektion“erfolgen, hatte bereits der Vorsitzende der Fraktion der Freien Wähler im Landtag Florian Streibl gewarnt: „Die gewünschte flächendeckende Testung“sei „ein logistischer Kraftakt und derzeit noch nicht möglich“. Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) ließ wissen, es sei keineswegs Ziel der Teststrategie, „dass sich alle Menschen in Bayern sofort und gleichzeitig testen lassen“. Patienten mit Symptomen würden nach wie vor vorrangig getestet.
Unumstritten ist der Sinn von Untersuchungsmöglichkeiten in Altenund Pflegeheimen, bei den Lehrkräften und beim Personal in Kindertagesstätten. Anders sieht es – medizinisch und politisch – bei den Jedermann-Tests aus. Dem Rat der Leiterin des Instituts für Virologie an der Technischen Universität München Ulrike Protzer ist Ministerpräsident Markus Söder (CSU) bei diesem politisch aufgeladenen Angebot jedenfalls nicht gefolgt, obwohl die Wissenschaftlerin dem zur Corona-Krise einberufenen Expertenrat der Staatsregierung angehört. Bei der niedrigen Infektionsrate wie sie derzeit in Bayern erreicht sei, machten flächendeckende Tests keinen Sinn, sagte Protzer der „Münchener Abendzeitung“. Derzeit gebe es bei 10 000 Tests nur einen Treffer.
Das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) unterstützt diese Einschätzung vorsichtig: „In der derzeitigen epidemischen Lage“, so das LGL, „sollte von Personen ohne Symptome vor allem bei gegebenen Anhaltspunkten für ein erhöhtes Infektionsrisiko eine Testung durchgeführt werden.“Mit anderen Worten: Wer keine Symptome verspürt und weder Lehrer, Kindergärtner noch Altenpfleger ist, sollte erst einmal nicht an einen Corona-Test denken. Das LGL geht davon aus, dass bei verdachtslosen flächendeckenden Tests in der aktuellen Phase mit geringem Erkrankungsgeschehen „nur einige wenige Fälle zusätzlich“gefunden werden.
Dennoch hält Gesundheitsministerin Huml die 200 Millionen Euro, die der Freistaat in diesem Jahr für die Corona-Tests zur Verfügung stellt, für gut angelegtes Geld: „Denn wir können durch verstärkte Testungen frühzeitig Infektionen erkennen, Infektketten eindämmen und damit einen möglichen Lockdown mit all seinen Folgen vermeiden.“
„Jeder zusätzliche Test“, nahm der Vorsitzende der CSU im bayerischen Landtag Thomas Kreuzer die bayerische Teststrategie gegenüber der Kritik von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) in Schutz, trage dazu bei, „ein Infektionsgeschehen frühzeitig zu erkennen und die Infektionen zu bekämpfen“.
Mehr als „wenige zusätzliche Fälle“, die bei den Massentests zutage gefördert werden, wären auch unangenehm und könnten Sand ins Lockerungs-Getriebe streuen, wie ein Fall aus dem benachbarten österreichischen Bundesland Tirol zeigt. Dort zeichnete man dieser Tage einem öffentlichen Aufruf minutiös den Weg einer positiv auf das Coronavirus getesteten Frau aus Imst nach, die mit einem bestimmten Bus nach Innsbruck fuhr sowie einen Supermarkt und eine bestimmte Almwirtschaft
besuchte. Alle Personen, die sich zu diesen Zeiten an diesen Orten aufhielten, riefen die Behörden auf, auf ihren Gesundheitszustand zu achten. Von kostenlosen Tests wie in Bayern war nicht die Rede.
Wenn die Massentests in Bayern Hunderte oder gar Tausende von unerkannten Infektionen aufdecken würden, käme wieder viel Arbeit auf die Gesundheitsbehörden zu. Schulen und Produktionsstätten müssten womöglich wieder geschlossen werden. Das Prozedere stehe fest, teilte das LGL auf Nachfrage mit: Die infizierte Person wird unter Quarantäne gestellt und die Kontaktpersonen durch das jeweils zuständige Gesundheitsamt ermittelt. Kontaktpersonen der Kategorie I, also etwa Familienangehörige und Arbeitskollegen, werden dann am ersten sowie am fünften bis siebten Tag nach der Erstexposition aus Sars-CoV-2 getestet. Dieses schon bisher verfolgte Konzept werde auch vor dem Hintergrund der umfassenden Teststrategie im Freistaat beibehalten.