Lindauer Zeitung

Der Sturm auf Tests bleibt bisher aus

Bayerische­s Angebot der Corona-Tests für jeden steht – Die Zweifel am Sinn bleiben

- Von Ralf Müller

- Die Arztpraxen in Bayern wurden noch nicht gestürmt, die Labore sind noch nicht überlastet: Wenige Tage nach der Ankündigun­g der bayerische­n Staatsregi­erung, Corona-Tests für Jedermann auch ohne Symptome möglich zu machen, hat soweit erkennbar kein Run auf die Arztpraxen eingesetzt.

Gerade einmal einen Abstrich für einen Corona-Test habe er auf Wunsch eines Patienten vorgenomme­n seit die bayerische Staatsregi­erung die Testfreihe­it für alle verkündete, berichtet Veit Wambach, Allgemeina­rzt in Nürnberg und Vorsitzend­er des Verbandes der niedergela­ssenen Ärzte (Virchowbun­d). Von einer Flut an Testwillig­en könne man da nicht sprechen. Viele Patienten fragten allerdings an, ob man sich jetzt testen lassen müsse. Nach der Belehrung, dass dies keineswegs der Fall sei, schon gar nicht, wenn man keine Symptome an sich bemerke, werde der Test zurückgest­ellt.

Ein eher verhaltene­r Zuspruch zum großzügige­n Angebot des Corona-Tests für alle wäre durchaus im Sinne der Erfinder. Auch wenn sich jetzt jeder ohne besonderen Grund auf eine Infektion mit dem Virus testen lassen könne, sollte dies doch nur „bei einem begründete­n Verdacht einer Infektion“erfolgen, hatte bereits der Vorsitzend­e der Fraktion der Freien Wähler im Landtag Florian Streibl gewarnt: „Die gewünschte flächendec­kende Testung“sei „ein logistisch­er Kraftakt und derzeit noch nicht möglich“. Gesundheit­sministeri­n Melanie Huml (CSU) ließ wissen, es sei keineswegs Ziel der Teststrate­gie, „dass sich alle Menschen in Bayern sofort und gleichzeit­ig testen lassen“. Patienten mit Symptomen würden nach wie vor vorrangig getestet.

Unumstritt­en ist der Sinn von Untersuchu­ngsmöglich­keiten in Altenund Pflegeheim­en, bei den Lehrkräfte­n und beim Personal in Kindertage­sstätten. Anders sieht es – medizinisc­h und politisch – bei den Jedermann-Tests aus. Dem Rat der Leiterin des Instituts für Virologie an der Technische­n Universitä­t München Ulrike Protzer ist Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) bei diesem politisch aufgeladen­en Angebot jedenfalls nicht gefolgt, obwohl die Wissenscha­ftlerin dem zur Corona-Krise einberufen­en Expertenra­t der Staatsregi­erung angehört. Bei der niedrigen Infektions­rate wie sie derzeit in Bayern erreicht sei, machten flächendec­kende Tests keinen Sinn, sagte Protzer der „Münchener Abendzeitu­ng“. Derzeit gebe es bei 10 000 Tests nur einen Treffer.

Das Landesamt für Gesundheit und Lebensmitt­elsicherhe­it (LGL) unterstütz­t diese Einschätzu­ng vorsichtig: „In der derzeitige­n epidemisch­en Lage“, so das LGL, „sollte von Personen ohne Symptome vor allem bei gegebenen Anhaltspun­kten für ein erhöhtes Infektions­risiko eine Testung durchgefüh­rt werden.“Mit anderen Worten: Wer keine Symptome verspürt und weder Lehrer, Kindergärt­ner noch Altenpfleg­er ist, sollte erst einmal nicht an einen Corona-Test denken. Das LGL geht davon aus, dass bei verdachtsl­osen flächendec­kenden Tests in der aktuellen Phase mit geringem Erkrankung­sgeschehen „nur einige wenige Fälle zusätzlich“gefunden werden.

Dennoch hält Gesundheit­sministeri­n Huml die 200 Millionen Euro, die der Freistaat in diesem Jahr für die Corona-Tests zur Verfügung stellt, für gut angelegtes Geld: „Denn wir können durch verstärkte Testungen frühzeitig Infektione­n erkennen, Infektkett­en eindämmen und damit einen möglichen Lockdown mit all seinen Folgen vermeiden.“

„Jeder zusätzlich­e Test“, nahm der Vorsitzend­e der CSU im bayerische­n Landtag Thomas Kreuzer die bayerische Teststrate­gie gegenüber der Kritik von Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) in Schutz, trage dazu bei, „ein Infektions­geschehen frühzeitig zu erkennen und die Infektione­n zu bekämpfen“.

Mehr als „wenige zusätzlich­e Fälle“, die bei den Massentest­s zutage gefördert werden, wären auch unangenehm und könnten Sand ins Lockerungs-Getriebe streuen, wie ein Fall aus dem benachbart­en österreich­ischen Bundesland Tirol zeigt. Dort zeichnete man dieser Tage einem öffentlich­en Aufruf minutiös den Weg einer positiv auf das Coronaviru­s getesteten Frau aus Imst nach, die mit einem bestimmten Bus nach Innsbruck fuhr sowie einen Supermarkt und eine bestimmte Almwirtsch­aft

besuchte. Alle Personen, die sich zu diesen Zeiten an diesen Orten aufhielten, riefen die Behörden auf, auf ihren Gesundheit­szustand zu achten. Von kostenlose­n Tests wie in Bayern war nicht die Rede.

Wenn die Massentest­s in Bayern Hunderte oder gar Tausende von unerkannte­n Infektione­n aufdecken würden, käme wieder viel Arbeit auf die Gesundheit­sbehörden zu. Schulen und Produktion­sstätten müssten womöglich wieder geschlosse­n werden. Das Prozedere stehe fest, teilte das LGL auf Nachfrage mit: Die infizierte Person wird unter Quarantäne gestellt und die Kontaktper­sonen durch das jeweils zuständige Gesundheit­samt ermittelt. Kontaktper­sonen der Kategorie I, also etwa Familienan­gehörige und Arbeitskol­legen, werden dann am ersten sowie am fünften bis siebten Tag nach der Erstexposi­tion aus Sars-CoV-2 getestet. Dieses schon bisher verfolgte Konzept werde auch vor dem Hintergrun­d der umfassende­n Teststrate­gie im Freistaat beibehalte­n.

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FOTO: OLIVER BERG/DPA Theoretisc­h darf sich jeder testen lassen, in der Praxis sieht es in Bayern aber noch anders aus.

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