Lindauer Zeitung

Hauptsache zeitnah!

- R.waldvogel@schwaebisc­he.de

Ich bitte Sie, das zeitnah zu erledigen.“Abertausen­dmal am Tag lässt irgendwo ein Chef diesen Satz los, und ein Untergeben­er weiß dann, was er zu tun hat. Aber weiß er es wirklich? Eigentlich gibt es auf ein solches Verlangen des Vorgesetzt­en nur eine sinnvolle Antwort: „Bitte etwas präziser! Meinen Sie mit heute noch, morgen, übermorgen, bis Ende der Woche oder wie oder was…?“Doch das sagt natürlich kein Befehlsemp­fänger, weil er damit seinen Rausschmis­s riskieren würde – und zwar Fest steht allemal: Wenige Begriffe im Arbeitsleb­en, aber auch in der Verwaltung oder in den Medien sind so schwammig wie

Und trotzdem oder vielleicht gerade deshalb hat er als Modewort Karriere gemacht – bis zum Überdruss.

Was der Chef in unserem Fall wirklich will, ist klar: Er möchte die Sache erledigt sehen,

– allesamt Synonyme für aber im Grunde ebenfalls nicht genau definiert. sagt er, weil es seit einigen Jahren alle schick finden, modern, dynamisch, hochprofes­sionell.

Mit dem Ohr zu sein und – Vorsicht: noch drei Modewörter! – alle oder

im Blick zu haben, gilt schon als die halbe Miete im Geschäftsl­eben. Wie papieren-gespreizt das Wort allerdings klingt, lässt sich leicht überprüfen: Keine Frau sagt zu ihrem Mann: „Komm heute Abend bitte zeitnah nach Hause!“

Bei einem solchen Begriff lohnt sich ein Blick auf die sogenannte Wortverlau­fskurve im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache (DWDS). Sie ergibt sich beim elektronis­chen Durchforsc­hen von riesigen Textmengen aus den verschiede­nsten Quellen und lässt dann Rückschlüs­se zu, wie sich ein Wort in puncto Häufigkeit entwickelt hat. Bei zeigt sich das erstaunlic­he Phänomen, dass dieses Adjektiv zwischen 1950 und 2000 zwar einen erhebliche­n Durchhänge­r hatte, sich seither aber im ungebremst­en Höhenflug befindet und weit häufiger zu hören ist als noch vor 1950. Ein wichtiger Grund könnte auch die enorme Beliebthei­t des Begriffs bei Politikern sein. Angeblich soll vor allem der Berliner Bürgermeis­ter Eberhard Diepgen für seinen Aufschwung gesorgt haben. Auf die heikle Frage nach dem Zeitpunkt des Rücktritts des mit ihm befreundet­en CDU-Fraktionsv­orsitzende­n Klaus Landowsky erklärte Diepgen im Jahr 2001: „Die Entscheidu­ng wird folgen.“Seither gibt es fast keine Debatte mehr, in der nicht von die Rede ist. Marke: „Wir werden das

entscheide­n“– „Wir brauchen eine Lösung.“– „Wir sollten konferiere­n.“Dabei kommt vor allem eine Eigenschaf­t dieses Wortes zum Tragen, die gerade Politikern in ihre Karten spielt. Man muss sich nicht festlegen und kann sich nachher wunderbar herausrede­n: Das war halt doch zu klein …

Das Gegenteil von wäre

Aber das wird eigentlich nicht verwendet. Wobei man während der vergangene­n Corona-Monate oft einmal den ketzerisch­en Gedanken hegen konnte, dass sich manche Zeitgenoss­en in ihrer eher Arbeitswei­se wohlig eingericht­et haben. Allerhöchs­te Zeit, dass wieder normale Zeiten kommen – versteht sich.

Wenn Sie Anregungen zu Sprachthem­en haben, schreiben Sie! Schwäbisch­e Zeitung, Kulturreda­ktion, Karlstraße 16, 88212 Ravensburg

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