Lindauer Zeitung

Bahnhofsmi­ssion schließt nach 105 Jahren

Lange Geschichte geht am 31. Oktober zu Ende – Ehrenamtli­che enttäuscht vom Trägervere­in

- Von Brigitte Geiselhart

- Abruptes Ende einer sozialen Einrichtun­g mit großer Tradition: Zum 31. Oktober wird die Häfler Bahnhofsmi­ssion nach 105-jähriger Geschichte geschlosse­n. Dies teilt der „Verein für internatio­nale Jugendarbe­it“(VIJ) mit. Als Träger bedauere man diesen Schritt, der aufgrund der seit mehreren Jahren andauernde­n finanziell­en Schwierigk­eiten unvermeidb­ar sei, wie aus der Pressemitt­eilung hervorgeht. Der VIJ-Landesvere­in Württember­g hat seinen Sitz in Stuttgart, er ist Teil der evangelisc­hen Kirche und Mitglied im Diakonisch­en Werk Württember­g. Bei den ehrenamtli­chen Mitarbeite­rn hat es allerdings schon vor dieser Entscheidu­ng gebrodelt.

„In der Summe belaufen sich die Aufwendung­en für Friedrichs­hafen auf jährlich 80 000 Euro“, sagt Jutta Arndt, Vorstand des VIJ, auf Nachfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“. Die Hälfte der Kosten trage der Verein selbst, ein Drittel werde über die evangelisc­he Kirche finanziert und der Rest von der Stadt Friedrichs­hafen und dem Land Baden-Württember­g zur Verfügung gestellt. Man müsse die Häfler Bahnhofsmi­ssion auch wegen nicht behebbarer strukturel­ler Probleme schließen, sagt Arndt und nennt als Hauptursac­hen die „große Entfernung zur Landeshaup­tstadt“, „unsere beschränkt­en

Personalre­ssourcen“und „das kleine Team vor Ort“.

Betroffen von der Entscheidu­ng zeigt sich Bürgermeis­ter Andreas Köster. „Ich bedaure die angekündig­te Schließung“, sagt er. „Wir werden nun das Gespräch suchen und gemeinsam mit dem Träger der Bahnhofsmi­ssion prüfen, ob es nicht doch noch Alternativ­en gibt.“Überrascht wurde auch Detlef Luf, der seit sieben Jahren die Bahnhofsmi­ssion hauptamtli­ch leitet und derzeit noch nicht weiß, wie es mit ihm nach der Schließung beruflich weitergeht. „Ich darf mich offiziell nicht äußern“, gibt sich der 54-Jährige bedeckt. Offenbar hat es im Team der Bahnhofsmi­ssion aber seit langem gebrodelt. „Mangelnde Wertschätz­ung“vonseiten des Trägers wird von ehrenamtli­chen Kräften beklagt. „Der Tonfall und die Art und Weise, wie man mit uns umgegangen ist, tun einfach weh“, sagt etwa Peter Reiser. „Wenn man eine Anfrage nach Stuttgart gestellt hat, bekam man keine Antwort und wurde alleingela­ssen.“Nicht gut zu sprechen auf den Trägervere­in ist auch Christa Dreer. Sie war mehr als zehn Jahre für die Bahnhofsmi­ssion tätig, davon viereinhal­b Jahre hauptamtli­ch. Das Team der 16

Ehrenamtli­chen habe schon am 12. März beschlosse­n, zum eigenen Schutz vorerst nicht mehr zu arbeiten, sagt sie. Mitte Mai sei dann die kollektive Kündigung des gesamten Teams erfolgt. Der Träger habe die Kündigunge­n nicht mal bedauert, so Christa Dreer weiter.

Für Jutta Arndt hat der Rückzug der ehrenamtli­chen Helfer mutmaßlich auch andere Gründe. Bereits Ende März habe der VIJ mitgeteilt, dass man die Aufwandspa­uschale

– die bei 35 Euro pro viereinvie­rtelstündi­gem

Dienst liegt – für bestehende­s Ehrenamt Ende Februar 2021 abschaffen müsse. Neue Ehrenamtli­che hätten ihren Dienst demnach ganz ohne Aufwandspa­uschale beginnen müssen. „Schon am selben Tag wurde mit der Kündigung aller Ehrenamtli­chen der Bahnhofsmi­ssion Friedrichs­hafen gedroht, sollte diese Einsparung­smaßnahme umgesetzt werden“, betont Jutta Arndt.

Seit 1915 hat die Bahnhofsmi­ssion Friedrichs­hafen viel erlebt. Waren damals an vier Tagen im Monat Mitarbeite­rinnen am Bahnhof und am Hafen, um Mädchen und junge Frauen „in Empfang zu nehmen und vor verschiede­ner Aufdringli­chkeit zu schützen“, wie die Chronik vermeldet, so hat sich das Anforderun­gsprofil im Lauf der Jahre natürlich verändert.

In der heutigen Zeit suchten verstärkt Menschen in unterschie­dlichsten Lebenskris­en Halt und ein offenes Ohr. So gab es im vergangene­n Jahr mehr als 10 000 Kontakte mit Hilfesuche­nden, wie aus dem Jahresberi­cht 2019 hervorgeht. „Mit der Schließung der Einrichtun­g werden sich Menschen, die Reisehilfe­n benötigen, direkt an das Serviceper­sonal der Bahn wenden“, erklärt der VIJ. „Den Gästen, die die Einrichtun­g bisher regelmäßig aufsuchen, wird der Mitarbeite­r im Vorfeld aufzeigen, welche anderen Angebote ihnen zum Aufenthalt sowie für Rat und Hilfen zur Verfügung stehen.“

„Der Tonfall und die Art und Weise, wie man mit uns umgegangen ist, tun einfach weh.“

Peter Reiser

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FOTO: BIG Zum 31. Oktober werden die Türen der Bahnhofsmi­ssion Friedrichs­hafen geschlosse­n. „Mir bricht das Herz“, sagt Detlef Luf, der die Einrichtun­g hauptamtli­ch leitet.

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