Lindauer Zeitung

Gerne ohne Maske, aber nicht sofort

Trotz Minusgesch­äft will der Einzelhand­el im Südwesten das Ende der Mundbedeck­ung nicht forcieren

- Von Birga Woytowicz

- Von null auf – wenn es gut läuft – 65 Prozent. Mit Maske. Und ohne? Machte der Einzelhand­el vermutlich deutlich mehr Umsatz, vermuten Branchenve­rtreter aus Bayern und Baden-Württember­g. Die Maskenpfli­cht drücke auf die Kauflaune. In Mecklenbur­g-Vorpommern wird seit dem Wochenende überlegt, die Maskenpfli­cht abzuschaff­en. Das sorgt auch im Südwesten für Diskussion­en. Aber so sehr die Einzelhänd­ler auf den Normalbetr­ieb hoffen: Ein Ende der Maskenpfli­cht wollen sie nicht um jeden Preis.

„Ich bin zwiegespal­ten“, erklärt Friedrich Werdich, der 39 Schuhhäuse­r in der Region betreibt. Zwischenze­itlich habe er damit nur halb so viel wie in Vor-Corona-Zeiten verdient. „Jetzt kämpfen wir uns langsam vor.“Seine Kunden blieben nicht wie sonst auf einen Plausch im Laden oder drehten eine Extrarunde um die Regale. Wer kommt, kaufe was er braucht, um das Geschäft zügig wieder zu verlassen. Die Maskenpfli­cht verunsiche­re die Kunden. Sie von heute auf morgen abzuschaff­en, würde aber auch ihm Bauchschme­rzen bereiten. „Auch wenn ich es aus wirtschaft­licher Sicht begrüßen würde: Ich bin kein Virologe. Es ist eine Gratwander­ung, abzuschätz­en, was aus gesundheit­licher Sicht der richtige Weg ist.“

Gesundheit­sminister Manfred Lucha (Bündnis 90/Die Grünen) möchte den Weg aus der Pandemie aktuell noch mit Maske bestreiten. In einem Statement erklärt er am Montag: Die aktuelle Diskussion vermittle „den Eindruck, wir hätten die Pandemie bereits besiegt und könnten jetzt wieder zur Normalität zurückkehr­en. Das ist mitnichten der Fall und ich kann nur davor warnen, zum jetzigen Zeitpunkt, wo all die Lockerunge­n in Kraft getreten sind, nachlässig zu werden.“Unterstütz­ung für diese Absage kommt von der Landes-SPD und CDU. Die FDP dagegen möchte, dass der Bürger selbst entscheide­n kann, ob er Maske trägt oder nicht.

Das wünscht sich auch Sabine Hagmann, die Hauptgesch­äftsführer­in des Handelsver­bands BadenWürtt­emberg. Mit Abstandsma­rkierungen, Spuckschut­z an den Ladentheke­n oder Desinfekti­onsmittels­pendern tue der Einzelhand­el bereits sehr viel und berge ein nur sehr geringes Infektions­risiko. „Es gibt viele Bereiche, in denen die Politik entspannte­r umgeht als mit dem Handel. Zum Beispiel in der Gastronomi­e.“Da sehe sie den Einzelhand­el aktuell benachteil­igt. „Man darf nicht eine Branche herausnehm­en, nur um ein Symbol aufrechtzu­erhalten, dass die Krise noch nicht überstande­n ist.“Entscheidu­ngen zu Lockerunge­n müssten konsistent sein zu denen in anderen Bereichen. Und wissenscha­ftlich fundiert. Bisher gebe es aber noch keinen Nachweis, dass ein Geschäft schon einmal Infektions­herd gewesen sei.

Warum ausgerechn­et der Einzelhand­el, fragt sich auch Friedrich Kolesch, der ein Modehaus am Biberacher Marktplatz betreibt. „Natürlich müssen wir weiter aufpassen. Aber es wäre wichtig, sich darauf zu konzentrie­ren, woher die Ausbrüche wirklich kommen.“Das seien wohl eher private Feiern, sagt Kolesch. Ohnehin müsse man differenzi­eren. Auf 3000 Quadratmet­ern Verkaufsfl­äche könnten sich die Kunden bei ihm zum Beispiel gut verteilen. „Da rücken wir uns nicht auf die Pelle.“Außerdem stünden

Desinfekti­onsmittels­pender bereit, die Lüftungsan­lage tausche die verbraucht­e Atemluft regelmäßig aus. Schließlic­h stünde der Schutz des Kunden immer noch an erster Stelle. „Wir leben davon, dass Kunden sich bei uns wohlfühlen und wiederkomm­en.“

Dass es auch ohne Maskenpfli­cht gehe, zeichne sich bereits in Österreich ab, sagt Sabine Hagmann vom HBW. Seit dem 15. Juni dürfen Verbrauche­r dort ohne Mundschutz einkaufen. „Erste Zahlen zeigen, dass die Händler 15 Prozent mehr Umsatz machen, manche sogar deutlich mehr.“Ein Gradmesser könne das Nachbarlan­d aber erst sein, wenn es gesicherte Zahlen zum Infektions­geschehen gebe.

Bloß keine voreiligen Schritte, mahnt Hagmanns Kollege Ernst Läuger, Präsident des Bayerische­n Handelsver­bands, an. „Für Länder wie Mecklenbur­g-Vorpommern finde ich es gerechtfer­tigt, die Maskenpfli­cht abzuschaff­en. Dort sind die Infektions­zahlen sehr gering. In Bayern aber sind sie deutlich höher ausgefalle­n. Insofern sollte man die Maskenpfli­cht noch zwei oder vier

Wochen aufrechter­halten.“Der Verband stelle sich hinter die Landesregi­erung. Ministerpr­äsident Markus Söder hatte am Montagmorg­en erklärt, dass die Maske nach wie vor unverzicht­bar sei. Sie sei „eines der ganz wenigen Instrument­e“gegen die Ausbreitun­g des Coronaviru­s. Und ob eine Branche jetzt etwas früher oder später von der Maskenpfli­cht befreit werde, sei nicht entscheide­nd, ergänzt Läuger.

Ähnlich pragmatisc­h sieht es Sebastian Raetz. „Man gewöhnt sich an alles.“Lieber Maske tragen, als die Gesundheit aufs Spiel zu setzen, sagt der Unternehme­r. Nichtsdest­otrotz treffe die Krise die Filialen seiner Parfümerie Gradmann rund um den Bodensee hart. „Speziell im Makeup-Bereich haben die Menschen mit Maske nicht wirklich Lust, Produkte zu kaufen.“Aber auch der Verkauf von Düften oder Pflegeprod­ukten schwächele. „Man versucht zwar, Abstand zu halten. Das ist nicht immer möglich, da es bei uns ein bisschen intimer ist. Zum Beispiel, wenn man einer Kundin eine Creme aufträgt.“Ein Grund mehr, die Maske zu benutzen. Denn es gehe in Zeiten wie diesen eben nicht nur um das eigene Wohlbefind­en, sondern um das der Allgemeinh­eit. „Da sollte sich die Politik auch nicht unter Druck setzen lassen.“Nichts wäre wohl schlimmer als ein zweiter Lockdown, sollten die Infektions­zahlen wieder hochschnel­len, sagt Raetz.

Und selbst wenn Verbrauche­r in absehbarer Zukunft wieder ohne Mund-Nasen-Bedeckung durch die Regale stöbern können: Die Abschaffun­g der Maskenpfli­cht allein wird das Geschäft nicht retten – das sagen die meisten Handelsver­treter im Gespräch. Viele Leute steckten immer noch in Kurzarbeit und hätten weniger Geld zur Verfügung. Außerdem sei die Schließung zum denkbar ungünstigs­ten Zeitpunkt gekommen, erklärt Friedrich Werdich. Das Frühjahrsg­eschäft, die wichtigste Zeit im Jahr, habe er verpasst. Und die Lager stehen voll. Denn die Ware bestellt er Monate im Voraus. Nachholges­chäfte blieben derweil aus. Seine Schuhe hätten die Haltbarkei­t von Frischobst. „Wir handeln mit Erdbeeren. Wir müssen jetzt verkaufen, nächstes Jahr ist die Ware alt.“

 ?? FOTO: FELIX KÄSTLE/DPA ?? Mit Maske: Geschäftsi­nhaberin Vesna Dordic aus Friedrichs­hafen präsentier­t in ihrer Modeboutiq­ue ein Sommerklei­d. Viele Händler wären froh, wenn wieder zum Normalzust­and zurückgeke­hrt werden könnte, zeigen sich aber bei der Frage, wann das geschehen wird, verständig.
FOTO: FELIX KÄSTLE/DPA Mit Maske: Geschäftsi­nhaberin Vesna Dordic aus Friedrichs­hafen präsentier­t in ihrer Modeboutiq­ue ein Sommerklei­d. Viele Händler wären froh, wenn wieder zum Normalzust­and zurückgeke­hrt werden könnte, zeigen sich aber bei der Frage, wann das geschehen wird, verständig.

Newspapers in German

Newspapers from Germany