Lindauer Zeitung

Der Klang der Bilder

Der Sound des Italoweste­rn – Zum Tod des Filmkompon­isten Ennio Morricone

- Von Reinhold Mann

Die Liste seiner Filmmusike­n scheint unendlich zu sein. Hierzuland­e am bekanntest­en, am berühmtest­en ist gewiss „Spiel mir das Lied vom Tod“von Sergio Leone (1984). Andere, ebenfalls legendäre Filme treten da fast schon in den Hintergrun­d: „1900“von Bernardo Bertolucci (1976), „Il Prato“von Paolo und Vittorio Taviani (1979), „The Mission“von Roland Joffé (1986), „Die Unberührba­ren“von Brian De Palma (1987), „Cinema Paradiso“von Giuseppe Tornatore (1988) oder „In The Line of Fire“von Wolfgang Petersen (1993). Und nicht zu vergessen: „The Hateful Eight“(2015) von Quentin Tarantino.

Hollywood-Filme zeigen gerne, wie jemand endlich das erreicht, wofür er ein Leben lang gekämpft hat. Und so geben sich auch Filmgrößen gern gerührt, wenn man ihnen einen Oscar in die Hand drückt. Aber das, wofür jemand bekannt geworden ist, muss nicht das sein, was ihm am Herzen lag. Ennio Morricone, der nun im Alter von 91 Jahren in Rom gestorben ist, ist im kollektive­n Gedächtnis als musikalisc­her Meister des Spaghetti-Westerns fest verankert, ein Begriff, der auch in der sprachlich sensibel gewordenen Filmbranch­e noch fortlebt.

Ennio Morricone hat vor einigen Jahren hochgerech­net, dass er wohl 12 000 musikalisc­he Motive für Filme geschriebe­n hat. Er war Filmkompon­ist im Brotberuf, von seiner Ausbildung und seinen Studien her aber ein klassische­r Komponist der Nachkriegs­zeit. Er schätzte Kollegen wie Luigi Nono oder Luciano Berio. Für sein erstes Orchesters­tück, an dem er ein Dreivierte­ljahr gearbeitet hatte, bevor es in Venedig uraufgefüh­rt wurde, bekam er 60 000 Lire. Die Summe, nicht mal eine Hand voll Dollars, machte ihm klar: Damit ist eine Familie nicht zu ernähren. Und: Das italienisc­he Konzertpub­likum mag keine modernen Stücke. Morricone orientiert­e sich um: Er schrieb fürs Varieté, fürs Radio, fürs Fernsehen. Und 1961 dann seine erste Filmmusik. Daraus ist im Laufe seines Lebens der Sound von fast 500 Filmen geworden.

Fürs Konzerthau­s hat er dann erst wieder in den 1980er-Jahren zu komponiere­n begonnen. Und seitdem ist er auch als Dirigent seiner Werke aufgetrete­n. 2019 gab er eine Abschiedst­ournee durch Europa, dieses Jahr trat er noch im Senat in Rom auf, sein letztes Konzert. Aber auf dem Programm stand dann doch meist die Filmmusik, mit der er berühmt wurde – eben die der Spaghetti-Western: „Für eine Handvoll Dollar“, „Zwei glorreiche

Halunken“, „Leichen pflastern seinen Weg“, „Mein Name ist Nobody“.

Mit „Spiel mir das Lied vom Tod“gelang es Morricone, eine maulfaule „Es war einmal“-Geschichte in eine Western-Oper zu verwandeln, die jede Figur mit einem eigenen musikalisc­hen Thema feiert. Den Effekt, der dabei entsteht, hat der Komponist mit einem römischen Sprichwort beschriebe­n: den Papagei zum Papst machen. Die Bilder sind stark, aber die Musik ist stärker. Die Abstimmung ist ungewöhnli­ch dicht, vor allem, wenn man den Film in Sergio Leones ungekürzte­r Fassung sehen kann, die den Bildern Weite und der Musik Zeit gibt – und damit das opernhafte Format.

Aber nicht jede Zusammenar­beit Morricones war so kongenial wie die mit seinem Schulfreun­d Sergio Leone. Pier Paolo Pasolini hatte ganz andere Erwartunge­n. Zur ersten Begegnung kam der Regisseur mit konkreten Vorstellun­gen, welche Musik Morricone imitieren und variieren sollte. Morricone hat ihm das abgeschmin­kt. Trotzdem habe Pasolini zu jedem Film ein bestimmtes klassische­s Motiv gewünscht, hier ein neapolitan­isches Lied, da eine Sequenz aus Mozarts Requiem. Aber das habe er dann in die Filmmusik so eingebunde­n, dass

Pasolini es von sich aus gar nicht mehr erkannte.

Morricone konnte sich auf seinen Einfallsre­ichtum und seine stilistisc­he Vielfalt verlassen. Beim Ansehen der Filmbilder seien ihm die musikalisc­hen Themen einfach so zugeflosse­n. Er hat seinen Auftraggeb­ern auch nicht nur einen Vorschlag eingereich­t, sondern einen Strauß von Themen.

Quentin Tarantino, der in allen seinen Filmen stets filmische Zitate verarbeite­t, zitiert auch oft Musik von Ennio Morricone. In „The Hateful Eight“ging er aber über Zitate hinaus. Der Soundtrack stammt vom Meister selbst. Dafür hat Ennio Morricone seinen zweiten Oscar bekommen – mit 87 Jahren.

Morricone schrieb sich selbst einen Nachruf. Darin äußerte er den Wunsch nach einer kleinen Beerdigung: „Es gibt nur einen Grund, warum ich mich so verabschie­de und ein privates Begräbnis haben möchte: Ich möchte nicht stören“, zitierte die Nachrichte­nagentur Ansa daraus. Der Musiker erwähnt Freunde, Familie, seine vier Kinder und seine Enkel. Er erinnert an seine Frau Maria, die er 1956 heiratete, mit den Worten, es sei eine „außergewöh­nliche Liebe, die uns zusammenhi­elt und die ich leider aufgeben muss“.

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FOTO: IMAGO IMAGES In Venedig wurde einst seine erste Kompositio­n uraufgefüh­rt. 2009 ließ sich Ennio Morricone dort bei den Filmfestsp­ielen imposant in Szene setzen.

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