Wenn Strom die Muskelkraft ersetzt
Noch nie waren so viele Menschen mit E-Bikes unterwegs – Der Boom führt allerdings auch zu Konflikten
- Damit hatte die 44-Jährige Kemptenerin nicht gerechnet: Mit zwei Freundinnen wollte sie eine EMountainbike-Tour zur Schwarzenberghütte im Oberallgäu machen. Doch das Vorhaben scheiterte schon im Vorfeld. Weit und breit gab es auf die Schnelle kein Mountainbike mit Elektromotor zu leihen. Kein Einzelfall. „Ohne vorherige Reservierung geht praktisch nichts“, sagt der Oberstdorfer Fahrradhändler Michael Heckmair, Enkel des berühmten Eiger-Nordwand-Erstbegehers Anderl Heckmair.
Auch beim Angebot an neuen EBikes habe es in der Vergangenheit Probleme gegeben, bestätigt er. Die Nachfrage war ohnehin schon hoch, zuletzt stiegen die Verkaufszahlen nochmals an. Dazu kamen Probleme in den internationalen Lieferketten durch die Pandemie. Heckmair geht aber davon aus, dass in drei, spätestens vier Wochen wieder jedes Rad erhältlich ist.
Inzwischen verkaufe er in seinem Geschäft fast mehr E-Bikes als normale Fahrräder, sagt der Oberstdorfer. Bundesweit liegt der Anteil der „Stromer“etwas niedriger: Laut Zweirad-Industrieverband (ZIV) wurden vergangenes Jahr 1,36 Millionen E-Bikes verkauft. Das entspricht einem Anteil von 31,5 Prozent am gesamten Fahrradmarkt in Deutschland. „Der Boom hält an“, prognostiziert ZIV-Pressesprecher David Eisenberger.
Der Trend zum E-Bike spiegelt sich auch in den Unfallzahlen wider. 2015 ereigneten sich im Bereich des Polizeipräsidiums Schwaben Süd/ West 88 Verkehrsunfälle mit E-BikerBeteiligung, im Vorjahr waren es mehr als dreimal so viele: 289. Ganz eindeutig sind Senioren über 65 Jahre häufiger betroffen als jüngere Fahrer. Aber in der Altersgruppe der Rentner seien vermutlich auch die meisten E-Bikefahrer zu finden, sagt Polizeisprecher Thomas Hodruss.
Durch die Vielzahl an E-Mountainbikern in den Bergen häuften sich die Konflikte, sagt Rolf Eberhardt,
Leiter des grenzübergreifenden Naturparks Nagelfluhkette. Es gebe hier und da Probleme mit Älplern und Landwirten, Wanderer beschwerten sich immer häufiger über rücksichtslose Radler. NaturparkRanger begegneten immer häufiger Radlern, die auf Wegen unter eineinhalb Meter Breite unterwegs sind. Das aber ist beispielsweise in den Landschaftsschutzgebieten Nagelfluhkette und Hörnergruppe verboten.
Noch weitgehender sind die Einschränkungen im Naturschutzgebiet Allgäuer Hochalpen. In den Oberstdorfer Bergen dürfe nur dort geradelt werden, wo es ausdrücklich gestattet ist, informiert Moritz Zobel, Alpinberater in Deutschlands südlichster Marktgemeinde. Beispielsweise ist es erlaubt, in die Oberstdorfer Seitentäler zu fahren. Weiße Schilder mit grüner Schrift weisen Zweiradfahrern den Weg. Außerhalb des Naturschutzgebietes setze Oberstdorf auf eine klare Besucherlenkung, erläutert Zobel. Beispielsweise mit einer speziellen Fahrradkarte, die Zweiradlern – ob mit oder ohne Strom – Tipps für Touren gibt. Durch diese Art der „sanften Lenkung“könne das Konfliktpotenzial zumindest reduziert werden. Problematisch sieht Zobel verschiedene InternetForen, in denen vermeintliche Geheimtipps für Mountainbiker im Gebirge veröffentlicht werden – oft auf Pfaden und Bergwegen, wo Zweiräder eigentlich nicht hingehören.
Der E-Mountainbike-Boom beschäftigt auch den Deutschen Alpenverein (DAV). Eine eigene Arbeitsgruppe setze sich mit dem Thema auseinander, sagt DAV-Pressesprecher Thomas Bucher. E-Bikes sehe man als ein Teil des MountainbikeSports. „Aber wir fördern das nicht aktiv“, sagt Bucher. Der Hauptverein überlasse es Sektionen mit Hütten, ob sie auf Unterkunftshäusern Ladestationen bereitstellen. Die beiden größten DAV-Sektionen München und Oberland haben beispielsweise beschlossen, dass auf den Hütten keine Akkus geladen werden können.