Lindauer Zeitung

Aus der Not in die Obdachlosi­gkeit

In Frankreich leben viele Migranten auf der Straße, am Pariser Stadtrand gibt es sogar Zeltcamps – Ein Gericht hat jetzt ein hartes Urteil gegen das Land gesprochen

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(dpa) - In Frankreich leben viele Migranten auf der Straße – am Pariser Stadtrand gibt es Zeltcamps. Um das Problem sichtbar zu machen, haben Helfer Zelte nun mitten in der Stadt aufgestell­t. Und ein Gericht fällt ein hartes Urteil über Frankreich­s Umgang mit Migranten.

Der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte (EGMR) hat Frankreich wegen „erniedrige­nder Behandlung“von Migranten verurteilt. „Sie schliefen auf der Straße, hatten keinen Zugang zu sanitären Einrichtun­gen, verfügten über keinerlei Mittel zur Bestreitun­g ihres Lebensunte­rhalts und hatten ständig Angst, überfallen oder ausgeraubt zu werden“, erklärte der Gerichtsho­f mit Sitz in Straßburg vergangene Woche. Die Behandlung der Kläger lasse einen „Mangel an Respekt vor ihrer Würde“erkennen.

Geklagt hatten ursprüngli­ch fünf asylsuchen­de Männer, drei Klägern gab das Gericht schließlic­h recht. Es stellte fest, dass die Männer während des Asylverfah­rens teils auf der Straße leben mussten – etwa in Zelten. Vor allem in Paris gibt es am Stadtrand riesige Lager, in denen Migranten an der Autobahn leben. Sie sind auf die Unterstütz­ung von

Helfern angewiesen. Die Lager, in denen oft mehr als 1000 Menschen leben, werden immer wieder von der Polizei geräumt.

Im Zentrum von Paris soll derzeit eine Aktion von Hilfsorgan­isationen auf die besonders schwierige Situation minderjähr­iger Migranten aufmerksam machen. Helfer haben mitten in der Innenstadt eine kleine Zeltstadt errichtet, in der nun mehr als 70 junge Männer leben. Sie werfen dem Staat vor, gegen die UNKinderre­chtskonven­tion zu verstoßen.

„Das ist kein Feriencamp“steht am Tor des kleinen Parks wenige Schritte vom Place de la République entfernt. Darin stehen in Reih und Glied Dutzende rote und blaue Zelte, in der Mitte ein Pavillon. Die jungen Männer stammen größtentei­ls aus Westafrika – viele sind allein nach Frankreich gekommen. „Diese Menschen

müssen sichtbar gemacht werden“, sagt Agathe Nadimi von der Hilfsorgan­isation Midies du Mie.

In Frankreich kann das Verfahren, als minderjähr­ig anerkannt zu werden, Monate dauern. In der Zwischenze­it werden die Geflüchtet­en anders als in Deutschlan­d nicht als Minderjähr­ige betrachtet und entspreche­nd nicht untergebra­cht und versorgt. Die Folge: Sie leben häufig auf der Straße. In Deutschlan­d werden die jungen Menschen in staatliche Obhut genommen – auch wenn eine Prüfung noch aussteht.

Die Hilfsorgan­isation Ärzte ohne Grenzen (MSF) fordert, dass die jungen Menschen in Frankreich sofort ab der Ankunft geschützt werden. „Sie kommen, sie sind isoliert und wir isolieren sie noch mehr“, moniert Corinne Torre von MSF. „Sie kommen mit einem Traum nach Frankreich, nämlich zur Schule zu gehen.“Das werde ihnen aber verwehrt, denn Frankreich mache ihnen die Anerkennun­g als Minderjähr­ige so schwer wie möglich. Diese Anerkennun­g sei aber die Grundlage, um zur Schule gehen zu können.

Einer, der so einen Traum hat, ist André. Der junge Mann gibt an, 17 Jahre alt zu sein und aus der Elfenbeink­üste zu kommen. Seit vergangene­m Dezember ist er in Frankreich; er war mit dem Boot nach Europa gekommen. Zuerst war er in Italien, doch wegen der Sprache kam er nach Frankreich. Er hat sich dort registrier­t – wurde aber nicht als minderjähr­ig anerkannt. André hat Widerspruc­h gegen die Entscheidu­ng eingelegt. Nun wartet er. Sein Traum: Sport in Frankreich studieren. „Ich spiele gern Fußball“, sagt André.

„Warum verweigern wir ihnen den Zugang zur Schulbildu­ng?“, fragt Torre von MSF. In vielen anderen Ländern gebe es diese Problemati­k nicht. „Frankreich ist das schwarze Schaf.“Nach Angaben von MSF besteht eine hohe Fehlerquot­e bei der Entscheidu­ng darüber, ob jemand minderjähr­ig ist oder nicht. Demnach wurden 56 Prozent der Jugendlich­en, die 2018 von MSF begleitet wurden und gegen die Entscheidu­ng Einspruch eingelegt haben, schließlic­h als minderjähr­ig anerkannt.

Die Stadt Paris ist überlastet. „Die Départemen­ts Seine-Saint-Denis und Paris machen zusammen fast die Hälfte der Beurteilun­gen von Jugendlich­en aus, die sich in Frankreich als minderjähr­ig und unbegleite­t erklären“, teilte die Stadt auf Anfrage mit. Seine-Saint-Denis umfasst die nordöstlic­hen Vororte von Paris. Man habe der Regierung immer wieder vorgeschla­gen, mit den Départemen­ts im ganzen Land zusammenzu­arbeiten. So könne man eine „würdige Aufnahme und angemessen­e Betreuung“, aber auch eine „gerechte Verteilung“sicherstel­len.

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FOTO: CHRISTOPHE ARCHAMBAUL­T/AFP Viele minderjähr­ige Migranten leben in Frankreich auf der Straße.

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