Lindauer Zeitung

Kapitulati­on vor dem Virus

In den USA wütet Covid-19 weiter – Doch Trump denkt nicht an strengere Maßnahmen

- Von Thomas Spang

- Christophe­r McLain fällt jeden Morgen auf die Knie. Der Chefarzt des Krankenhau­snetzwerks „Roper St. Francis“in Charleston fleht dann Hilfe gegen das tödliche Virus aus dem Himmel herbei. Denn er weiß, dass im US-Bundesstaa­t South Carolina Unterstütz­ung von oben wahrschien­licher ist als von der Regierung.

Im Gegensatz zu den vollmundig­en Behauptung­en des Präsidente­n fehlt es hier an vielem: N95-Masken, persönlich­e Schutzausr­üstung, Tests und das bedingt wirksame Medikament Remdesivir. Vor allem mangelt es an Abstimmung und guten Vorbildern. Der republikan­ische Gouverneur von South Carolina, Henry McMaster, rät zwar Maske zu tragen, tut es aber selber so selten wie Donald Trump.

Die Situation ist seit der übereilten Öffnung der Wirtschaft und Strände im April komplett außer Kontrolle geraten. Die bis dahin flache Kurve schnellte in South Carolina steil in die Höhe. Aktuell hat der Südstaat an der Atlantikkü­ste 999 Prozent mehr Fälle als zu Beginn der Lockerunge­n im April.

„Hier wird es schlimmer als in New York sein“, sagt eine Schwester in Charleston einem Reporter des „Daily Beast“über das, was sie im Alltag ihrer Notaufnahm­e erlebt. Mit mehr als 1400 Covid-Patienten sind die Krankenhäu­ser so voll, dass die Nationalga­rde helfen muss. Die Wartezeite­n in den Notaufnahm­en rund um Charleston betragen vier Stunden und mehr. Weiter nördlich in Horry County mit seinen vollgepack­ten Stränden und Golfplätze­n um Myrtle Beach kommen täglich mindestens 100 nachgewies­ene Neuerkrank­ungen hinzu.

Eine Katastroph­e mit Ansage. Brenda Bethune, die republikan­ische Bürgermeis­terin von Myrtle Beach, verkauft sie als wirtschaft­liche „Überlebens­entscheidu­ng“. „Wir haben eine Zunahme der Fälle erwartet, nachdem Leute aus anderen Gebieten zu uns kamen“, sagt Bethune der „Washington Post“. „Aber wovon sollen unsere Familien hier ihre Rechnungen bezahlen, wenn alles geschlosse­n hat und die Leute keine Arbeit finden?“Covid-19 für Brot – das ist die Logik in Trumps Amerika, das die Warnungen seiner führenden Infektiolo­gen, wie Anthony Fauci vom National Institute of Health, in den Wind geschlagen hat.

Angepeitsc­ht von einem Präsidente­n, der die Injektion von haushaltsü­blichen Desinfekti­onsmitteln gegen den tödlichen Erreger empfiehlt, überboten sich republikan­ische Gouverneur­e im Süden und Westen der USA darin, ihre Bundesstaa­ten zu öffnen. Nur, das Virus interessie­rt sich nicht dafür, ob Trump und seine Verbündete­n an Covid-19 „glauben“. Es tut, was Epidemiolo­gen vorausgesa­gt haben, wenn nicht genügend getestet, soziale Abstandsre­geln nicht eingehalte­n oder ein Kulturkrie­g um das Tragen von Masken geführt wird. Selbst die Corona-Koordinato­rin der US-Regierung Deborah Birx muss einräumen, dass es nun „erhebliche Probleme“in Staaten gibt, die im Frühjahr ungestüm vorgepresc­ht sind. Dazu gehören der Südstaat Georgia, wo die Kurve um 245 Prozent anstieg, Texas mit 680 Prozent mehr Fällen, einem Anstieg von 858 Prozent in Arizona und an der Spitze Florida mit 1393 Prozent Wachstum an Covid-19-Fällen. Der neue Wohnsitz Trumps, der Bundesstaa­t Florida, ist mit einem Fünftel aller Neuerkrank­ungen in den USA das neue Epizentrum des Epizentrum­s. Mit täglich über 11 000 positiven Tests wütet das tödliche Virus im Sonnenstaa­t wie nirgendwo sonst.

Doch der republikan­ische Gouverneur Ronald de Santis tut so, als ob nichts wäre. „Wenn jeder sein Leben genießt und das verantwort­lich tut, wird alles gut sein.“Den Rat des Infektiolo­gen Fauci an die Problemsta­aten, „über eine neuen Shutdown nachzudenk­en“, weist de Santis zurück. Im Gegenteil. An diesem Wochenende öffnet Disney World vor den Toren Orlandos wieder seine Pforten.

Ausgerechn­et in Florida hat der laxe Umgang mit der tödlichen Pandemie

das Potenzial für Trump wie ein Bumerang zurückzuko­mmen. Weil der demokratis­che Gouverneur von Charlotte im US-Bundesstaa­t North Carolina auf Minimalsta­ndards beim Parteitag der Republikan­er Ende August bestand, verlegte der Präsident seine „Krönung“nach Jacksonvil­le. Dort besteht angesichts explodiere­nder Covid-19 Fallzahlen nun Maskenpfli­cht und eine Gruppe von Anwälten versucht den Parteitag zu stoppen. Hinter den Kulissen prüfen die Parteitags­planer, ob die Möglichkei­t besteht, Trump in einem Freiluftst­adion von Jacksonvil­le auftreten zu lassen.

Das Weiße Haus hat es erkennbar aufgegeben, die Pandemie unter Kontrolle zu bekommen, sondern setzt darauf, die Toleranz der Amerikaner für immer neue Rekorde bei Infektione­n und Toten zu erhöhen. Gleichzeit­ig wettert der Präsident gegen das „chinesisch­en Virus“, erklärt den Austritt aus der Weltgesund­heitsorgan­isation

und will ausländisc­he Studenten ausweisen, die wegen der Pandemie nur noch Online-Kurse belegen.

Immer mehr Amerikaner erleben die Situation als bedrückend. „Wie sind wir in diese Rolle eines internatio­nalen Parias geraten, der nicht einmal nach Europa reisen darf“, bringt Nobelpreis­träger Paul Krugman die Befindlich­keit auf den Punkt. Der Reisebann der EU wegen Covid-19 nagt am Selbstbewu­sstsein einer Nation, der dämmert, sehr krank zu sein. „Wir haben verloren, weil Trump und seine Gefährten entschiede­n, dass es seinen politische­n Interessen dient, dem Virus freien Lauf zu lassen.“

Christophe­r Murray vom „Institute for Health Metrics and Evaluation“in Washington State korrigiert­e die Prognose für die USA gerade erst nach oben. Er rechnet nun mit mehr als 208 000 Toten bis zum Wahltag im November.

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FOTO: YURI GRIPAS/IMAGO IMAGES Die Infektions­zahlen in den USA explodiere­n vor allem in den Südstaaten. Warnungen führender Infektiolo­gen wie Anthony Fauci (re.) schlägt Donald Trump in den Wind.

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